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Neurostimulation verbessert Wortgedächtnis

Gesundheit|Medizin

Neurostimulation verbessert Wortgedächtnis
Hirnstimulation
Eine Testperson bei der Hirnstimulation. © Robert Reinhart

Die Hirnstimulation mit leichten elektrischen Stromreizen kann die Aktivität des Gehirns und sogar das Gedächtnis beeinflussen. In einer neuen Studie haben Forscher daher untersucht, welchen Effekt eine gezielte Reizung zweier Hirnareale mit jeweils bestimmten Wechselstromfrequenzen auf das Wortgedächtnis hat. Die Testpersonen wurden dafür mittels Elektrodenkappe sowohl beim Merken einer Wortliste als auch beim Erinnern stimuliert. Es zeigte sich, dass eine 20-minütige, an vier aufeinanderfolgenden Tagen erfolgte Stimulation sowohl den Arbeitsspeicher als auch das Langzeitgedächtnis der Probanden für die Wörter verbesserte – wenn auch nur minimal. Dafür hielt dieser Effekt einen Monat lang an.

Die Areale und Zellen unseres Gehirns kommunizieren nicht nur über Neurobotenstoffe, sondern vor allem über elektrische Signale. Diese sind als Hirnströme beispielsweise im Elektroenzephalogramm (EEG) ableitbar. Aus solchen EEG-Aufzeichnungen geht hervor, dass verschiedene Arten von Hirnwellen eng mit bestimmten Funktionen und Bewusstseinszuständen verknüpft sind. So scheinen insbesondere Hirnwellen im Thetabereich von vier bis acht Hertz sowie Gammawellen mit Frequenzen ab rund 30 Hertz aufwärts eng mit dem Kurz- und Langzeitgedächtnis verknüpft zu sein, wie frühere Studien nahelegen. Das Kurzzeitgedächtnis ist eine Art Arbeitsspeicher: Es behält Informationen maximal zwei Sekunden lang und hat eine sehr begrenzte Kapazität für Wörter. Es sorgt beispielsweise dafür, dass wir beim Lesen den Satzanfang bis zum Satzende behalten. Das Langzeitgedächtnis ist dagegen weitgehend unbegrenzt und übernimmt relevante Informationen aus dem Arbeitsspeicher zur dauerhaften „Aufbewahrung“. Schon länger untersuchen Wissenschaftler, ob eine gezielte Stimulation des Gehirns mit elektrischen oder magnetischen Feldern diese Gedächtnisanteile fördern und verbessern kann – mit bisher widersprüchlichen Ergebnissen.

Passende und unpassende Stimulation

Deshalb haben nun Shrey Grover und seine Kollegen von der Boston University mehrere Experimente durchgeführt, bei der sie zwei eng mit dem Kurz- und Langzeitgedächtnis verknüpfte Hirnareale gezielt durch schwachen Wechselstrom unterschiedlicher Frequenzen stimulierten. „Wir haben die Hypothese getestet, nach der eine Modulation der Theta-Rhythmen im unteren Scheitellappen das auditorisch-verbale Kurzzeitgedächtnis stärkt, während eine Modulation der Gamma-Wellen im präfrontalen Cortex die auditorisch-verbale Funktion des Langzeitgedächtnisses verbessert“, erklärt das Team. Dafür wurden insgesamt 150 gesunde Testpersonen im Alter zwischen 65 und 88 Jahren einmal am Tag 20 Minuten lang mit einer Elektrodenkappe ausgestattet, über die der Scheitellappen und das Stirnhirn mit schwachem Wechselstrom stimuliert wurden.

Eine Probandengruppe erhielt dabei die passende Stimulation mit einer Thetafrequenz von vier Hertz im Scheitellappen und Gammawellen von 60 Hertz im präfrontalen Cortex. Bei einer weiteren Gruppe wurden beide Frequenzen vertauscht und eine dritte Gruppe bekam nur eine Scheinbehandlung. Während der Hirnstimulation hörten alle Testpersonen in fünf Durchgängen jeweils eine Liste von 20 Wörtern, die sie sich merken sollten. Unmittelbar nach dem Hören einer Wortliste sollten sie dann im Zeitraum von zwei Minuten so viele Wörter von der Liste wie möglich erinnern und angeben. Dieses Experiment wurde an vier aufeinanderfolgenden Tagen wiederholt. Vor Beginn der Experimente und nach einem Monat erfolgte ein Abschlusstest, bei dem neben den grundlegenden kognitiven Leistungen auch das Wortgedächtnis getestet wurde.

