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Blutplättchen – mehr als Blutungsstiller

Gesundheit|Medizin

Blutplättchen – mehr als Blutungsstiller
Blutplättchen (grün) tragen zur Aktivierung von Inflammasomen in weißen Blutkörperchen (rot; Zellkerne: blau) bei. (Bild: B. Franklin/L. Ribeiro/UKB)

Ohne sie würden wir nach Verletzungen verbluten – doch die Thrombozyten in unserem Blut sind mehr als nur Gerinnungszellen, verdeutlicht nun eine Studie: Sie sind offenbar an der Regulation der Immunantwort im Körper beteiligt und spielen eine wichtige Rolle bei Entzündungsprozessen. Einblicke in diese Funktion der Blutplättchen könnten zukünftig neue Wege zur Behandlung von Autoimmunerkrankungen eröffnen, sagen die Wissenschaftler.

Lange wurde den kleinsten Zellen des Blutes nur eine einzige Funktion zugesprochen: Sie sollen Blutungen stillen. Denn bei Verletzungen von Blutgefäßen heften sie sich an die betroffenen Stellen, verkleben untereinander und bilden dadurch sogenannte Thromben, die Wunden verschließen. Diese lebenswichtige Funktion hat jedoch auch eine Schattenseite: Die Blutpfropfen können unter bestimmten Umständen auch ohne Verletzungen in Blutgefäßen entstehen und dadurch zu Embolien, Herzinfarkten und Schlaganfällen führen. Doch in den letzten Jahren haben Studien immer mehr Hinweise darauf geliefert, dass die Thrombozyten neben ihrer Rolle als Gerinnungszellen auch mit dem Immunsystem des Körpers verknüpft sind.

Einer Zusatzrolle auf der Spur

Die aktuelle Veröffentlichung von Forschern der Universitäten Bonn und Sao Paulo verdeutlicht nun diese Bedeutung und liefert Ansatzpunkte für weitere Untersuchungen. Im Rahmen ihrer Studie haben die Wissenschaftler unter anderem untersucht, inwieweit Thrombozyten die Reaktionen von weißen Blutkörperchen (Leukozyten) verändern. Im Fokus der Wissenschaftler stand dabei ein wichtiger Immun-Mechanismus: die Bildung und Aktivierung des sogenannten Inflammasoms NLRP3 in den Leukozyten. Wie die Forscher erklären, handelt es sich dabei um Gebilde aus verschiedenen Proteinen, die als molekulare Maschinen fungieren und für die Aktivierung von Entzündungsreaktionen zuständig sind. Sie wandeln dabei unter anderem inaktive Entzündungsbotenstoffe in ihre aktive Form um. Einer davon ist das Interleukin IL-1. Wenn Zellen IL-1 ausschütten, rufen sie damit andere Immunzellen zur Hilfe und leiten so eine Entzündungsreaktion ein.

Entzündungsreaktionen bewirken, dass betroffenes Gewebe stärker durchblutet wird, wodurch Immunzellen Krankheitserreger oder Fremdstoffe besser aus dem Gewebe entfernen können. Doch wie bei der Blutgerinnung ist dieses System zweischneidig: Übermäßige Entzündungsreaktionen können gefährlich sein. Deshalb wird auch die Aktivität der Inflammasome – und damit auch die Bildung von IL-1 – streng reguliert. Doch die Kontrolle von Entzündungsreaktionen ist ein heikles System: Störungen – wie bei Autoimmunerkrankungen oder auch bei einer übersteigerten Reaktion auf Krankheitserreger wie das Coronavirus – haben in der Medizin eine große Bedeutung. Denn sie können krankmachende Entzündungen und Gewebeschäden verursachen.

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Um der möglichen Rolle der Blutplättchen im Rahmen dieses Systems auf die Spur zu kommen, haben die Forscher sie gemeinsam mit weißen Blutkörperchen im Labor kultiviert. Sie erfassten dabei durch molekulare und genetische Untersuchungen, inwieweit die Anwesenheit der Thrombozyten die Reaktionen der Immunzellen beeinflussten.
„Wir konnten zeigen, dass Blutplättchen tatsächlich in die Regulierung des Entzündungsbotenstoffs Interleukin IL-1 eingreifen“, sagt Co-Autor Lucas Secchim Ribeiro von der Universität Bonn. „Sie sorgen dafür, dass bestimmte weiße Blutzellen – die Makrophagen und die neutrophilen Granulozyten – mehr Inflammasome bilden“, erklärt der Wissenschaftler. Den Ergebnissen zufolge sorgen offenbar bestimmte Botenstoffe der Thrombozyten in den Immunzellen dafür, dass bestimmte Gene, die für den Bau der Inflammasome benötigt werden, häufiger abgelesen werden.

Blutplättchen verstärken Entzündungsreaktionen

Für die Informationsübertragung ist dabei offenbar kein direkter Kontakt nötig: „Wir haben aus Menschen isolierte Blutplättchen im Labor inkubiert und dann das Kulturmedium abfiltriert“, erklärt Ribeiro. „Als wir von diesem Filtrat einige Tropfen zu den weißen Blutzellen gegeben haben, wurden in ihnen die Bildung der Inflammasome und die IL-1-Produktion deutlich angekurbelt“, berichtet der Wissenschaftler.

Die Verknüpfung von Immunreaktionen und Blutplättchen konnten die Forscher zudem durch Versuche an Mäusen untermauern: Sie verringerten bei Versuchstieren die Anzahl der Blutplättchen und führten dann vergleichende Untersuchungen durch. Es zeigte sich: Die Mäuse schütteten nach Injektion bakterieller Zellwandbestandteile, die typischerweise zu Immunreaktionen führen, deutlich weniger IL-1 aus als Vergleichstiere. Ein weiterer Hinweis für diesen Effekt kommt zudem aus der Malariaforschung: Je mehr Blutplättchen Malaria-Patienten haben, desto höher ist bei ihnen die IL-1-Konzentration im Blutplasma, berichten die Forscher.

Co-Autor Bernardo Franklin von der Universität Bonn betont, dass auch die nun immer deutlicher werdende Rolle der Blutplättchen im Rahmen des Immunsystems nicht grundsätzlich problematisch ist. Möglicherweise verhindert ihre Funktion ebenfalls, dass nach einer Infektion eine lebensbedrohliche Sepsis entstehen kann. Dadurch dass sie aber letztlich für eine vermehrte Ausschüttung von Entzündungsbotenstoffen sorgen, könnten sie auch an problematischen Prozessen beteiligt sein. „Möglicherweise trägt dieser Effekt zu dem oft schweren Verlauf von Autoimmunkrankheiten bei, bei denen die Immunabwehr körpereigenes Gewebe attackiert und zerstört“, sagt Franklin.

Den Forschern zufolge sollten nun weitere Untersuchungen klären, welche von den Blutplättchen abgegebenen Substanzen für den Effekt auf die Immunzellen verantwortlich sind. Letztlich könnten die Ergebnisse damit den Weg zu neuen Therapien gegen Erkrankungen wie Rheuma oder Diabetes Typ 1 ebnen, so die Wissenschaftler.

Quelle: Universität Bonn, Fachartikel: Cell Reports, doi: 10.1016/j.celrep.2020.107615

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