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Mit mRNA gegen Muskelschwund

Gesundheit|Medizin

Mit mRNA gegen Muskelschwund
Muskelfasern
Aus editierten Stammzellen gewachsene Muskelfasern (grün). Die Zellkerne sind blau angefärbt. © AG Spuler/MDC

Die meisten Formen von Muskeldystrophie werden durch ein einzelnes fehlerhaftes Gen ausgelöst. Heilbar ist der fortschreitende Muskelschwund aber bisher nicht. Nun haben Forscher die Grundlagen für einen möglichen Therapieansatz gelegt: Mit Hilfe von mRNA haben sie die Genschere CRISPR/Cas9 in menschliche Muskelstammzellen eingeschleust. Auf diese Weise konnten sie ein defektes Gen reparieren. In der Zellkultur bildeten die reparierten Stammzellen erfolgreich Muskelfasern. Klinische Studien an Patienten sollen folgen.

Eine winzige Veränderung im Genom kann schwerwiegende Auswirkungen haben. Bei fast allen der rund 50 bekannten Formen von Muskeldystrophie führt eine einzelne Genmutation dazu, dass bestimmte Eiweiße, die für den Muskelstoffwechsel unabdingbar sind, fehlen. In der Folge baut sich das Muskelgewebe mit der Zeit ab, sodass die Betroffenen an Muskelschwäche leiden und schließlich nicht mehr in der Lage sind, sich selbstständig fortzubewegen, zu schlucken oder Gegenstände zu greifen. Bisherige Medikamente können das Fortschreiten der Krankheit verzögern und erhöhen die Lebenserwartung der Betroffenen. Heilbar ist eine Muskeldystrophie bislang nicht.

Genreparatur in Muskelstammzellen

Für eine Heilung wäre es notwendig, das defekte Gen zu reparieren. Eine Möglichkeit für eine solche Gentherapie hat nun ein Team um Christian Stadelmann vom Experimental and Clinical Research Center (ECRC) des Max-Delbrück-Centrums für Molekulare Medizin (MDC) und der Charité – Universitätsmedizin Berlin erforscht. „Wir verfolgen schon seit Jahren die Idee, erkrankten Menschen Muskelstammzellen zu entnehmen, die veränderten Gene mithilfe der Genschere CRISPR/Cas9 zu reparieren und die so behandelten Zellen zurück in die Muskeln zu injizieren, damit sie sich dort vermehren und neues Muskelgewebe bilden“, erläutert Stadelmanns Kollegin Helena Escobar.

Für die aktuelle Studie entnahmen die Forscher Muskelstammzellen von Spendern unterschiedlichen Alters und Geschlechts. Um die Bauanleitung für die Genschere CRISPR/Cas9 in die Zellen zu schleusen, nutzten die Forscher mRNA. In früheren Versuchen mit Mäusen hatten sie statt dieser Boten-RNA sogenannte Plasmide verwendet – ringförmige, doppelsträngige DNA-Moleküle aus Bakterien. Anders als bei der einsträngigen mRNA besteht bei Plasmiden jedoch das Risiko, dass diese sich ungewollt in das menschliche Genom integrieren und zu unerwünschten Effekten führen. „Patientinnen und Patienten hätten wir so daher nicht behandeln können“, sagt Escobar.

mRNA als Transporter

Die mRNA dagegen wird nach kurzer Zeit in der Zelle abgebaut. „Somit bietet die mRNA-vermittelte Einbringung eine Plattform, um zeitlich begrenzt und ohne das Risiko einer Integration ins Genom die Zelle dazu zu bringen, genverändernde Enzyme für therapeutische Genome Editing-Anwendungen zu produzieren“, schreiben die Forscher. Dabei setzen sie auf ein ähnliches Prinzip wie bei den mRNA-Impfung gegen das Coronavirus. „In den Impfstoffen enthalten die mRNA-Moleküle die genetische Information für den Aufbau des Spike-Proteins des Virus, mit dem der Erreger in menschliche Zellen eindringt“, erläutert Stadelmann. „Für unsere Zwecke nutzen wir mRNA-Moleküle, die die Bauanleitung für die Genschere enthalten.“ Anders als die Impfstoffe, die die menschliche DNA nicht verändern können, kann die Genschere defekte Gene gezielt reparieren.

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Damit die mRNA in die Zellen gelangen konnte, machten die Forscher die Zellmembranen der entnommenen Muskelstammzellen vorübergehend für größere Moleküle durchlässig. Dazu nutzten sie ein Verfahren namens Elektroporation, bei dem sie ein elektrisches Feld an die Zellen anlegten und so die Membraneigenschaften kurzzeitig veränderten. Ob die mRNA tatsächlich aufgenommen wurde, prüften sie mit einem Trick: „Mithilfe von mRNA, die die genetische Information für einen grün fluoreszierenden Farbstoff enthielt, konnten wir zunächst nachweisen, dass fast alle Stammzellen die mRNA-Moleküle in sich aufnehmen“, berichtet Stadelmann.

Klinische Studien geplant

Um nachzuweisen, dass es mit dieser Methode tatsächlich möglich ist, das Genom der Zellen zu editieren, veränderten die Forscher mit Hilfe der Genschere das Gen für ein Oberflächenmolekül der Muskelstammzellen. Dieses Molekül hat keine Auswirkungen auf die Funktionsfähigkeit der Zellen, lässt sich aber einfach detektieren. Tatsächlich gelang es ihnen, gezielte Änderungen in dem Gen vorzunehmen, die durch eine veränderte Ausprägung des Oberflächenmoleküls sichtbar wurden. Auch Versuche mit einem anderen molekulargenetischen Werkzeug, das anders als die Genschere CRISPR/Cas9 die DNA nicht schneidet, sondern punktgenau eine Base austauscht, verliefen erfolgreich. In der Zellkultur waren die genetisch bearbeiteten Muskelstammzellen ebenso wie gesunde Muskelzellen in der Lage, miteinander zu fusionieren und junge Muskelfasern zu bilden.

„Wir planen jetzt, gegen Ende des Jahres eine erste klinische Studie mit fünf bis sieben Patientinnen und Patienten zu starten, die an Muskeldystrophie leiden“, sagt Stadelmanns Kollegin Simone Spuler. Dabei sollen Muskelstammzellen der Patienten entnommen, repariert und anschließend wieder in den Muskel transplantiert werden – ähnlich, wie es die Forscher bereits an Mäusen getestet haben. Zunächst ist diese Methode nur geeignet, um kleine Muskeln zu reparieren. „Erkrankte, die im Rollstuhl sitzen, werden auch nach unserer Therapie nicht einfach aufstehen und loslaufen“, sagt Spuler. Doch für viele der Betroffenen sei es schon ein großer Fortschritt, wenn ein kleiner Muskel, der beispielsweise fürs Greifen oder Schlucken wichtig sei, wieder besser funktioniere.

Langfristig wollen die Forscher auch Methoden entwickeln, bei denen die molekularen Werkzeuge nicht nur in isolierte Muskelstammzellen, sondern direkt in den Muskel eingebracht werden können. In diesem Fall könnte es auch möglich sein, größere Muskeln, wie sie zum Stehen und Gehen benötigt werden, zu reparieren.

Quelle: Christian Stadelmann (Max-Delbrück-Centrums für Molekulare Medizin in der Helmholtz-Gemeinschaft (MDC), Berlin) et al., Molecular Therapy Nucleic Acids, doi: 10.1016/j.omtn.2022.02.016

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