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Ähnlichkeiten zwischen Schizophrenie und Demenz entdeckt

Gesundheit|Medizin

Ähnlichkeiten zwischen Schizophrenie und Demenz entdeckt
Schizophrenie
Neuroanatomische Merkmale der Schizophrenie. © Koutsouleris

Wer an frontotemporaler Demenz leidet, zeigt zu Beginn der Erkrankung oft ähnliche Symptome wie bei Schizophrenie. Forscher haben nun auch auf neuronaler Ebene Parallelen zwischen den Erkrankungen entdeckt. Mit Hilfe maschinellen Lernens zeigten sie, dass die Veränderungen im Gehirn einiger Schizophrenie-Patienten deutlich denen ähneln, die bei frontotemporaler Demenz auftreten – verbunden mit einem ungünstigeren Krankheitsverlauf. Die neuen Erkenntnisse könnten nun dazu beitragen, Prognose und Behandlung für Betroffene zu verbessern.

Anders als Alzheimer-Demenz geht die sogenannte behaviourale frontotemporale Demenz (bvFTD) zunächst nicht unbedingt mit Vergesslichkeit einher. Stattdessen kommt es bei Betroffenen zu Persönlichkeitsveränderungen, Verhaltensauffälligkeiten und Halluzinationen, ähnlich wie bei einer Schizophrenie. Betroffen sind häufig Menschen zwischen dem 50. und 60. Lebensjahr, teils aber auch schon ab dem 20. Lebensjahr. Der deutsche Psychiater Emil Kraepelin (1856-1926), Gründer des Max-Planck-Instituts für Psychiatrie und der Psychiatrischen Klinik der Ludwig-Maximilians-Universität München, beschrieb 1899 die Krankheitsbilder der bvFTD und der Schizophrenie zusammengefasst als „Dementia praecox“. Doch schon wenige Jahre später wurde seine Definition ungültig, weil sich herausstellte, dass es sich um voneinander getrennte Krankheiten handelt.

Kraepelin
Der deutsche Psychiater Emil Kraepelin fasste Schizophrenie und früh auftretende Frontotemporale Demenz als Dementia praecox zusammen. © MPI für Psychiatrie

120 Jahre altes Konzept neu erforscht

Ein Team um Nikolaos Koutsouleris, der an beiden von Kraepelin gegründeten Einrichtungen arbeitet, hat sich nun noch einmal des Konzepts der Dementia praecox angenommen: Von beiden Krankheiten war bereits bekannt, dass sie primär die Nervenzellen im Stirn- und Schläfenlappen der Patienten betreffen. Diese Regionen sind mit Empathie, Persönlichkeit und Sozialverhalten assoziiert. Auf Basis pathologischer Studien und Patientenbeobachtungen hatte Kraepelin deshalb angenommen, dass die Probleme einiger Schizophrenie-Patienten auf die gleichen Ursachen zurückzuführen sind wie bei bvFTD.

„Diese Idee ging aber verloren, da in den Gehirnen dieser Patienten keine pathologischen Anzeichen für neurodegenerative Prozesse gefunden wurden, wie sie etwa bei der Alzheimer-Krankheit vorkommen“, sagt Koutsouleris. Obwohl heute klar ist, dass es sich bei Schizophrenie und bvFTD um unterschiedliche Erkrankungen handelt, begab sich das Forscherteam mithilfe bildgebender Verfahren und künstlicher Intelligenz noch einmal auf die Suche nach neuropathologischen Gemeinsamkeiten. „Schizophrenie und bvFTD scheinen auf einem ähnlichen Symptomspektrum zu liegen, daher wollten wir im Gehirn gemeinsame Signaturen oder Muster suchen“, so Koutsouleris.

