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Killerzellen gegen Krebs

Gesundheit|Medizin

Killerzellen gegen Krebs
Schon lange versuchen Wissenschaftler, das körpereigene Abwehrsystem im Kampf gegen Krebs einzuspannen. Jetzt gibt es die ersten Erfolge.

Eine „Kinderei” urteilte Jules Bordet, vor 120 Jahren einer der bedeutendsten Immunologen der Welt. Was ihm missfiel, war eine Zeichnung seines deutschen Kollegen Paul Ehrlich. Sie zeigte eine rundliche Zelle mit vielen kleinen Ausstülpungen. Mit diesen „Seitenketten”, behauptete Ehrlich, könne die Zelle fremde Stoffe erkennen und sich wie Schlüssel und Schloss mit ihnen verbinden. Gleich darauf beginne sie mit der Massenproduktion ähnlicher Seitenketten, sogenannter Antikörper, die sie im Blut auf Streifzug schickt, wo sie nach passenden Strukturen, den Antigenen, fahnden. Die Vorstellung Ehrlichs aus dem Jahr 1897 erregte Widerspruch – nicht nur bei seinem belgischen Kontrahenten Bordet.

Ehrlich glaubte, die Seitenketten seien wichtige Waffen des Immunsystems, um Schadstoffe abzuwehren. Dazu zählte Ehrlich nicht nur Eindringlinge wie Bakterien oder Viren. Auch körpereigene Zellen, die sich den Wachstumskontrollen des Organismus entzogen und in Krebszellen verwandelt haben, könne das Immunsystem eliminieren: Ständig entstünden Krebszellen im menschlichen Körper, schrieb Ehrlich im Jahr 1909 in seinem Bericht „Über den jetzigen Stand der Karzinomforschung”. Dank der „Schutzvorrichtungen des Organismus” blieben die alltäglichen Zellentgleisungen aber meist folgenlos. Krebs könne nur dann entstehen, wenn das Immunsystem versagt. Auch mit dieser Annahme stand Paul Ehrlich lange allein.

Ersatz für Chemo- und Strahlentherapie

Heute werden im Labor hergestellte Antikörper als Medikamente eingesetzt, um Tumorzellen aufzuspüren und zu zerstören. Die Antikörper-Therapie gilt als das erfolgreichste Konzept der Immuntherapie, die Strategien der körpereigenen Abwehr nutzen will, um Krebszellen unschädlich zu machen. Alle anderen Versuche, die Schutzvorrichtungen des Organismus im Kampf gegen Krebs zu aktivieren, sind weitgehend gescheitert. Doch im Buch der Krebsimmuntherapie ist ein neues Kapitel aufgeschlagen: Immunologische Therapien gelten zurzeit als die größten Hoffnungsträger der Krebsmedizin, das Fachblatt „Science” feierte sie gar als „wissenschaftlichen Durchbruch des Jahres 2013″.

Was das renommierte Magazin das große Wort „Durchbruch” wagen lässt, sind neue Methoden, die offenbar das Immunsystem dazu bringen können, Tumore ohne Zögern anzugreifen. Von den neuen Therapieversuchen profitieren bislang nur sehr wenige Patienten mit bestimmten Krebserkrankungen. Dennoch sprechen Experten von einem „Paradigmenwechsel”. Denn nicht mehr die Tumorzellen selbst werden mit Zellgiften oder Strahlen traktiert. Stattdessen werden die körpereigenen Abwehrspezialisten sensibilisiert, kompromisslos gegen die zellulären Amokläufer vorzugehen. Dem Krebs wird damit der wohl einzige Gegner gegenübergestellt, der ihm an Flexibilität ebenbürtig ist.

