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Hiroshima – Professor Sawadas einsamer Kampf

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Hiroshima – Professor Sawadas einsamer Kampf
Den Atombomben-Opfern von Hiroshima und Nagasaki verdankt die Welt die epidemiologischen Daten zu Strahlung und Krebs. Doch noch immer gibt es Streit um ihre Deutung.

Weil der 13-jährige Shoji an diesem Morgen etwas kränkelte, hatte seine Mutter ihn gleich nach dem Frühstück wieder ins Bett gesteckt. Als der Junge aufwachte, fand er sich unter einem Haufen von Schutt und Trümmern wieder. Er konnte sich befreien und versuchte, seiner eingeklemmten Mutter zu helfen. Aber weil ein Feuer ausgebrochen war, herrschte die ihn an: „Lauf weg, jetzt sofort!“ Shoji überlebte, seine Mutter starb.

Shoji und seine Mutter gehören zu den etwa 350 000 Menschen, die sich zum Zeitpunkt des Abwurfs der US- amerikanischen Atombombe „Little Boy“ am 6. August 1945 in Hiroshima aufhielten. Hinzu kommen die etwa 250 000 Menschen aus Nagasaki, auf das drei Tage später eine weitere Atombombe abgeworfen wurde. An den direkten Folgen der Hitzestrahlung und der Druckwelle der Explosion starben in beiden Städten zusammen etwa 100 000 Menschen – entweder sofort oder noch am selben Tag. Bis Ende 1945 starben weitere 100 000 Menschen an den Folgen der radioaktiven Strahlung, an Verletzungen durch die Druckwelle oder durch Feuer.

Doch an den Spätfolgen der Strahlung, beispielsweise Krebs, leiden noch heute einige Menschen, die sich zum Zeitpunkt der Explosionen in Hiroshima oder Nagasaki aufgehalten hatten. Diese „ Hibakusha“, wie sie in Japan genannt werden, erhalten vom japanischen Staat eine monatliche Rente von umgerechnet etwa 1250 Euro und freie medizinische Versorgung, wenn ihre Erkrankung nach „allgemein anerkanntem Wissen“ mit den Atombomben- Explosionen in Verbindung gebracht werden kann.

STRAHLUNG VOR GERICHT

Bis vor Kurzem hatte der japanische Staat bei etwa 2000 der heute noch lebenden mehr als 200 000 Hibakusha Krankheiten als Folge der radioaktiven Strahlung anerkannt. Viele weitere Tausend bemühten sich vergebens darum. Ab April 2003 erhoben etwa 300 von ihnen vor 17 japanischen Amtsgerichten Sammelklagen gegen den japanischen Staat. „Bis April 2010 hatten 3 der Hibakusha ihren Prozess verloren, bei 20 steht noch ein Berufungsverfahren an. Doch die restlichen 283 klageführenden Hibakusha haben ihre Prozesse einschließlich aller Berufungsverfahren gewonnen“, sagt Shoji Sawada, der an der Universität Nagoya Teilchenphysik lehrte und nach seiner Pensionierung im Jahr 1995 an die private Nihon-Fukushi-Universität in Handa wechselte. Seither beschäftigt er sich mit Statistik und Strahlenphysik.

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Ein wesentlicher Streitpunkt bei den Gerichtsprozessen war die Frage, ob Hibakusha, die zum Zeitpunkt der Explosion mehr als etwa drei Kilometer vom Epizentrum entfernt waren oder gar erst Stunden oder Tage später eine der beiden Städte betraten, strahlenbedingte Krankheiten davongetragen haben können. Bezogen auf den kurzen, extrem starken Strahlungsblitz der Atombomben lautet die unstrittige Antwort: Nein, das ist physikalisch nicht möglich. Strittig ist dagegen vor allem die Frage, wie viele Hibakusha durch interne Strahlung geschädigt wurden und wie groß das damit verbundene Risiko tatsächlich ist. Diese interne Strahlung beruht auf dem sogenannten Fallout: radioaktive Partikel, die die Atombombe in die Atmosphäre blies und die dann durch Regen zum Erdboden gelangten. Über die Lunge oder mit der Nahrung können sie in den Körper von Menschen eindringen.

