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Schleimiger Vielfalt auf der Spur

Evolution

Schleimiger Vielfalt auf der Spur
Schleimige Flüssigkeiten erfüllen im Körper lebenswichtige Funktionen. © Mollypix/iStock

Rampenlicht an für zu wenig wertgeschätzte Körperflüssigkeiten: Forscher haben Einblicke in die interessante Evolution des Schleims bei den Säugetieren gewonnen. Um für die Produktion der lebenswichtigen Sekrete zu sorgen, wurden im Laufe der Entwicklungsgeschichte offenbar einige zunächst nicht verschleimende Proteine auf clevere Weise in Schleim-Bildner verwandelt – in sogenannte Muzine. Die Informationen über die Grundlagen der Schleimbildung können auch eine Bedeutung für die Medizin haben, betonen die Wissenschaftler.

Igitt Schleim! Die glibberige Substanz hat kein gutes Image – doch zu Unrecht. Denn die zähen Flüssigkeiten erfüllen extrem wichtige Funktionen im Körper. Objektiv betrachtet sind wir sogar ausgesprochene Schleimer: Der Mensch produziert täglich enorme Mengen der Sekrete, die große Flächen des Körpers auskleiden – vor allem im Atmungs- und Verdauungssystem. Der Schleim sorgt dort für Rutscheffekte und schützt die empfindlichen Oberflächen vor Austrocknung, Schmutz und Krankheitserregern. Außerdem bietet er den nützlichen Mikroben in unserem Körper ein Zuhause. Wenn mit der menschlichen Schleimproduktion etwas nicht stimmt, kann dies entsprechend gravierende gesundheitliche Folgen haben.

Durch diese Bedeutung steht der Schleim bereits seit einiger Zeit im Fokus der Wissenschaft. Dem Thema widmen sich auch die Forscher um Stefan Ruh von der University at Buffalo im US-Bundesstaat New York. Konkret beschäftigen sie sich mit denjenigen Substanzen, die Flüssigkeiten in Schleim verwandeln: Muzine sind Glykoproteine, die aus einer zentralen Proteinkette und Seitenketten aus Zuckerverbindungen bestehen. Diese Polysaccharide verleihen den Muzinen ihre hohe Wasserbindungskapazität, die wiederum für die typisch schleimige, gelartige Konsistenz verantwortlich ist. In schleimigen Sekreten gibt es dabei unterschiedliche Versionen von Muzinen, die spezielle Eigenschaften und Funktionen haben. „In den letzten 30 Jahren hat sich mein Labor mit der Untersuchung der Muzine im Speichel beschäftige, vor allem, weil sie die Zähne vor Karies schützen und zum Gleichgewicht der Mikrobiota in der Mundhöhle beitragen“, sagt Ruh.

Schleimstoffe im Visier

Im Rahmen ihre Forschungsarbeiten fiel den Wissenschaftlern auf, dass es ein kleines Speichelmuzin namens MUC7 beim Menschen gibt, über das Mäuse überraschenderweise nicht verfügen. Wie sich anschließend zeigte, besitzen die Nager stattdessen jedoch ein ähnlich großes Speichelmuzin namens MUC10. So lag die Vermutung nahe, dass die beiden Proteine aus evolutionärer Sicht miteinander verwandt sind. Doch wie die Forscher überrascht feststellten, ist das nicht der Fall: Der Bauplan unterschied sich deutlich. Weitere Recherchen zeigten dann allerdings, dass ein in menschlichen Tränen vorkommendes Protein namens PROL1 einen Teil der Struktur mit dem MUC10 der Maus gemeinsam hat: PROL1 sieht MUC10 sehr ähnlich, allerdings besitzt es nicht die schleimbildenden zuckerüberzogenen Wiederholungsstrukturen, die MUC10 zu einem Muzin machen.

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„Wir vermuteten deshalb, dass das Tränengen im Lauf der Evolution irgendwie umfunktioniert worden ist“, sagt Seniorautor Omer Gokcumen von der University at Buffalo. Es wurde offenbar mit den typischen genetischen Wiederholungssequenzen ausgestattet, die wiederum für die Bildung der Muzinstrukturen verantwortlich sind. So fragten sich die Wissenschaftler, ob sich andere Muzine bei Säugetieren möglicherweise ebenfalls auf diese Weise aus Nicht-Muzin-Proteinen gebildet haben könnten. Dieser Spur gingen sie durch die Untersuchung von Muzin-Genen von 49 Säugetierarten nach.

Weitverbreitete „Schleimifizierung“

Wie sie berichten, haben sie dabei 15 Fälle identifiziert, in denen sich neue Muzine offenbar durch eine „Muzinisierung“ aus einem Protein entwickelt haben, das ursprünglich nicht mit diesen Substanzen verwandt war. Es zeichnet sich ab, dass dabei neue Abschnitte an die Nicht-Schleim-Basis angeheftet wurden – weitere Aminosäuren, die mit den „schleimverursachenden“ Zuckermolekülen bestückt sind. Mehr Kopien machten die Proteine dann immer länger und verwandelten sie dadurch schließlich in Muzine, erklären die Wissenschaftler. „Die Wiederholungen, die wir in den Muzinen sehen, werden wegen ihres hohen Gehalts an den Aminosäuren Prolin, Threonin und Serin als ‚PTS-Wiederholungen‘ bezeichnet und sie helfen den Muzinen bei ihren wichtigen biologischen Funktionen, die von der Schmierung und dem Schutz von Gewebeoberflächen bis hin zur Unterstützung der Gleitfähigkeit von Nahrung reichen“, sagt Ruhl.

Die Forscher vermuten, dass dieses Prinzip der „Muzinisierung“ von Proteinen – beziehungsweise der Gene, auf denen sie basieren – in der Entwicklungsgeschichte der Säugetiere häufig vorkam. Ob derselbe evolutionäre Mechanismus auch die Bildung einiger Schleimstoffe bei anderen “Schleimern“ wie Schnecken oder Fischen angetrieben hat, wollen sie nun weiter untersuchen. Wie das Team abschließend betont, ist die Erforschung der Schleimproteine und ihrer Geschichte nicht nur aus evolutionärer Sicht interessant. „Ich denke, dass das Forschungsfeld weitreichendere Bedeutung haben kann, sowohl für das Verständnis der adaptiven Evolution als auch für die mögliche Erklärung bestimmter krankheitsverursachender Aspekte“, sagt Erstautor Petar Pajic von der University at Buffalo. „Wenn sich Muzine in verschiedenen Arten zu verschiedenen Zeiten immer wieder aus Nicht-Muzinen entwickelten, deutet dies darauf hin, dass es eine Art Anpassungsdruck gibt, der sie vorteilhaft macht. Wenn dieser Mechanismus jedoch aus dem Ruder läuft, dann kann er vielleicht zu Krankheiten wie bestimmten Krebsarten oder Schleimhauterkrankungen führen“, so Pajic.

Quelle: University at Buffalo, Fachartikel: Science Advances, doi: 10.1126/sciadv.abm8757

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