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Die Geschichte der Immuntherapie beginnt vor über 100 Jahren mit einem geheimnisvollen Extrakt bakterieller Gifte, die der amerikanische Arzt William Coley Tumorpatienten verabreichte. Warum das „Coley-Toxin” gelegentlich wirkte, wusste niemand. Vermutlich stimulierte es das Immunsystem – doch das war bis in die 30er-Jahre noch Terra incognita. Andere Verfahren wie die Chemo- und Strahlentherapie rückten in den Vordergrund – das Immunsystem wurde kaum mehr beachtet. Hinzu kam, dass die meisten Forscher davon überzeugt waren, Tumore seien „von Natur aus” kein Angriffsziel für das Immunsystem. Jede Tumorzelle gehe schließlich aus einer Zelle des Körpers hervor, und das wichtigste Lernziel der Immunzellen während ihrer Ausbildung laute, Körpereigenes niemals anzugreifen: Eine Immunzelle, die sich nicht daran hält, wird gnadenlos aussortiert.

Auftrieb erfuhr die Tumorimmunologie erst ab den 1950er-Jahren, als sich bei Untersuchungen mit Tieren zeigte, dass die Abwehr sehr wohl auf entartete Zellen reagiert – zwar nur schwach, aber deutlich messbar. Auch beim Menschen ist das der Fall. Doch auch hier arbeitet das Immunsystem mit angezogener Bremse. Die Frage ist: Kann man das mächtige körpereigene System dazu „überreden”, seine verhängnisvolle Duldsamkeit aufzugeben und einen Tumor genauso bedingungslos anzugreifen wie zum Beispiel eine transplantierte Leber, die es ohne weitere Schutzmaßnahmen innerhalb weniger Tage zerstört?

Immunzellen in Schockstarre

Das Einzige, was die körpereigene Abwehr braucht, um derart radikal vorzugehen, ist ein „Antigen”, ein Molekül, das Immunzellen eindeutig als körperfremd erkennen. Diese Eindeutigkeit lassen Tumorzellen zwar vermissen – dennoch verraten sie sich. Wie die Forscher heute wissen, erfährt eine gesunde Zelle auf dem Weg zur Krebszelle viele genetische Veränderungen. Die Folge sind veränderte Proteinprodukte, die als Antigene auf der Oberfläche von Tumorzellen auftauchen. Es sind zumeist subtile Zeichen – aber sie existieren: auf Blut- und Nierenkrebszellen beispielsweise oder auf Zellen des schwarzen Hautkrebses. Allerdings können Krebszellen ihre sonst so schlagkräftigen Gegenspieler in perfider Weise bis hin zur Schockstarre manipulieren oder in den Selbstmord treiben. So produzieren Krebszellen beispielsweise „Abschaltmoleküle” und deponieren sie vorsorglich in ihrer Zellmembran. Wenn sich nun eine T-Killerzelle nähert – der Zelltyp des Immunsystems, der Tumorzellen am gefährlichsten werden kann – schaltet die entartete Zelle die angreifende Zelle einfach ab und vermehrt sich unbehelligt weiter.

1987 entdeckten französische Forscher ein Protein, das sie CTLA-4 (Cytotoxic T-Lymphocyte Antigen-4) nannten. Es steckt wie eine kleine Antenne in der Membran von T-Zellen. Empfängt die Antenne das zugehörige Signal, stellt die T-Zelle ihren Angriff ein – selbst dann, wenn sie einen Gegner bereits fest im Visier hat (siehe Grafik links unten). CTLA-4 wirkt wie eine Bremse. Mitte der 1990er-Jahre kamen amerikanische Forscher auf die Idee, Antikörper zu basteln und damit die CTLA-4-Antennen der T-Zellen von den Abschaltsignalen der Tumorzellen abzuschirmen. In Untersuchungen mit Tieren erwies sich die Bremsblockade als erstaunlich effektiv: Ihre Tumore verschwanden. Auch bei Patienten, die an metastasiertem schwarzen Hautkrebs erkrankt waren, schlug eine Behandlung mit Ipilimumab an, dem Antikörper gegen CTLA-4.

Ein weiteres prominent gewordenes Protein, das T- Zellen davon abhält, ihr zerstörerisches Potenzial zu entfalten, ist PD-1 („ Programmed Death 1″). Auch dieser Anfang der 1990er-Jahre von japanischen Forschern entdeckte molekulare Bremsklotz lässt sich mit eigens kreierten Antikörpern (Nivolumab) lösen.

