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Neue Referenzen für das menschliche Genom

Gesundheit|Medizin

Neue Referenzen für das menschliche Genom
DNA
Die DNA-Sequenz unseres Erbguts ist die Grundlage unserer Existenz. (Bild: peterschreiber.media/ iStock)

Vor genau 20 Jahren hat das Humangenomprojekt die Entschlüsselung des menschlichen Genoms vollendet. Jetzt ist einem internationalen Forschungskonsortium ein wichtiger nächster Schritt gelungen: Sie haben 64 Referenzgenome des Menschen erstellt, die erstmals größere Strukturvarianten aufzeigen und die Unterschiede der jeweils mütterlichen und väterlichen Erbgutanteile eines Menschen. Weil die DNA-Proben für diese Referenzgenome zudem aus 25 Populationen auf verschiedenen Kontinenten stammen, eröffnen sie einen ganz neuen Blick auf die genetische Vielfalt der Menschheit.

Am 12. Februar 2001 war es soweit: Nach mehr als zehn Jahren der Arbeit veröffentlichten die Wissenschaftler des Humangenomprojekts die erste entschlüsselte Version des menschlichen Genoms. Beruhend auf Fragmenten verschiedener DNA-Proben zeigte diese Sequenzierung die Abfolge der DNA-Basen im rund 3,2 Milliarden “Buchstaben” langen genetischen Bauplan des Menschen. Seither sind DNA-Analysen und -Vergleiche zum Standard-Werkzeug vieler Wissenschaftsgebiete geworden. Sie helfen beim Aufspüren von Krankheitsgenen, der Rekonstruktion von Herkunft und Migrationsbewegungen verschiedener Populationen oder der Entwicklung neuer Gentherapien.

Lange Abschnitte statt kurzer Fragmente

Doch eine Lücke gab es bislang bei dieser Forschung: Wegen methodischer Einschränkungen mussten für diese Vergleiche die Genome in kurze Fragmente zerteilt, diese vermehrt und dann einzeln analysiert und durch Abgleich mit Referenzgenomen wieder in richtiger Reihenfolge zusammengefügt werden. Diese Methoden eignen sich zwar gut dazu, Unterschiede in nur einer DNA-Base oder kurzen Abschnitten aufzuspüren, andere prägende Strukturvarianten des Erbguts lassen sich damit jedoch kaum untersuchen. So fallen Basenfolgen mit vielen Wiederholungen heraus, weil sie sich schwer zuordnen lassen, und auch Veränderungen längerer Abschnitte, sogenannte Strukturvarianten, sind mit der klassischen Kurzstrang-Sequenzierung kaum identifizierbar. Gerade sie haben jedoch einen erheblichen Einfluss auf die Genfunktion und können auch bei der Charakterisierung von individuellen und populationsgenetischen Unterschieden helfen. “Die erste menschliche Genomsequenz war ein großer Schritt nach vorn, aber sie war unvollständig”, erklärt Co-Autor Charles Lee vom Jackson Laboratory for Genomic Medicine in den USA. “Neben der Variation einzelner Basen wissen wir heute, dass auch strukturelle Varianten ganz wesentlich zu den genomischen Unterschieden zwischen Individuen beitragen.”

Deshalb hat nun ein internationales Forschungskonsortium um Peter Ebert von der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf jüngste Fortschritte in der Sequenzierungstechnologie genutzt, um neue Referenzgenome zu erstellen. Die DNA dafür stammt von 32 Menschen aus verschiedensten Teilen der Erde, die zu 25 verschiedenen Populationsgruppen aus Afrika, Nordamerika, Ost- und Südasien und Europa gehören. Für ihr Projekt unterzogen die Forscher das Erbgut einer sogenannten Long-Read-Genomanalyse. Gleichzeitig jedoch sequenzierten sie den jeweils väterlichen und mütterlichen Erbgutanteil jeder Person getrennt. Denn in jeder Zelle tragen wir 23 Chromosomenpaare und in jedem Paar stammt ein Chromosom vom Vater und eins von der Mutter. „Für jedes menschliche Individuum, das an der Studie teilgenommen hat, haben wir nicht ein, sondern zwei Genome identifiziert – eines für jeden Chromosomensatz,“ erklärt Jan Korbel vom Europäischen Laboratorium für Molekularbiologie (EMBL).

Mehr als 100.000 Strukturvarianten

Das Ergebnis sind 64 Referenzgenome, die erstmals einen umfassenderen Blick auf die genetischen Unterschiede zwischen den verschiedenen menschlichen Populationen, aber auch zwischen Individuen und sogar den Genanteilen innerhalb einer Person erlauben. „Mit diesen neuen Referenzdaten können genetische Unterschiede vor dem Hintergrund der globalen genetischen Variation mit bisher unerreichter Genauigkeit untersucht werden“, sagt Ebert. Schon in den ersten Vergleichen identifizierte das Team gut 107.500 Strukturvarianten, von denen 68 Prozent zuvor unerkannt waren. Außerdem wurden 316 Abschnitte mit umgekehrter Basenabfolge gefunden, 2,3 Millionen Stellen an denen DNA-Stücke fehlten oder eingesetzt sind sowie rund 15,8 Millionen Einzelnukleotidvarianten (SNV) – DNA-Positionen, an denen durch eine Mutation eine Base durch eine andere ersetzt worden ist. Dies stelle den vielfältigsten Satz menschlicher Referenzgenome dar, der jemals zusammengestellt wurde, und erfasse die genetische Vielfalt der menschlichen Spezies besser als je zuvor.

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Konkret können die neuen Daten beispielsweise die häufig bei der Fahndung nach Krankheitsgenen eingesetzte Methode der genomweite Assoziationsstudie deutlich verbessern. Bei dieser werden genetische Varianten über das gesamte Genom hinweg verglichen, um herauszufinden, ob bestimmte Varianten mit bestimmten Merkmalen oder Krankheiten assoziiert sind. „Die Erfassung des gesamten Spektrums struktureller Variationen, die in menschlichen Genomen zu finden sind, ist für klinische Anwendungen von entscheidender Bedeutung”, erklärt Co-Autorin Qihui Zhu vom Jackson Laboratory. „Diese Varianten beeinflussen die Genfunktion und können zu Krankheiten, Unterschieden im Ansprechen auf Medikamente und mehr beitragen. Zu wissen, wie sie sich bei Individuen und in verschiedenen Populationen unterscheiden, ist notwendig, um eine effektivere genomische Medizin zu implementieren.”

Die Referenzgenome erleichtern es aber auch, bevölkerungsspezifische Vergleiche durchzuführen und noch genauere Rückschlüsse über die Vergangenheit und Entwicklung verschiedener Populationen zu gewinnen. „Diese Genome werden den Weg für eine neue Welle wissenschaftlicher Entdeckungen über die Biologie des menschlichen Genoms und den Zusammenhang zwischen genetischer Variation und Krankheit ebnen”, sagt Co-Autor
Bernardo Rodriguez-Martin vom EMBL.

Quelle: Peter Ebert (Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf) et al., Science, doi: 10.1126/science.abf7117

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