Sawada hat für die Hibakusha eine wissenschaftliche Untersuchung durchgeführt, mit deren Ergebnis er sich gegen die herrschende Wissenschaftsmeinung stellt. „Allen Gerichten lagen meine Untersuchungsergebnisse vor. Bei den Prozessen in Osaka, Sapporo, Tokio und Nagoya war ich darüber hinaus persönlich vorgeladen“, sagt er. Das Erstaunliche an den Gerichtsurteilen ist: Sie setzen sich über das vom japanischen Staat zitierte „ allgemein anerkannte Wissen“ hinweg und verweisen stattdessen in den Urteilsbegründungen unter anderem auf die Berechnungen von Sawada.

Damit besitzen diese Urteile eine Brisanz, die weit über Japan hinausgeht. Denn auf den statistisch-epidemiologischen Langzeituntersuchungen an den Überlebenden der Atombombenabwürfe basieren zu einem großen Teil die Strahlenschutzempfehlungen der Internationalen Kommission für Strahlenschutz (ICRP), die wiederum den meisten Regierungen als Grundlage für ihre Strahlenschutzvorschriften dienen.

VERNACHLÄSSIGTER FALLOUT

„Man hatte sich damals bei Beginn der Langzeituntersuchungen aus guten Gründen dazu entschlossen, den Fallout nicht zu berücksichtigen“, erklärt Werner Rühm. Er ist Professor an der Ludwig-Maximilians-Universität und Leiter der Arbeitsgruppe Personendosimetrie am Helmholtz-Zentrum München. „Das Argument war, dass die betroffenen Gebiete in Hiroshima und Nagasaki sehr klein sind.“ Somit könnten nur wenige Menschen von interner Strahlung geschädigt worden sein. Rühm beschäftigt sich seit Langem mit der Bestimmung der Strahlendosis, die die Atombombenopfer damals abbekommen haben. Außerdem ist er Mitglied der ICRP.

Sawada bezweifelt die Ergebnisse der Langzeituntersuchungen nicht gänzlich. Doch er glaubt, dass ein wesentlich größeres Gebiet vom Fallout betroffen war und somit wesentlich mehr Menschen von interner Strahlung geschädigt wurden. Außerdem ist seinen Berechnungen zufolge die Wirkung der internen Strahlung wesentlich gefährlicher, als die offizielle Lehrmeinung dies heute annimmt.

Dass die nachträgliche Bestimmung der Fallout-Dosen, denen die Hibakusha damals ausgesetzt waren, problematisch ist, bestätigt Florian Emrich, der Pressesprecher des Bundesamts für Strahlenschutz (BfS). „Das Hauptproblem besteht darin, dass die relevanten Messungen zum Zeitpunkt der Bombardierung 1945 nur spärlich und bruchstückhaft durchgeführt wurden, während sich die direkte externe Strahlung vergleichsweise genau berechnen lässt, wenn der Aufenthaltsort der Personen zum Zeitpunkt der Explosionen bekannt ist.“

Doch Emrich weist darauf hin, dass die RERF – das ist die in Hiroshima und Nagasaki angesiedelte amerikanisch-japanische Forschungsstiftung, die bis heute die epidemiologischen Untersuchungen an den Hibakusha durchführt – versucht hat, eine obere Grenze für die von Fallout verursachten Strahlungsdosen abzuschätzen. Sie liegt für Hiroshima bei 0,02 Gray und für Nagasaki bei 0,24 Gray, dort aber begrenzt auf eine wenige Hektar umfassende Fläche (zur Einheit Gray siehe „Gut zu wissen: Radioaktivität“, S. 33). „Es bleibt zwar eine Unsicherheit bezüglich der Berechnung des Krebsrisikos, die ist aber wahrscheinlich klein“, sagt Emrich.

