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Kapsel injiziert Medikamente in den Magen

Gesundheit|Medizin

Kapsel injiziert Medikamente in den Magen
Magenpille
Eine Kapsel als Injektor. (Bild: Giovanni Traverso)

Tabletten sind für die meisten Menschen weniger unangenehm als Spritzen. Einige Medikamente wirken allerdings nur, wenn sie injiziert werden. Forscher haben nun eine Kapsel entwickelt, die Abhilfe schaffen könnte: Durch eine clevere Konstruktion richtet sie sich nach dem Verschlucken selbstständig im Magen aus und spitzt mit einer winzigen Nadel den Wirkstoff in die Magenschleimhaut. Präklinische Tests an Schweinen verliefen vielversprechend.

Viele Menschen, die an Krankheiten wie Morbus Crohn, rheumatoider Arthritis oder Diabetes leiden, müssen sich regelmäßig Medikamente spritzen oder Infusionen erhalten, um ihre Symptome unter Kontrolle zu halten. Für viele Betroffene sind die häufigen Injektionen belastend und schränken ihre Lebensqualität ein. Einfacher und angenehmer wäre es für sie, stattdessen eine Tablette zu schlucken. Medikamente wie Insulin, Epinephrin oder monoklonale Antikörper, deren Wirkung auf großen Proteinen beruht, können allerdings bislang nicht oral verabreicht werden. Sie würden im Magen-Darm-Trakt zersetzt, bevor sie in den Körper aufgenommen werden können.

Injektionen zum Schlucken

Ein Team um Alex Abramson vom Massachusetts Institute of Technology (MIT) in Cambridge hat nun einen Ansatz entwickelt, der es dennoch möglich machen könnte, diese Medikamente oral aufzunehmen. Die Forscher haben eine schluckbare Kapsel entwickelt, die Wirkstoffe in die Magenschleimhaut injiziert. Mit 12 mal 15 Millimeter ist die Pille etwa so groß wie eine Heidelbeere. Die Form ähnelt einem steil gewölbten Schildkrötenpanzer. „Diese sich selbst ausrichtende Geometrie sorgt dafür, dass sich die Kapsel im Magen so dreht, dass die Injektionsseite immer auf die Magenschleimhaut gerichtet ist – ähnlich wie ein Wackelspielzeug, dass sich immer wieder von selbst aufstellt“, erklären die Forscher.

„Das Design stellt sicher, dass die Kapsel die Dosis in das Gewebe und nicht in die Magenhöhle abgibt. So wird der enzymatische Abbau, der im Magen stattfindet, umgangen.“ Im Inneren der Kapsel, die die Forscher L-SOMA nannten (liquid-injecting self-orienting millimeter-scale applicator), befindet sich der flüssige Wirkstoff sowie ein Injektionsmechanismus. Bevor die Kapsel in den Magen gelangt, wird die Nadel mit einem Pellet aus einem festen Zucker in Position gehalten. Durch den Kontakt mit der Magensäure löst sich das Pellet schnell auf und gibt einen Federmechanismus frei, der die Nadel aus der Kapsel hinaus und in das Gewebe drückt. Ein weiterer Mechanismus sorgt dafür, dass der Wirkstoff injiziert wird. Nach erfolgter Injektion zieht sich die Nadel in die Kapsel zurück und die Kapsel kann ausgeschieden werden.

Ähnlich gute Bioverfügbarkeit wie bei Spritzen

An Schweinen haben die Forscher ihr neues System getestet. Dazu verabreichten sie den narkotisierten Tieren die Kapsel jeweils mithilfe eines Endoskops direkt in den Magen und beobachteten, wie sie sich dort bewegte und ihren Wirkstoff abgab. Für die Tests nutzten Abramson und seine Kollegen vier verschiedene Medikamente, die üblicherweise gespritzt werden müssen: das für Diabetiker wichtige Insulin, Epinephrin, das unter anderem bei Asthma angewendet wird, den monoklonalen Antikörper Adalimumab, der gegen Autoimmunkrankheiten wie rheumatoide Arthritis und Morbus Crohn wirkt, sowie ein GLP-1-Analogon, das ebenfalls bei Diabetes eingesetzt wird.

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„Insgesamt nahmen 28 von 31 der mit L-SOMA behandelten Schweinen den Wirkstoff systemisch auf“, berichten die Forscher. In den drei Fällen, in denen die Aufnahme nicht funktionierte, hatte entweder der Injektionsmechanismus der Kapsel eine Fehlfunktion oder das Medikament wurde zwar injiziert, aber nicht in die Blutbahn aufgenommen. In allen anderen Fällen zeigten die mit L-SOMA verabreichten Medikamente eine ebenso hohe Bioverfügbarkeit, wie wenn die entsprechenden Wirkstoffe unter die Haut oder in einen Muskel gespritzt wurden.

Vielfältige Anwendungsmöglichkeiten denkbar

Zusätzlich untersuchten die Abramson und seine Kollegen, inwieweit L-SOMA womöglich den Magen schädigt. „Manche Tiere hatten nach der Verabreichung eine kleine Blutung der Magenschleimhaut, die aber innerhalb weniger Minuten stoppte und keine bleibenden Spuren hinterließ“, berichten sie. Das galt auch für Schweine, die über drei Tage hinweg wiederholt L-SOMA bekamen. Auch Gewebeproben von eingeschläferten Tieren wiesen allenfalls kleine Auffälligkeiten auf, die aber teils auch auf das Endoskop zurückgingen. „Insgesamt zeigen die Ergebnisse, dass L-SOMA wenn überhaupt nur minimale Gewebeschäden verursacht, die schnell heilen“, so die Forscher.

Dennoch betonen die Forscher, dass bei zukünftigen klinischen Studien am Menschen ein Fokus auf der Sicherheit liegen wird. Während die Schweine die Kapsel per Endoskop bekamen, würden menschliche Patienten L-SOMA schlucken wie eine normale Tablette. Dass dies grundsätzlich funktioniert, haben die Forscher bereits mit Hunden demonstriert.

„Wir wissen heute, dass Tabletten der bevorzugte Weg der Medikamentenverabreichung sind, nicht nur für die Patienten, sondern auch für die Gesundheitsdienstleister“, sagt Abramsons Kollege Giovanni Traverso. Denkbar wäre zukünftig auch, beispielsweise Impfstoffe mit Hilfe von L-SOMA zu verabreichen. „Obwohl wir noch am Anfang stehen, glauben wir, dass dieses Gerät das Potenzial hat, die Behandlungsmethoden in einer Reihe von Therapiebereichen zu verändern“, sagt Co-Autor Ulrik Rahbek vom dänischen Pharmaunternehmen Novo Nordisk, das an der Entwicklung beteiligt ist. „Die laufende Erforschung dieses Ansatzes bedeutet, dass mehrere Medikamente, die derzeit nur über Injektionen verabreicht werden können, in Zukunft auch oral verabreicht werden könnten. Unser Ziel ist es, das Gerät so bald wie möglich in die klinische Erprobung zu bringen.“

Quelle: Alex Abramson (Massachusetts Institute of Technology, Cambridge, USA) et al., Nature Biotechnology, doi: 10.1038/s41587-021-01024-0

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