Überschneidungen der Krankheitsbilder

Zu diesem Zweck erstellten die Forscher mit Hilfe maschinellen Lernens sogenannte Klassifikatoren, die sie darauf trainierten, frontotemporale Demenz, Alzheimer-Demenz oder Schizophrenie anhand von Hirnscans sowie weiteren Gesundheitsdaten Betroffener zu identifizieren. Insgesamt bezogen Koutsouleris und sein Team die Daten von 1870 Personen ein, die entweder unter FTD, Schizophrenie, Alzheimer-Demenz oder Depressionen litten. Als Vergleich dienten zusätzlich 1042 gesunde Kontrollpersonen. Nach dem Training konnten die auf künstlicher Intelligenz basierenden Klassifikatoren recht zuverlässig unterscheiden, ob eine Person erkrankt oder gesund war. Die Klassifikatoren für bvFTD und Alzheimer identifizierten jeweils rund 86 Prozent der Patienten mit der jeweiligen Krankheit korrekt, der Klassifikator für Schizophrenie erkannte zumindest 70 Prozent der tatsächlichen Schizophrenie-Patienten als solche.

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Um neurologische Ähnlichkeiten zwischen den Erkrankungen aufzudecken, wendeten die Forscher im nächsten Schritt den Klassifikator, der darauf trainiert wurde, bvFTD zu erkennen, auf die Gruppe der Schizophrenie-Patienten an. Das Ergebnis: Die künstliche Intelligenz stufte 57 von 167 Schizophrenie-Patienten, also 41 Prozent, als bvFTD-Patienten ein. „Als wir das bei den schizophrenen Patienten gesehen haben, waren wir überrascht – ein Hinweis auf eine Ähnlichkeit der beiden Erkrankungen“, sagt Koutsouleris. Wendeten die Forscher testweise stattdessen den Alzheimer-Klassifikator auf diese Gruppe an, klassifizierte er nur 18 Prozent der Schizophrenie-Patienten als Alzheimer-Patienten.

Hilfsmittel für genauere Prognosen

In Kombination mit Langzeitdaten zum Krankheitsverlauf der Schizophrenie-Patienten über zwei Jahre hinweg fanden die Forscher heraus, dass diejenigen, die laut bvFTD-Klassifikator viele bvFDT-typische Merkmale aufwiesen, eine besonders schlechte Prognose hatten. Aus Sicht der Forscher könnte der Klassifikator daher zukünftig auch in der klinischen Praxis wertvoll sein: „Ich wollte einfach wissen, wieso sich der Zustand meines 23-jährigen Patienten mit beginnenden Symptomen einer Schizophrenie wie Halluzinationen, Wahnvorstellungen und kognitiven Defiziten auch nach zwei Jahren überhaupt nicht verbessert hatte, während ein anderer, dem es anfangs genauso schlecht ging, seine Ausbildung fortsetzte und eine Freundin gefunden hatte“, beschreibt Koutsouleris.

Mit Hilfe der künstlichen Intelligenz entwickelten die Forscher einen sogenannten bvFTD-Score, der angibt, wie stark die neurologischen Veränderungen im Gehirn von Schizophrenie-Patienten dem Bild einer bvFTD ähneln. Bei besonders schwer betroffenen Patienten verdoppelte sich dieser Score innerhalb eines Jahres – einhergehend mit weiteren kognitiven Einschränkungen. „Damit kann man das Konzept der Dementia praecox nicht mehr komplett wegwischen“, sagt Koutsouleris Kollege Matthias Schroeter. „Wir liefern erste stichhaltige Hinweise, dass Kraepelin zumindest bei einem Teil der Patienten nicht falsch lag.“

In Zukunft könnte der bvFTD-Score aus Sicht der Forscher dazu eingesetzt werden, vorherzusagen,
zu welcher Subgruppe im Spektrum der Schizophrenie- Ausprägungen Betroffene gehören. „Dann kann man frühzeitig eine intensive therapeutische Begleitung einleiten, um verbliebene Genesungspotentiale auszuschöpfen“, so Koutsouleris.

Quelle: Nikolaos Koutsouleris (Max-Planck-Institut für Psychiatrie, München) et al., JAMA Psychiatry, doi:10.1001/jamapsychiatry.2022.2075

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