Anzeige
1 Monat GRATIS testen, danach für nur 9,90€/Monat!
Startseite »

Organoide „reparieren“ Ratten-Hirne

Neurowissenschaften

Organoide „reparieren“ Ratten-Hirne
Diese Abbildung zeigt ein menschliches Hirn-Organoid (grün), das in ein Rattengehirn implantiert wurde. © Jgamadze et al.

Implantate der besonderen Art: Im Labor gezüchtete Einheiten aus Neuronen könnten eines Tages Schäden an menschlichen Gehirnen reparieren, lassen erfolgreiche Tierversuche hoffen. Ein Forscherteam konnte zeigen, dass aus menschlichen induzierten Stammzellen gezüchtete Hirn-Organoide experimentelle Verletzungen im Sehzentrum von Ratten „flicken“ können: Die Transplantate vernetzten sich und reagierten sogar auf Seheindrücke.

In die Hirnforschung hat in den letzten Jahren eine faszinierende Technik Einzug gehalten: Um verschiedene Fragen rund um unser Denkorgan zu klären, Medikamente zu testen oder für weitere medizinische Zwecke züchten Wissenschaftler im Labor Gebilde aus Neuronen. Diese auch „Mini-Gehirne“ genannten Organoide entwickeln dabei Gewebestrukturen und rudimentäre Reaktionsfähigkeiten, die denen ihrer Vorbilder ähneln. Die Hirn-Organoide können dabei auch aus sogenannten induzierten pluripotenten Stammzellen (iPS) gezüchtet werden. Dabei handelt es sich um Stammzellen, die durch bestimmte Behandlungen aus reifen Körperzellen hergestellt wurden. So kann etwa Hautzellen die Fähigkeit wiedergegeben werden, verschiedene Gewebearten hervorzubringen.

Ersatz für verlorenes Nervengewebe?

Die Technik hat damit auch die Hoffnung geweckt, durch neuronale Organoide Schäden am Gehirn reparieren zu können, wie sie etwa durch Verletzungen oder Schlaganfälle entstehen. Man könnte demnach aus iPS eines Patienten neuronale Organoide entwickeln und sie ihm dann an die betroffene Stelle im Gehirn einsetzen, damit sie dort Funktionen des verlorenen Gewebes ersetzen können. Dieser Zukunftsvision ist die aktuelle Studie der Forscher um Seniorautor Isaac Chen von der University of Pennsylvania in Philadelphia gewidmet. Sie haben das Potenzial dieses Verfahrens nun erstmals konkret im Tiermodell ausgelotet.

Für ihre Studie züchteten die Wissenschaftler zunächst neuronale Organoide aus menschlichen iPS. Sie waren mit einem Fluoreszenzgen ausgerüstet, sodass das Nervengewebe sichtbar gemacht werden kann. Anschließend wurden die resultierenden Gebilde in die Gehirne von Ratten implantiert. An den Zielstellen im visuellen Cortex der Tiere hatten die Wissenschaftler zuvor Gewebe entfernt. Im Prinzip sollten die Organoid-Implantate diese experimentellen Verletzungslücken also füllen. Um Abstoßungsreaktionen gegen das menschliche Gewebe zu verhindern, wurde das Immunsystem der Tiere dabei medikamentös unterdrückt.

Anzeige

Erfolgreich integriert

Wie das Team berichtet, ergaben die Untersuchungen der Gehirne der Versuchstiere nach drei Monaten: Die Organoide hatten sich erfolgreich in das umliegende Hirngewebe integriert. Es hatten sich Blutgefäße ausgebildet und auch die Neuronen schienen sich „verdrahtet“ zu haben. Nachweisen konnten die Forscher dies durch ein Verfahren, bei dem fluoreszierende Viren eingesetzt werden, die sich entlang neuronaler Verbindungen ausbreiten. Diese viralen Tracer injizierten die Forscher in die Netzhaut der Versuchstiere und konnten dann anhand der Ausbreitungsmuster nachvollziehen, wie weit die trans-synaptischen Vernetzungen vom Auge aus reichen. So zeigte sich: „Der Tracer gelangte tatsächlich bis zum Organoid. Damit wurde die erfolgreiche neuronale Verknüpfung des Implantats deutlich“, sagt Chen.

Durch weitere Experimente konnten die Forscher anschließend zeigen, dass die Nerven in dem integrierten Organoid sogar auf visuelle Reize reagierten. Dies konnten sie durch feine Elektrodensonden nachweisen, die in die Implantate eingeführt wurden. Wenn die Versuchstiere dann mit blinkenden Lichtern oder abwechselnd weißen und schwarzen Balken konfrontiert wurden, zeichneten sich spezifische Reaktionen in den Neuronen der Organoide ab: „Wir sahen, dass eine große Anzahl von Neuronen innerhalb des Organoids auf bestimmte Lichtausrichtungen reagierte. Dies verdeutlichte, dass die Implantate sich nicht nur in das visuelle System integriert hatten, sondern sogar Funktionen des visuellen Kortex übernehmen konnten“, erklärt Chen.

Das Team sieht darin nun einen vielversprechenden Schritt auf dem Weg zu einer Anwendung der Organoid-Technologie als Heilverfahren. „Neurale Gewebe haben offenbar tatsächlich das Potenzial, Bereiche des verletzten Gehirns wieder aufzubauen“, so Chen. Er und sein Team wollen jetzt auch weiterhin am Ball bleiben: „Wir planen, auszuloten, wie Organoide in anderen Bereichen des Gehirns eingesetzt werden könnten. Außerdem wollen wir erforschen, nach welchen Regeln sich organoide Neuronen in das Gehirn integrieren, damit wir diesen Prozess besser steuern und beschleunigen können“, sagt der Wissenschaftler.

Quelle: University of Pennsylvania, Fachartikel: Cell Stem Cell, doi: 10.1016/j.stem.2023.01.004

Anzeige

Wissenschaftsjournalist Tim Schröder im Gespräch mit Forscherinnen und Forschern zu Fragen, die uns bewegen:

  • Wie kann die Wissenschaft helfen, die Herausforderungen unserer Zeit zu meistern?
  • Was werden die nächsten großen Innovationen?
  • Was gibt es auf der Erde und im Universum noch zu entdecken?

Hören Sie hier die aktuelle Episode:

Aktueller Buchtipp

Sonderpublikation in Zusammenarbeit  mit der Baden-Württemberg Stiftung
Jetzt ist morgen
Wie Forscher aus dem Südwesten die digitale Zukunft gestalten

Wissenschaftslexikon

Knor|pel|fisch  〈m. 1; Zool.〉 Angehöriger einer Überklasse der fischgestaltigen Wirbeltiere, deren Wirbelsäule verknorpelt ist: Chondrichthyes

Io|nen|stär|ke  〈f.; –; unz.; Chem.〉 aus der Ionenkonzentration u. deren Wertigkeit berechnete Zahl, die die Gesamtkonzentration der verschiedenen Ionen in einer Lösung angibt

Ki|na|se  〈f. 19; Biochem.〉 Enzym, das Phosphat überträgt, z. B. Hexokinase [<grch. kinein … mehr

» im Lexikon stöbern
Anzeige
Anzeige
Anzeige