Anzeige
1 Monat GRATIS testen, danach für nur 9,90€/Monat!
Startseite »

Seltene Mutation schützt vor Alzheimer

Gesundheit|Medizin

Seltene Mutation schützt vor Alzheimer
MRT-Aufnahme
Magnetresonanz-Tomografie eines Patientengehirns. © sudok1/ iStock

Bisher gibt es gegen die Alzheimer-Demenz kein Heilmittel – auch weil die Ursachen und Wirkmechanismen erst in Teilen geklärt sind. Mehr Aufschluss liefert jetzt ein Patient, der durch eine seltene genetische Variante vor erblich bedingtem Alzheimer geschützt ist. Er ist weltweit erst der zweite Patient, bei dem ein solcher Schutzmechanismus identifiziert wurde. Die Wirkung seiner Genvariante liefert neue Einblicke in die Krankheitsmechanismen bei Alzheimer und könnte dabei helfen, neue Behandlungsansätze zu finden.

Bei Alzheimer sterben die Nervenzellen im Gehirn der Betroffenen nach und nach ab. Die Ursachen der Krankheit sind nach wie vor unklar. Untersuchungen zeigen, dass sich Plaques aus fehlgefalteten Beta-Amyloid-Proteinen zwischen den Nervenzellen ablagern. Zudem sind bei Alzheimer die Tau-Proteine im Inneren der Nervenzellen krankhaft verändert und lagern sich zu sogenannten Tau-Fibrillen zusammen. Beide Prozesse tragen zur Zerstörung der Nervenzellen bei. Während die Krankheit normalerweise erst in höherem Alter auftritt, entwickeln Menschen mit der sogenannten Paisa-Mutation schon im Alter von durchschnittlich 44 Jahren Symptome der Krankheit und versterben meist mit etwa 60 Jahren an den Folgen der Demenz.

Genetische Varianten gegen Alzheimer

Doch genetische Varianten können das Risiko für Alzheimer nicht nur erhöhen, sondern auch senken. Ein Team um Francisco Lopera von der Universität von Antioquia in Kolumbien hat nun den zweiten Menschen weltweit identifiziert, der trotz einer Veranlagung zu Alzheimer durch eine zusätzliche Mutation vor der Erkrankung geschützt war. „Die genetische Variante, die wir identifiziert haben, deutet auf einen Weg hin, der zu einer extremen Widerstandsfähigkeit und einem Schutz vor Alzheimer-Symptomen führen kann“, sagt Co-Autor Joseph Arboleda-Velasquez von der Harvard Medical School in Boston.

Bereits 2019 hatte sein Team über eine Trägerin der Paisa-Mutation berichtet, die trotz ihrer erblichen Veranlagung für Alzheimer bis zu ihrem 70. Lebensjahr symptomfrei blieb. Bei dieser Patientin hatten die Forschenden festgestellt, dass eine Mutation im Gen APOE3 für den Schutz verantwortlich war. Auf der Suche nach weiteren Einblicken in die Krankheitsentstehung von Alzheimer hat das Team rund 1200 Menschen mit der Paisa-Mutation untersucht – und nun tatsächlich einen weiteren Patienten identifiziert, der zusätzlich zu dieser schädlichen Mutation eine „Schutz-Mutation“ trug, die ihn über Jahrzehnte hinweg vor dem Ausbruch der Krankheit bewahrte.

Zweiter Patient weltweit

„Der Mann zeigte trotz der Paisa-Mutation bis zu einem Alter von 67 Jahren keine kognitiven Beeinträchtigungen“, berichten Lopera und sein Team. Erst mit 72 Jahren wurde bei ihm eine leichte Demenz diagnostiziert, mit 73 Jahren nahm er im Rahmen der Studie an einer neurologischen Untersuchung teil. Ein Jahr später verstarb er an einer Lungenentzündung und seine Angehörigen stimmten zu, sein Gehirn für die Forschung zu spenden. „Außergewöhnliche Fälle wie dieser veranschaulichen, wie Einzelpersonen und Großfamilien mit Alzheimer dazu beitragen können, unser Verständnis der Krankheit zu verbessern und neue Wege für die Forschung zu eröffnen“, sagt Loperas Kollege Yakeel Quiroz.

