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Wie verarbeitet das Gehirn Gebärdensprache?

Hirnforschung

Wie verarbeitet das Gehirn Gebärdensprache?
Unser Gehirn ist generell auf die Verarbeitung von Sprachinformationen spezialisiert - ob sie gesprochen oder gebärdet werden, spielt offenbar eine untergeordnete Rolle. (Bild: humonia/iStock)

Das menschliche Denkorgan muss in recht spezieller Weise arbeiten, wenn allein Gesten die Informationen vermitteln, könnte man meinen. Doch eine Überblicksstudie verdeutlicht nun: Das Gehirn ist auf Sprache und nicht unbedingt auf Sprechen spezialisiert. Denn es zeichnet sich ab, dass eine Region in der linken Hirnhälfte Gebärdensprache verarbeitet, die auch für die Lautsprache zuständig ist. Es handelt sich offenbar um einen generellen Knotenpunkt im Sprachnetzwerk. Die Gesten, die Hörende als pure Bewegungsabläufe wahrnehmen, rufen demnach bei Gehörlosen die gleichen neuronalen Effekte hervor wie Laute.

Die Sprache bildet ein zentrales Erfolgskonzept unserer Spezies – durch unsere hochentwickelten Kommunikationsfähigkeiten können wir unseren Mitmenschen komplexe Informationen vermitteln. Dabei muss man allerdings feststellen: Sprache ist nicht unbedingt mit Sprechen gleichzusetzen. Über 70 Millionen Menschen auf der ganzen Welt verwenden komplexe Bewegungsabläufe von Händen, Gesicht und Körper als vollwertiges Kommunikationssystem. Die mehr als 200 verschiedenen Gebärdensprachen vermitteln dabei ebenfalls Informationen auf mehreren sprachlichen Ebenen wie Grammatik und Bedeutung. Aus Sicht der Hirnforschung stellt sich dabei die Frage, wie unser Denkorgan mit diesem Kommunikationssystem umgeht.

Spezielle Hirnaktivität nötig?

Verschiedene Untersuchungen haben zwar bereits einige Aspekte zu dieser Frage aufgedeckt. Doch bisher ergab sich aus dem Forschungsfeld kein einheitliches Bild, berichten die Forscher um Emiliano Zaccarella vom Max-Planck-Institut für Kognitions- und Neurowissenschaften in Leipzig (MPI CBS). Deshalb haben sie nun aus allen relevanten Studien gezielt herausgearbeitet, welche Hirnregionen bei Gebärdensprache relevant sind und wie groß dabei die Überschneidung mit der Lautsprachverarbeitung bei den Hörenden ist. „Diese Metastudie hat es uns ermöglicht, ein Gesamtbild der neuronalen Grundlagen von Gebärdensprache zu bekommen. Wir konnten also erstmals statistisch robust die Hirnregionen identifizieren, die über alle Studien hinweg an der Verarbeitung von Gebärdensprache beteiligt waren“, erklärt Zaccarella.

Die Wissenschaftler stellten fest: In fast jeder der ausgewerteten Studien berichteten Forscher über eine Funktion des sogenannten Broca-Areals im Stirnhirn der linken Hirnhälfte bei der Verarbeitung von Gebärdensprache. Von dieser Hirnregion ist bereits bekannt, dass sie auch eine zentrale Rolle in der Lautsprache sowie beim Erfassen von Schrift spielt und dabei etwa bei der Verarbeitung von Grammatik und Bedeutung zum Einsatz kommt. Um die Resultate aus der Metastudie weiter zu untermauern und umfassender einzuordnen, glichen die Wissenschaftler ihre Ergebnisse anschließend mit einer Datenbank ab, die Informationen aus mehreren tausend Studien mit Hirnscans enthält.

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Ein Knotenpunkt im Sprachnetzwerk

So konnten sie nun erstmals eindeutig aufzeigen: Es gibt eine Überschneidung zwischen Laut- und Gebärdensprache im Broca-Areal. Wie sie weiter berichten, zeichnete sich zudem ab, welche Bedeutung das Pendant zum Broca-Areal im rechten Stirnhirn hat, das ebenfalls in vielen der ausgewerteten Studien zur Gebärdensprache eine Rolle spielt. Wie die Forscher erklären, erfasst dieser Hirnbereich beim Menschen üblicherweise räumliche Bewegungsabläufe. Das bedeutet, dass Gehörlose und Hörende die Bewegungen von Händen, Gesicht und Körper prinzipiell ähnlich wahrnehmen. Bei Gehörlosen aktivieren sie jedoch zusätzlich das Sprachnetzwerk in der linken Hirnhälfte, inklusive des Broca-Areals. Sie nehmen die Gesten demnach als Gebärden mit sprachlichem Inhalt wahr – statt als pure Bewegungsabläufe, wie es bei Hörenden der Fall wäre, legen die Ergebnisse nahe.

Wie die Wissenschaftler resümieren, verdeutlicht ihre Studie damit nun die zentrale Rolle des Broca-Areals als Knotenpunkt im Sprachnetzwerk des menschlichen Gehirns. Diese linksseitige Hirnregion verarbeitet offenbar generell abstrakte sprachliche Informationen in jeder Form von Sprache. Sie arbeitet dazu mit speziellen anderen Netzwerken zusammen – je nachdem, ob Menschen Sprache in Form von Gebärden, Lauten oder Schrift verwenden, geht aus der Metaanalyse hervor. „Das Gehirn ist also auf Sprache an sich spezialisiert, nicht auf das Sprechen“, sagt der Erstautor Patrick Trettenbrein vom MPI CBS.

Die Wissenschaftler planen nun, die Bedeutung des Broca-Areals noch detaillierter zu untersuchen: Sie wollenunter anderem herausfinden, ob ähnlich wie bei Hörenden, auch bei Gehörlosen die unterschiedlichen Teile dieser Hirnregion entweder auf die Grammatik oder die Bedeutung von Elementen der Gebärdensprache spezialisiert sind.

Quelle: Max-Planck-Institut für Kognitions- und Neurowissenschaften, Fachartikel: Human Brain Mapping, doi: 10.1002/hbm.25254

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