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Mitochondrien-DNA kann ins Genom einfließen

Genetik

Mitochondrien-DNA kann ins Genom einfließen
Künstlerische Darstellung eines Mitochondriums samt DNA-Fäden. © Jian Fan/iStock

Weniger getrennt als gedacht: Stücke des normalerweise separaten Erbguts unserer Zellkraftwerke können manchmal in die Kern-DNA eingebaut werden, zeigt eine Studie. Zu einer solchen Übertragung von Mitochondrien-Sequenzen kommt es demnach bei der Entstehung von ungefähr einem von 4000 Menschen. Der Effekt könnte eine evolutionäre Bedeutung besitzen und es gibt zudem Hinweise auf einen Zusammenhang mit Krebserkrankungen, sagen die Wissenschaftler.

Ähnlich wie der gesamte Körper besitzen auch seine Zellen funktionale Einheiten – die sogenannten Organellen. Den Mitochondrien kommt dabei eine Kraftwerksfunktion zu: Sie stellen Energie in Form des Moleküls ATP für den Betrieb der Zellen bereit. Diese Organellen zeichnet zudem eine weitere Besonderheit aus: Jedes Mitochondrium besitzt seine eigene DNA, die sich vom Rest des menschlichen Genoms unterscheidet, das aus der Kern-DNA besteht. Die mitochondriale DNA umfasst dabei Gene, die der Funktion der Organelle dienen.

Integrierter Mitochondrien-DNA auf der Spur

Man geht davon aus, dass das System vor Urzeiten durch den Prozess der sogenannten Endosymbiose entstanden ist: Irgendwann nahm ein Einzeller eine andere Mikrobe in sich auf und es bildete sich schließlich eine Einheit. Die Mitochondrien besitzen deshalb noch immer Merkmale eines separaten Organismus – einschließlich eigenen Erbguts. Es war bereits bekannt, dass es einst auch zu einem DNA-Transfer von den Mitochondrien in den Zellkern gekommen ist. Man nahm allerdings bisher an, dass die entsprechenden Kern-Mitochondrien-Segmente uralt sind und der menschlichen Entwicklungsgeschichte lange vorausgingen.

Ein weiterer spezieller Aspekt ist, dass die mitochondriale DNA nur über die mütterliche Linie vererbt wird – das heißt, wir erhalten sie nicht von unseren Vätern. Im Jahr 2018 stieß ein Forscherteam dabei allerdings auf einen erstaunlichen Befund: Ihre Ergebnisse schienen nahezulegen, dass ein Teil der mitochondrialen DNA auch in väterlicher Linie vererbt werden kann. Dieser Spur ging dann ein Forscherteam um Patrick Chinnery von der University of Cambridge weiter nach. Dabei stießen die Wissenschaftler auf erste Hinweise darauf, dass es bei Kindern mitochondriale DNA-Einschübe in der Kern-DNA geben kann, die in der DNA ihrer Eltern nicht vorhanden waren.

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Was die Forscher zuvor beobachtet hatten, waren demnach wohl nicht väterlich vererbte mitochondriale Einheiten, sondern diese genetischen Einschübe. Um mehr Licht auf dieses Phänomen zu werfen, haben Chinnery und seine Kollegen nun eine breiter angelegte Studie durchgeführt: Sie durchsuchten die Genomsequenzen von 66.000 Menschen nach Spuren von Mitochondrien-DNA-Segmenten, die erst relativ spät in die Kern-DNA gelangt sind. Wie sie erklären, ist diese Zuordnung anhand bestimmter genetischer Merkmale der Stücke möglich.

Fortlaufender Einbau

Wie das Team berichtet, ging aus ihren Analysen hervor: Es kommt immer noch zu einem Transfer von mitochondrialer DNA in den Zellkern. „Man ging davon aus, dass dies vor sehr langer Zeit geschah, noch bevor wir uns als Spezies entwickelt hatten, aber wir haben entdeckt, dass das nicht stimmt“, sagt Chinnery. Das Team fand heraus, dass die meisten von uns etwa fünf neue Einschübe in sich tragen, und einer von sieben trägt sogar einen besonders jungen. Mehr als 90 Prozent der insgesamt 1637 entdeckten unterschiedlichen Stücke wurden in das Kerngenom eingefügt, nachdem sich der Mensch vom Affen abgespalten hat, schreiben die Forscher. Das Team schätzt, dass es bei der Entstehung von ungefähr einem von 4000 Menschen zu einer Übertragung von Mitochondrien-Sequenzen in die Kern-DNA kommt.

Es ist nicht genau klar, wie sich die mitochondrialen DNA-Schnipsel einfügen – ob direkt oder über eine RNA-Zwischenform. Aber wahrscheinlich kommt es zu dem Prozess in den Eizellen der Mutter, sagen die Forscher. Dass sich Mitochondrien-DNA-Stücke nicht zunehmend im menschlichen Erbgut ansammeln, liegt ihnen zufolge wohl daran, dass sie besonders häufig wieder aus dem Genom verschwinden. Oft bleibt der Einbau der Sequenzen weitgehend folgenlos, gelegentlich könnten die genetischen Veränderungen aber auch zu verschiedenen Auswirkungen auf den Organismus führen. Der fortlaufende Einbau von mitochondrialen Erbgut-Stücken in die Kern-DNA könnte somit Einfluss auf die menschliche Evolution gehabt haben, sagen die Wissenschaftler.

Wie sie weiter berichten, lieferten ihre Ergebnisse auch interessante Hinweise auf einen möglichen Zusammenhang der DNA-Einschübe mit Krebs: Als die Forscher genetische Sequenzen aus 12.500 Tumorproben untersuchten, stellten sie fest, dass mitochondriale DNA in Tumor-DNA vergleichsweise häufig zu finden ist: in etwa einem von 1000 Krebsfällen. Bei einigen könnte die Insertion dabei auch den Krebs verursacht haben. Möglicherweise besitzt die Mitochondrien-DNA aber auch eine positive Funktion: „Unser nuklearer genetischer Code geht ständig kaputt und wird fortlaufend repariert“, erklärt Chinnery. „Die mitochondriale DNA könnte dabei wie ein Pflaster wirken, das bei der Reparatur des genetischen Kerncodes hilft. Manchmal funktioniert das vielleicht, aber in seltenen Fällen kann es die Dinge verschlimmern oder sogar die Entwicklung von Tumoren auslösen“, so Chinnery.

Wie es scheint, wirft die Studie nun also interessante weiterführende Fragen auf.

Quelle: University of Cambridge, Fachartikel: Nature, doi: 10.1038/s41586-022-05288-7

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