Nachträglich nicht nachweisbar

Das sieht Sawada anders. Er argumentiert, dass die feinen radioaktiven Staubteilchen von Regen aus dem Boden ausgewaschen wurden und somit nachträglich überhaupt nicht mehr nachweisbar seien. Er will sich deshalb nicht auf eine physikalische Bestimmung der Fallout-Radioaktivität verlassen. Maßgeblich sind für ihn in erster Linie die biologisch-medizinischen Auswirkungen des Fallouts. Sawadas Idee: Wenn es Aufzeichnungen darüber gibt, wie viel Prozent der Menschen in welchem Abstand vom Explosionszentrum strahlenbedingte Symptome zeigten, dann sollte daraus zu berechnen sein, welcher Anteil dieser Symptome von der Fallout-Radioaktivität herrührt. Denn von dem Gesamt-Prozentsatz muss nur noch der relativ gut bekannte Anteil abgezogen werden, der von der Direktstrahlung der Atombombe herrührt. Sawada fand die benötigten Daten in RERF-Studien. Unter anderem war darin untersucht worden, wie viele Menschen – abhängig vom Abstand zum Epizentrum – in den Tagen nach der Atombombenexplosion unter Haarausfall oder Durchfall litten, also Symptomen, die von Strahlung verursacht werden können. Da die Dosis der Direktstrahlung der Atombomben spätestens ab drei Kilometer Abstand vom Epizentrum unterhalb der natürlichen Strahlung lag, der alle Menschen fortwährend ausgesetzt sind, hatte die RERF die in größerem Abstand beobachteten Symptome den schlechten hygienischen Bedingungen oder – beim Haarausfall – „psychischen Schockzuständen“ zugeordnet. Diese Erklärung akzeptiert Sawada nicht: „Nur in Hiroshima und Nagasaki, den beiden Städten, auf die eine Atombombe geworfen wurde, nehmen die erwähnten Symptome systematisch mit wachsender Entfernung vom Epizentrum ab. In keiner der anderen Städte, auf die herkömmliche Bomben geworfen wurden, fand man eine solche Entfernungsabhängigkeit.“

Sawada glaubt deshalb, dass die in mehr als drei Kilometer Entfernung vom Epizentrum gefundenen Symptome so gut wie ausschließlich dem Fallout der Atombomben zuzuschreiben sind. Seine Analyse ergab, dass das Strahlenrisiko der weiter entfernten Hibakusha massiv unterschätzt wurde und in Wirklichkeit um bis zu 300 Mal höher war als angenommen. Davon entfällt laut Sawada ein Faktor 50 auf die allgemeine Unterschätzung des internen Strahlenrisikos, der Rest rührt daher, dass die Größe der vom Fallout betroffenen Gebiete unterschätzt wurde.

Die Reaktionen auf Sawadas Arbeit sind zwiespältig: Alle japanischen Gerichte folgten seiner Argumentation, und die Regierung hat bis Ende März 2010 die Krankheiten weiterer 5000 Hibakusha als strahlenbedingt anerkannt. In Wissenschaftskreisen werden Sawadas Ergebnisse dagegen weitgehend ignoriert.

Auf Bitte von bild der wissenschaft hat Werner Rühm vom Helmholtz-Zentrum München sich Sawadas Analyse näher angesehen. „ Vor etwa zehn Jahren hatten wir ein ähnliches Problem“, erklärt Rühm. „Es lagen Messungen vor, die nahelegten, dass die Neutronendosis der Überlebenden im Abstand von etwa 2000 Metern vom Epizentrum um den Faktor 50 unterschätzt worden war.“ Rühm hatte das damals auch geglaubt, konnte es dann aber zu seiner eigenen Überraschung widerlegen (bild der wissenschaft 8/2005, „ Das Erbe der A-Bombe“). „Die früheren Proben waren zum Teil verunreinigt“, erklärt Rühm. Der daraus resultierende Fehler kam vor allem in größeren Abständen vom Epizentrum zum Tragen. Deshalb betrachtet Rühm Sawadas Ergebnis mit Skepsis: „Auch hier geht es um Effekte in größeren Entfernungen. Man sollte erst alle anderen möglichen Ursachen ausschließen, bevor man die Strahlendosis als Erklärung heranzieht.“

„NUR NICHTS ÜBERSEHEN“

Insbesondere zweifelt Werner Rühm an, dass in vielen Gebieten sämtliche radioaktiven Teilchen vom Regen weggewaschen wurden und deshalb nachträglich nicht mehr nachzuweisen sind: „Selbst wenn das für die feinen radioaktiven Partikel zutreffen sollte, die Sawada für das erhöhte Strahlenrisiko verantwortlich macht, dann hätte man doch zumindest Cäsium 137 finden müssen, das sich sehr effektiv an Tonminerale im Boden anheftet. Man konnte Cäsium 137 jedoch nur in den bekannten kleinflächigen Fallout-Gebieten nachweisen.“

Rühm hält den Faktor 300, den Sawada für die Unterschätzung des internen Strahlenrisikos der weiter entfernten Hibakusha errechnet hat, für äußerst unwahrscheinlich, aber er plant weitere Untersuchungen: „Ich habe mir von der RERF unveröffentlichte Daten schicken lassen, die ich auswerten möchte. Die Gruppe der japanischen Atombomben-Überlebenden ist die wichtigste, die wir in der Strahlenepidemiologie haben. Wir dürfen deshalb nichts übersehen. Ich denke, das sind wir den Opfern schuldig.“

