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Neuronen, die speziell Gesang zuhören

Hirnforschung

Neuronen, die speziell Gesang zuhören
Forscher sind den neuronalen Mechanismen der Musikwahrnehmung auf der Spur. © libre de droit/iStock

Erstaunlich feinen Spezialisierungen auf der Spur: Im auditorischen Cortex des Gehirns sitzt nicht nur eine Art Musikzentrum – es gibt auch eine Nervenzell-Gruppe, die speziell auf die Wahrnehmung von Gesang eingestellt ist, berichten Forscher. Diese Neuronen reagieren auf menschliche Laute in gesungener Version, aber kaum auf Sprache oder Instrumentalmusik. Dies geht aus Untersuchungen mittels funktioneller Magnetresonanztomographie in Kombination mit der Aufzeichnung der Nervenaktivität durch Elektroden im Gehirn von Epilepsie-Patienten hervor. Wie und warum die „Gesangs-Neuronen“ so speziell reagieren, sollen nun weitere Untersuchungen klären.

Das Gehirn ist und bleibt das geheimnisvollste aller Organe: Wie dieses Gebilde aus unzähligen und komplex miteinander verbundenen Nerven unsere geistigen Fähigkeiten hervorbringt, gibt Wissenschaftlern noch immer viele Rätsel auf. Klar ist, dass es bestimmte Zuständigkeitsbereiche gibt – Regionen und Gruppen von Neuronen, die bestimmte Aufgaben übernehmen. So werden beispielsweise im motorischen Cortex Bewegungsabläufe gesteuert, für die Verarbeitung von Höreindrücken ist hingegen der auditorische Cortex zuständig. Neben diesen groben Einteilungen konnten Forscher in den letzten Jahren auch immer feinere Spezialisierungen auf bestimmte Aspekte in verschiedenen Hirnzentren aufzeigen. Dieser Herausforderung widmet sich auch das Team um Nancy Kanwisher vom Massachusetts Institute of Technology in Cambridge.

Dem neuronalen Echo der Musik auf der Spur

Konkret gehen die Forscher der Frage nach, wie Musik im auditorischen Cortex verarbeitet wird. Die aktuelle Veröffentlichung baut dabei auf einer früheren Studie auf, in der das Team bereits eine Population von Neuronen identifizieren konnte, die speziell auf Musik reagiert. Bei dieser Studie kam die funktionelle Magnetresonanztomographie (fMRI) zum Einsatz, die Aktivitäten in bestimmten Hirnbereichen aufzeigen kann. Die Forscher scannten dazu die Gehirne von Probanden, während sie 165 Geräusche unterschiedlicher Kategorien hörten – darunter verschiedene Arten von Sprache und Musik sowie Höreindrücke wie Hundegebell. Durch ein spezielles Analyseverfahren der fMRI-Daten konnten die Wissenschaftler dabei neuronale Populationen mit unterschiedlichen Reaktionsmustern identifizieren – darunter eine, die auf Sprache reagiert und eine weitere, die speziell auf Musik anspricht.

Nun zeigen die Forscher, dass sich die neuronale Spezialisierung durch eine neue Kombinations-Methode noch weiter aufschlüsseln lässt. Sie nutzten dazu Daten, die durch das Verfahren der sogenannten intrakraniellen Elektroenzephalographie (EkoG) generiert wurden. Dabei werden Aktivitätsmuster von Nerven durch im Schädel platzierte Elektroden erfasst. Das invasive Verfahren dient normalerweise der Untersuchung von Epilepsie-Patienten im Rahmen ihrer Behandlung. Die Sonden können genauere Einblicke liefern als das fMRT-Verfahren, bei dem der Blutfluss im Gehirn als Hinweis auf die Neuronenaktivität genutzt wird. „Die Daten, die wir bisher sammeln konnten, sagten uns, dass hier ein Teil des Gehirns etwas tut. Wir wollten nun genauer wissen, was wo verarbeitet wird“, so Kanwisher.

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Für ihre Studie gewannen die Wissenschaftler die Unterstützung von 15 Epilepsie-Patienten. Als deren Hirnaktivität durch das EkoG-Verfahren erfasst wurde, spielten sie ihnen dieselbe Reihe von 165 Hörbeispielen vor, die sie auch in der früheren fMRI-Studie verwendet hatten. Mithilfe statistischer Analysen konnten die Forscher dabei auf die neuronalen Populationen schließen, die die von den einzelnen Elektroden aufgezeichneten Daten erzeugten.“ Dabei zeichnete sich dieses neuronale Reaktionsmuster ab, das nur bei Gesang entstand“, sagt Erstautor Sam Norman-Haignere. Es gibt offenbar eine liedspezifische Neuronenpopulation, die nur sehr schwach auf Sprache oder Instrumentalmusik reagiert. „Das war ein Ergebnis, das wir so nicht erwartet hatten“, sagt der Forscher.

Gesangs-Neuronen im Visier

Um dem Befund genauer nachzugehen, entwickelten die Forscher anschließend eine Methode zur Datenverarbeitung, um die Informationen aus den intrakraniellen Aufzeichnungen mit den fMRI-Daten aus ihrer früheren Studie zu kombinieren. Da die fMRT einen viel größeren Teil des Gehirns abdecken kann, konnten sie auf diese Weise die Orte der neuronalen Populationen, die auf Gesang reagieren, genauer bestimmen. So zeigte sich: Der Gesangs-Hotspot befindet sich im oberen Teil des Schläfenlappens, in Nachbarschaft zu den Bereichen, die auf Sprache und mehr generell auf Musik reagieren. „Diese Art der Kombination von EKoG und fMRT ist ein bedeutender methodischer Fortschritt“, hebt Co-Autor McDermott hervor.

Die Lage der liedspezifischen Neuronenpopulation deutet darauf hin, dass sie möglicherweise auf Merkmale wie die wahrgenommene Tonhöhe oder die Interaktion zwischen Wörtern und wahrgenommener Tonhöhe reagieren, bevor sie die Informationen zur weiteren Verarbeitung an andere Teile des Gehirns weiterleitet, sagen die Forscher. „Die Ergebnisse liefern damit Hinweise auf eine vielschichtige Trennung der Funktionen innerhalb des auditorischen Cortex und zwar in einer Weise, die mit einer intuitiven Unterscheidung innerhalb der Musik übereinstimmt“, so Norman-Haignere.

Den Forschern zufolge haben die Einblicke in den neuronalen Code der Musik nun allerdings einige weitere Fragen aufgeworfen: Worauf reagieren die „Gesangs-Neuronen“ genau – sind Tonhöhe und Klangfarbe oder bestimmte Strukturen ausschlaggebend? Und wie entwickelt sich die Selektivität im Laufe des Lebens? Diesen Fragen wollen die Wissenschaftler nun durch genauere Untersuchungen nachgehen.

Quelle: Massachusetts Institute of Technology, Fachartikel: Current Biology, doi: 10.1016/j.cub.2022.01.069

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