Anzeige

Bei den Untersuchungen zeigte sich, dass der Mann anders als die erste Patientin keine Mutation im APOE3-Gen aufwies. Stattdessen war bei ihm das Gen für das Protein Reelin verändert, das eine wichtige Rolle für die Funktion von Nervenzellen spielt. Frühere Forschungsarbeiten haben Mutationen, die die Funktion von Reelin beeinträchtigen, mit Krankheiten wie Schizophrenie, Autismus und bipolarer Störung in Verbindung gebracht. Die neu entdeckte Mutation dagegen scheint die Funktion von Reelin nicht zu stören, sondern dessen Wirkung zu erhöhen, wie die Forschenden in einem Mausmodell nachwiesen.

Schutzmechanismus aufgedeckt

Sowohl Reelin als auch das bei der ersten Patientin veränderte APOE sind an der Phosphorylierung des Tau-Proteins beteiligt – allerdings in entgegengesetzter Weise. Während APOE die Phosphorylierung fördert, wird sie durch Reelin verringert. „Die Tatsache, dass wir im ersten Fall eine Variante gefunden haben, die APOE betrifft, und im zweiten Fall Reelin, sagt uns, dass dieser Signalweg, der unter anderem die Phosphorylierung von Tau steuert, der Schlüssel zum Verständnis sein könnte, warum diese Patienten geschützt waren“, sagt Arboleda-Velasquez. „Dies ist für die Therapieplanung von entscheidender Bedeutung, denn es zeigt uns deutlich, dass mehr Reelin möglicherweise positive Auswirkungen haben könnte.“

Die Hirnscans, die zu Lebzeiten bei dem geschützten Patienten durchgeführt wurden, zeigten, dass sein Gehirn wie bei Alzheimer typisch viele Amyloid-Beta-Plaques aufwies und außerdem mehrere Hirnregionen von Tau-Fibrillen betroffen waren. Sein entorhinaler Kortex jedoch, eine Hirnregion, die für Lernen und Gedächtnis wichtig ist, war weitgehend verschont geblieben. „Dieser Fall deutet darauf hin, dass die entorhinale Region ein winziges Ziel darstellen könnte, das für den Schutz vor Demenz entscheidend ist“, so Quiroz. Ergebnisse aus dem Mausmodell legen nahe, dass die Reelin-Variante dazu beigetragen hat, diese wichtige Hirnregion vor Tau-Fibrillen zu schützen. „Die Erkenntnisse können uns Hinweise darauf geben, wo im Gehirn wir ansetzen müssen, um das Fortschreiten der Krankheit zu verzögern oder zu stoppen, und sie werden uns helfen, neue Hypothesen über die Abfolge der Schritte zu bilden, die tatsächlich zur Alzheimer-Demenz führen.“

In zukünftigen Studien will das Team Behandlungsmöglichkeiten suchen, die diesen Schutzmechanismus nachahmen. Zudem hoffen sie, weitere Patienten mit außergewöhnlichen Mutationen zu Schutz gegen Alzheimer zu finden, um aus diesen Fällen tiefere Einblicke in die Krankheit zu gewinnen.

Quelle: Francisco Lopera (Universität von Antioquia, Kolumbien) et al., Nature Medicine, doi: 10.1038/s41591-023-02318-3

Anzeige

Wissenschaftsjournalist Tim Schröder im Gespräch mit Forscherinnen und Forschern zu Fragen, die uns bewegen:

  • Wie kann die Wissenschaft helfen, die Herausforderungen unserer Zeit zu meistern?
  • Was werden die nächsten großen Innovationen?
  • Was gibt es auf der Erde und im Universum noch zu entdecken?

Hören Sie hier die aktuelle Episode:

Aktueller Buchtipp

Sonderpublikation in Zusammenarbeit  mit der Baden-Württemberg Stiftung
Jetzt ist morgen
Wie Forscher aus dem Südwesten die digitale Zukunft gestalten

Wissenschaftslexikon

per|se|ve|rie|ren  〈[–v–] V. i.; hat; Psych.〉 beharren, beharrlich wiederkehren (im Bewusstsein) [<lat. perseverare … mehr

E–Post  〈[i–] f.; –; unz.; IT; kurz für〉 Electronic Post

Blut|hoch|druck  〈m. 1; unz.; Med.〉 (zu) hoher Blutdruck ● an ~ leiden

» im Lexikon stöbern
Anzeige
Anzeige
Anzeige