Aufgerüstete Chimären

Weltweit suchen Forscher derzeit nach weiteren Molekülen, die Angriffsziele von immunmodulierenden Wirkstoffen sein könnten. Solche Wirkstoffe haben jedoch vermutlich nur dann Erfolg, wenn sich im Körper spontan T-Zellen gegen den Tumor bilden. Der Patient muss die angriffslustigen Immunzellen also bereits mitbringen, damit deren Bremsen gelockert und sie zur ungehemmten Attacke veranlasst werden können. Das ist bei manchen Patienten der Fall, bei anderen aber leider nicht.

Den Erfolg weniger dem Zufall überlassen will ein anderer immuntherapeutischer Ansatz, die sogenannte CAR-Therapie. Dazu werden den Patienten T-Zellen entnommen und im Labor so verändert, dass sie einen Rezeptor tragen – den „Chimären Antigen Rezeptor” oder CAR. Die Chimäre vereinigt die Fähigkeit eines Antikörpers, sein Zielmolekül präzise aufzuspüren, mit der zerstörerischen Kraft der T-Zelle. Aufgerüstet mit dem passenden Antikörperfragment, kann die T-Zelle agieren, ohne dem regulatorischen Signalwerk des Immunsystems unterworfen zu sein. Mit individuell konstruierten CAR-T-Zellen, die sich gegen das Antigen CD19 auf Blutkrebszellen richten, waren amerikanische Forscher kürzlich erfolgreich.

Auch im Deutschen Krebsforschungszentrum (DKFZ) in Heidelberg arbeiten die Forscher an neuen Verfahren, um das Immunsystem in den Kampf gegen Krebs einzuspannen. Philipp Beckhove und seine Mitarbeiter von der DKFZ-Abteilung „Translationale Immunologie” haben kürzlich eine Methode entwickelt, die Immuntherapien wirksamer machen könnte. So verhindern Tumore oft, dass die Zellen der Blutgefäße auf ihrer Oberfläche Moleküle bilden, die wie Anker funktionieren. An ihnen können sich vorbeischwimmende Immunzellen festhalten und das Gefäß Richtung Tumor verlassen. „ Mit einer örtlich verabreichten niedrigen Strahlendosis können wir das Wachstum von Ankermolekülen in der Gefäßwand auslösen”, sagt Beckhove. „Damit machen wir den Immunzellen den Weg frei.”

Killerzellen aus dem Labor

Nahezu ein Dutzend weiterer Moleküle, die bei den Reaktionen des Immunsystems gegenüber Tumoren eine Rolle spielen, haben die Wissenschaftler des Krebsforschungszentrums in der Zwischenzeit identifiziert. Ihr Ziel ist es, sie gemeinsam mit Pharmafirmen zu neuen Wirkstoffen weiterzuentwickeln.

Dirk Jäger, Leiter der klinischen Kooperationseinheit Angewandte Tumorimmunität und Direktor im Nationalen Centrum für Tumorerkrankungen (NCT) in Heidelberg, will schon im Jahr 2015 mit einer klinischen Studie beginnen, in der Patienten eine individuelle Therapie mit gentechnisch optimierten T-Zellen angeboten wird. Dazu ermitteln die Wissenschaftler vorab alle genetischen Veränderungen, die den Tumor eines Patienten kennzeichnen. „Das ist heute in ein bis zwei Wochen machbar”, erklärt Jäger. Idealerweise richten sich die eigens konstruierten T-Zellen dann gegen die individuell ermittelten Tumorantigene des Patienten.

Ob die Ansätze halten, was sie versprechen, muss die Zukunft zeigen. „Das Immunsystem ist hochkomplex”, sagt Jäger. „Aber je besser wir es kennenlernen, desto vielfältiger sind die Möglichkeiten.” •

von Claudia Eberhard-Metzger

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