Verbales Kurz- und Langzeitgedächtnis gestärkt

Die Auswertung ergab: Die Testpersonen, deren Scheitellappen und Stirnhirn während der Aufgabe mit der jeweils passenden Frequenz stimuliert worden war, schnitten signifikant besser ab als die Probanden aus den beiden anderen Gruppen. Sie erinnerten sich sowohl an den Behandlungstagen wie auch einen Monat später im Schnitt an etwas mehr Wörter. „Dies deutet darauf hin, dass diese durch Stimulation hervorgerufenen Verbesserungen spezifisch von Frequenz und Areal abhängen“, erklären Grover und seine Kollegen. Der positive Effekt zeigte sich nur dann, wenn die Stimulation mit der jeweils richtigen Frequenz im richtigen Hirnareal erfolgte. Dabei zeigten sich zudem zwei getrennte Effekte: Die Stimulation des Stirnhirns mit dem Gamma-Wechselstrom verbesserte vor allem die Erinnerung an Wörter vom Anfang der 20-teiligen Liste – von im Schnitt 40 Prozent auf 60 Prozent Erinnerungswahrscheinlichkeit. „Das deutet darauf hin, dass die Neurostimulation des präfrontalen Cortex im Gammawellenbereich vor allem das Langzeitgedächtnis fördert“, erklärt das Team.

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Der zweite Effekt trat spezifisch durch die Stimulation des Scheitellappens mit Wechselströmen im niederfrequenten Thetarhythmus auf. Durch sie konnten sich die Testpersonen besser an die letzten vier Wörter auf der Liste erinnern. Die Trefferquote lag bei rund 70 Prozent, in den Kontrollgruppen bei nur rund 50 Prozent. Dies deutet auf ein verbessertes Kurzzeitgedächtnis hin. „Unsere Ergebnisse legen damit nahe, dass eine gezielte Modulation der funktional spezifischen Hirnstromrhythmen die Gedächtnisfunktion von älteren Menschen verbessern kann“, schreiben Grover und seine Kollegen. Die Neurostimulation beeinflusse dabei offenbar zwei verschiedene kognitive Funktionen – den Arbeitsspeicher und das Langzeitgedächtnis. Dabei profitierten Senioren mit anfangs schlechten kognitiven Leistungen von der Stimulation besonders. Zudem hielten die positiven Effekte der viertägigen Behandlung rund einen Monat lang an.

Noch keine Therapie für Demenz

Allerdings betonen auch die Wissenschaftler, dass ihre Experimente nicht das generelle Gedächtnis verbesserten, sondern nur sehr eng umgrenzte Aspekte des Erinnerns. Insgesamt war der Effekt der Stimulation zudem relativ gering und betraf beispielsweise nur die Wörter am Anfang und Ende der Wortlisten, nicht aber die insgesamt erinnerte Wortzahl. Das Team sieht in ihren Versuchen zunächst vor allem ein Werkzeug zur Grundlagenforschung, um die Wirkungsweise des menschlichen Gedächtnisses weiter zu entschlüsseln. Inwieweit solche Behandlungen auch Menschen mit Demenz und anderen neurodegenerativen Erkrankungen helfen können, müsse erst noch weiter erforscht werden. Ähnlich sieht es auch Johannes Levin vom Deutschen Zentrum für neurodegenerative Erkrankungen (DZNE) in München: „Wir dürfen hier nicht vergessen, dass die Gehirne von Demenzkranken pathologisch betrachtet anders sind als jene von gesunden Menschen. Ich sehe es daher immer kritisch, wenn durch solche oder vergleichbare Studien die Hoffnung geweckt wird, man habe hier vielleicht eine Behandlungsmöglichkeit für den kognitiven Verfall im Alter oder aber auch bei Demenzkranken gefunden“, so der nicht an der Studie beteiligte Neurowissenschaftler.

Quelle: Shrey Grover (Boston University, Boston) et al., Nature Neuroscience, doi: 10.1038/s41593-022-01132-3

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