Der heute 80-jährige Shoji, der den 6. August 1945 überlebte, hat Physik studiert und ist Professor geworden. Seit 2003 kämpft er als Sachverständiger vor Gerichten für die Belange der überlebenden Atombombenopfer. Aber mit dem bisher Erreichten will sich Professor Shoji Sawada nicht zufrieden geben: „Die japanischen Gerichte habe ich von der unterschätzten Gefährlichkeit der internen radioaktiven Strahlung überzeugt, doch die weltweite Wissenschaftsgemeinde ignoriert meine Ergebnisse bisher. Mir bleibt die Aufgabe, dies zu ändern.“ ■

AXEL TILLEMANS ist Physiker und langjähriger bdw-Autor. Über Radioaktivität und andere Wissenschaftsthemen hält er auch Vorträge.

von Axel Tillemans

Gut zu wissen: Radioaktivität

Radioaktive Substanzen strahlen, wenn ihre Atomkerne zerfallen. Die drei wichtigsten ionisierenden (umgangssprachlich: radioaktiven) Strahlungsarten, die dabei entstehen, sind die Alpha-, Beta- und Gamma-Strahlung.

Beim Alpha-Zerfall werden aus den Atomkernen Heliumkerne, sogenannte Alpha-Teilchen, abgestrahlt: Sie bestehen aus zwei Protonen und zwei Neutronen. Die Reichweite der Alpha-Strahlung beträgt wenige Zentimeter.

Die Beta-Strahlung hat eine Reichweite von bis zu mehreren Metern. Sie entsteht, wenn ein Neutron in ein Elektron, ein Proton und ein Neutrino zerfällt. Das Proton verbleibt im Kern. Das Elektron wird als Beta-Strahlung aus dem Atomkern abgestrahlt, ebenso wie das unschädliche Neutrino. Aus Beta-Strahlung kann Röntgenstrahlung entstehen, wenn die Elektronen abgebremst werden, etwa durch eine Abschirmung.

Die Gamma-Strahlung hat die höchste Reichweite. Bei dieser Strahlung handelt es sich um eine elektromagnetische Wellenstrahlung. Sie entsteht meist nach einem Alpha- oder Beta-Zerfall, wenn sich der Atomkern in einem angeregten, also energiereichen Zustand befindet. Um wieder in den Grundzustand, das heißt in einen energieärmeren Zustand, zu gelangen, gibt der Atomkern Energie in Form von Gamma-Strahlung ab.

Für die Radioaktivität gibt es verschiedene Einheiten. Misst man die Aktivität eines radioaktiven Stoffes – das heißt: die mittlere Zahl der Atomkerne, die pro Sekunde zerfallen –, ist die Einheit Becquerel (Bq). Ein Bq entspricht einem radioaktiven Zerfall pro Sekunde. Die Einheit Gray (Gy), definiert als Joule pro Kilogramm, gibt die Energie an, die durch die Strahlung auf einen Körper übertragen wird. Die ebenfalls häufig verwendete Einheit Sievert (Sv) gibt die Schädlichkeit der Strahlung auf den Körper wieder. Sie entspricht ebenfalls einem Joule pro Kilogramm. Anders als die rein physikalische Einheit Gray berücksichtigt sie die unterschiedliche biologische Schädlichkeit der verschiedenen Strahlungsarten, indem der in Gray gemessene Wert mit einem – nach derzeitigem Wissensstand ermittelten – Wichtungsfaktor multipliziert wird.

Kompakt

· Was man heute über die Risiken radioaktiver Strahlung weiß, beruht zu einem großen Teil auf Langzeituntersuchungen an den Überlebenden der Atombombenabwürfe auf Hiroshima und Nagasaki.

· Das interne Strahlenrisiko wurde bei diesen Untersuchungen vernachlässigt.

· Aufgrund eines neuen Gutachtens haben japanische Gerichte vielen erkrankten Überlebenden eine Rente zugestanden, obwohl diese gemäß der offiziellen Lehrmeinung keiner gefährlichen Dosis ausgesetzt waren.

„Wir bräuchten riesige Mengen an Zellen“

bild der wissenschaft: Herr Professor Zitzelsberger, wieso ist es so schwierig, für kleine Strahlendosen eine zuverlässige Risikobewertung zu bekommen?

