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Saisonale H1N1-Influenza könnte auf Spanische Grippe zurückgehen

Gesundheit|Medizin

Saisonale H1N1-Influenza könnte auf Spanische Grippe zurückgehen
Proben
Historische Proben im Museum für Medizingeschichte an der Charité. © Navena Widulin, Berlin

Welche genomischen Besonderheiten kennzeichneten die Spanische Grippe, die ab 1918 zwischen 50 und 100 Millionen Menschen das Leben kostete? Anhand von Gewebeproben, die 1918 in Deutschland gesammelt wurden, haben Forscher nun das Genom der damaligen Influenzaviren rekonstruiert und sowohl mit anderen historischen Proben aus Amerika verglichen als auch mit heute zirkulierenden saisonalen Grippeviren. Demnach wies das H1N1-Virus, das für die Pandemie 1918 verantwortlich war, charakteristische Veränderungen auf, die es wahrscheinlich virulenter machten als frühere Stämme. Zudem zeigte es eine deutliche regionale Variabilität – und bildet womöglich die Grundlage aller heute zirkulierenden saisonalen H1N1-Stämme.

Die Influenzapandemie von 1918, die als die Spanische Grippe in die Geschichte einging, tötete Schätzungen zufolge 50 bis 100 Millionen Menschen weltweit. Ihren Höhepunkt erreichte sie im Herbst 1918, eine weitere Welle folgte im Frühjahr 1919. Obwohl es bereits zu Beginn der Pandemie Vermutungen gab, dass sie durch ein Virus verursacht wird, wurde der virale Ursprung erst 1930 nachgewiesen. In den 1990er Jahren identifizierten Forschungen an Gewebeproben aus der Pandemiezeit das Virus als Influenza-A-Virus des Subtyps H1N1. Zwei vollständige Genome des Virus wurden seitdem aus amerikanischen Proben isoliert, ebenso wie mehrere weitere unvollständige. Genetisches Material aus der damaligen Zeit ist jedoch selten, sodass noch viele Fragen offen sind.

Spurensuche in medizinhistorischen Museen

Auf der Suche nach weiteren geeigneten Proben hat ein Team um Livia Patrono vom Robert Koch-Institut (RKI) in Berlin insgesamt 13 Lungenproben aus der Zeit von 1900 und 1931 analysiert, die im Medizinhistorischen Museum der Charité Berlin sowie dem Naturhistorischen Museum Wien aufbewahrt wurden. Sechs der in Formalin eingelegten Lungen stammten aus der Zeit der Pandemie. Patrono und ihr Team analysierten das Erbgut in allen Proben und stießen tatsächlich in dreien davon auf die RNA von Influenza-A-Viren. „Alle stammen aus Proben von 1918 und an den Lungen ist erkennbar, dass eine Bronchopneumonie vorlag“, so die Forscher.

Zwei der Proben mit nachgewiesenen Influenza-A-Viren wurden im Juni 1918 in Berlin gesammelt, also in der Frühphase der Pandemie. Aus diesen Proben konnten die Forscher Teilstücke des viralen Genoms sequenzieren. In der dritten Probe, die 1918 in München gesammelt wurde, war die Grippe-RNA so gut erhalten, dass die Forscher das vollständige Genom sequenzieren konnten. Patrono und ihr Team verglichen die genomischen Daten mit den beiden bereits bekannten Genomsequenzen aus den USA, eine davon vom September 1918 aus New York, die andere von November 1918 aus Alaska.

Genetische Variabilität

Das Ergebnis: Während die beiden Berliner Genome – soweit sich dies trotz der Unvollständigkeit beurteilen lässt – einander sehr ähnlich sind, weist das aus der Münchener Probe isolierte Virusgenom bereits mehrere Variationen auf. Die beiden Erbgutsequenzen aus New York und Alaska zeigen weitere Mutationen. „Insgesamt zeigen diese Vergleiche, dass eine messbare genomische Variabilität vorhanden war und dass Genome, die auf denselben Kontinenten und während desselben Zeitraums der Pandemie entnommen wurden, eine geringere Gesamtdivergenz aufwiesen als Genome, die auf verschiedenen Kontinenten und in unterschiedlichen Zeiträumen entnommen wurden“, schreiben die Forscher.

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Der Vergleich zwischen den Genomen aus der Früh- und der Hochphase der Pandemie geben zudem Aufschluss darüber, durch welche Mutationen sich die Virulenz des damaligen Influenzastamms erhöht haben könnte. „Unsere Ergebnisse zeigen Variationen an zwei Stellen im Nukleoprotein-Gen des Influenza-A-Virus“, berichten die Forscher. „Diese stehen mit der Resistenz gegen die antivirale Reaktion des Wirts in Verbindung.“ Während die präpandemischen Virenstämme an diesen Stellen noch typische Strukturen der Vogelgrippeviren trugen, waren diese bei den Influenzaviren von 1918 und 1919 durch Anhänge ersetzt, die sich noch heute in den meisten humanpathogenen H1N1-Stämmen finden. Durch diese Mutationen könnte sich das Virus demnach besser an den Menschen angepasst haben.

Weitere Analysen erforderlich

Zusätzlich führten die Forscher Modellierungen mit der Methode der molekularen Uhr durch, um abzuschätzen, auf welchen evolutionären Zeitskalen sich das Virus entwickelt hat. Demnach könnte die Mutationsrate des Virus höher gewesen sein als bisher angenommen und die Pandemieviren zu den Vorfahren nahezu aller heute vorkommenden H1N1-Grippeviren gemacht haben. „Unsere Analysen legen nahe, dass sich die heute zirkulierenden saisonalen H1N1-Viren aus dem damaligen Pandemie-Stamm entwickelt haben“, schreiben die Autoren. Das widerspricht Hypothesen, die davon ausgehen, dass sich die heutigen saisonalen Influenzaviren vor allem durch den Austausch von Genomsegmenten zwischen verschiedenen Stämmen entwickelt haben.

„Aufgrund unserer sehr geringen Stichprobengröße – drei vollständige und zwei unvollständige Genome – sind alle Ergebnisse als vorläufig zu betrachten“, schränken die Autoren ein. Um die Hypothesen zu erhärten, seien weitere Genomanalysen erforderlich. „Wir gehen davon aus, dass das Haupthindernis für ein besseres Verständnis der Evolution der Grippeviren von 1918 in der Identifizierung erhaltener pathologischer Exemplare liegen wird“, schreiben sie. Pathologische Sammlungen in Museen könnten jedoch eine wichtige Quelle darstellen.

Quelle: Livia Patrono (Robert Koch-Institut, Berlin) et al., Nature Communications, doi: 10.1038/s41467-022-29614-9

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