Horst Zitzelsberger: Bei kleinen Dosen bräuchten wir riesige Mengen an Zellen oder Versuchstieren, um bei einigen wenigen eine strahleninduzierte Krebsentwicklung zu finden.

Wie ermittelt man denn das Risiko für kleine Dosen?

Man nimmt die Daten, die man bei epidemiologischen Untersuchungen bei hohen und mittleren Dosen gefunden hat, etwa an den Opfern der Atombombenabwürfe auf Japan, und rechnet sie auf kleine Dosen herunter.

Können Sie denn nicht einfach feststellen, wie viele Zellen bei welcher Strahlendosis einen Schaden davontragen?

Doch, das können wir. Wir können zum Beispiel Doppelstrangbrüche in der DNA nachweisen. Aber vorherzusagen, mit welcher Wahrscheinlichkeit sich aus diesem Schaden an einer einzelnen Zelle eine Krebserkrankung im Organismus entwickeln wird, ist äußerst schwierig. Epidemiologische und zellbiologische Daten sind derzeit nicht ohne Weiteres in Einklang zu bringen.

Besteht Hoffnung, in Zukunft mehr über das Krebsrisiko kleiner Strahlendosen zu lernen? Gibt es neue Forschungsansätze dazu?

Meiner Gruppe ist es vor Kurzem gelungen, bei Kindern mit Schilddrüsenkrebs aus der Umgebung von Tschernobyl eine Veränderung im Erbgut nachzuweisen, die nur vorhanden ist, wenn der Schilddrüsenkrebs von Strahlung verursacht wurde. Wir wissen bisher nicht, ob diese Veränderung von der Dosis abhängt. Sollte dies so sein, dann hätten wir zum ersten Mal die Möglichkeit, die von der epidemiologischen Seite ermittelten Risikowerte direkt zu überprüfen.

Gibt es einen Unterschied zwischen dem Risiko durch externe Strahlung und dem durch interne Strahlung, ausgelöst von Partikeln, die in den Körper gelangt sind?

Das herauszufinden, ist unter ande-rem Gegenstand des aktuellen EU- Forschungsprojekts DoReMi. Bei interner Strahlung werden die Zellen permanent bestrahlt, solange die radioaktive Substanz im Körper ist, bei externer Strahlung besteht die Strahlenbelastung nur vorübergehend. Bei Gamma- und Röntgenstrahlung spielt die Unterscheidung zwischen interner und externer Strahlungsquelle meiner Meinung nach keine Rolle, weil diese Strahlung sehr weit reicht. Es kommt hierbei nur auf die Dosis an. Bei Alpha-Strahlung macht es aber einen deutlichen Unterschied, ob der Strahler außerhalb des Körpers oder dicht am Erbgut sitzt.

Wie durch Strahlung Krebs entsteht

Radioaktive Strahlung kann die Erbsubstanz DNA schädigen, entweder indem sie direkt auf das leiterförmige Molekül auftrifft oder indirekt, indem sie ein Wassermolekül in der Zellflüssigkeit in ein Hydroxylradikal umwandelt, das seinerseits die DNA chemisch angreift. Entsteht dabei ein Einzelstrangbruch (A), kann das zelleigene Reparatursystem den Schaden in der Regel fehlerfrei besei- tigen. Schwerwiegender ist es, wenn zwei Doppelstrangbrüche gleichzeitig auf-treten (B). Dabei können sich DNA-Moleküle falsch zusammenlagern (C und D). Eine asymmetrische Umlagerung (C) führt in der Regel zum Tod der Zelle. Bei einer symmetrischen Umlagerung (D) kann es durch die Umgruppierung der DNA-Abschnitte zur Aktivierung krebserzeugender Gene (Onkogene) oder zur Inaktivierung von Tumorsuppressor-Genen (Schutzfaktoren gegen Krebs) kommen. In beiden Fällen verwandelt sich die betroffene Zelle in eine Krebszelle.

Mehr zum Thema

Internet

EU-Forschungsprojekt DoReMi (Low Dose Research towards Multidisciplinary Integration): www.doremi-noe.net

Scientists Concerned About Radiation Risk: www.scarr.eu Diese Wissenschaftler haben viele Indizien zusammengetragen, die für eine extreme Unterschätzung bestimmter Strahlenrisiken sprechen – darunter das interne Strahlenrisiko.

Lesen

Shoji Sawada Cover-up of the effects of internal exposure by residual radiation from the atomic bombing of Hiroshima and Nagasaki Medicine, Conflict and Survival 2007, Vol. 23, No. 1, S. 58

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