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Spaciger Knochenschwund mit Langzeitfolgen

Bemannte Raumfahrt

Spaciger Knochenschwund mit Langzeitfolgen
Auf der ISS sind die Astronauten vom Effekt der Schwerkraft befreit – doch das nagt an ihrer Knochensubstanz. © dima_zel/iStock

Der gesundheitliche Preis für Weltraumreisen ist hoch, verdeutlicht eine Studie: Aufenthalte in der Schwerelosigkeit können zu irreparablen Knochenschäden führen und manche Teile des Skeletts um bis zu zehn Jahre vorzeitig altern lassen. Die Ergebnisse betonen die Bedeutung des Einsatzes von speziellen Trainingsprogrammen in Kombination mit Medikamenten, um Astronauten auf künftigen Missionen besser vor dem Knochenschwund zu schützen. Die Entwicklungen könnten dabei auch generell der Behandlung von Erkrankungen des Skelettsystems zugutekommen, sagen die Wissenschaftler.

Alles schwebt – die Befreiung vom Effekt der Erdanziehung ist faszinierend, doch schon lange ist bekannt, dass ein Aufenthalt in der Schwerelosigkeit Astronauten nicht guttut: Der unnatürliche Zustand stört die menschliche Physiologie und kann verschiedene Gesundheitsprobleme verursachen. Besonders deutlich ist dabei der Verlust an Knochensubstanz. „Das gilt bereits für heutige Flüge, bei denen Astronauten meist nicht länger als sechs Monate der Schwerelosigkeit ausgesetzt sind“, sagt Anna-Maria Liphardt von der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg. Vor allem könnte dieser Effekt aber bei den geplanten Reisen zum Mars ein problematisches Ausmaß erreichen. „Wenn Menschen drei Jahre ununterbrochen im Weltall unterwegs sind, müssen wir die gesundheitlichen Belastungen besonders im Blick haben“, so Liphardt.

Gealtert wie nach zehn Jahren

Gemeinsam mit weiteren Kollegen aus Deutschland sowie aus Kanada und den USA ist die Sportwissenschaftlerin erneut der Frage nachgegangen, wie sich die Knochenstruktur durch Weltraumaufenthalte verändert und inwieweit sie sich auf der Erde erholt. Im Rahmen einer Langzeitstudie untersuchten die Forscher dazu 17 Astronauten, die sich monatelang in der Schwerelosigkeit auf der Internationalen Raumstation ISS aufgehalten haben. Vor ihrem Start ins Weltall sowie sechs und zwölf Monate nach der Rückkehr wurde der Knochenzustand der Probanden intensiv durchgecheckt. Die Wissenschaftler erfassten dabei die Knochendichte und die Stärke des Schienbeins sowie der Speiche im Unterarm. Zudem wurde der Zustand der inneren Mikrostrukturen aus Knochenbälkchen (Trabekel) untersucht, die einen wichtige Rolle für die Stabilität spielen. Anhand von Biomarkern in Blut und Urin wurde außerdem das Ausmaß des Knochenumsatzes bei den Probanden gemessen.

Wie die Forscher berichten, zeichneten sich in ihren Untersuchungsergebnissen kritische Folgen der Schwerelosigkeit ab: Noch zwölf Monate nach dem Weltraumaufenthalt hatten sich neun von 17 Astronauten nicht vollständig erholt und zeigten eine um bis zu zwei Prozent reduzierte Knochenstärke und -mineraldichte. Das mag wenig erscheinen, ist es aber nicht, betont Liphardt: „Dies entspricht einem altersbedingten Knochenverlust von mindestens einem Jahrzehnt. Die Konsequenz ist, dass die Betroffenen mit deutlich früher beginnender Osteoporose und Anfälligkeit für Brüche rechnen müssen“, erklärt die Forscherin. Besonders bedenklich ist den Wissenschaftlern zufolge, dass im Unterschied zur Alterung auf der Erde bei den Astronauten weniger die Knochenhülle, sondern vielmehr die innere Knochenstruktur betroffen ist: Einige der Probanden wiesen bereits irreparable Schädigungen der stäbchenförmigen Trabekel auf, geht aus den Untersuchungsergebnissen hervor.

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Besseres Gegensteuern gefragt

Dabei wurde auch erneut die Bedeutung der Aufenthaltsdauer deutlich: „Wir konnten zeigen, dass die Regeneration umso schwieriger ist, je länger sich die Astronauten im Weltall aufgehalten haben“, sagt Liphardt. Zudem zeigte sich, dass diejenigen Astronauten besonders von Regenerationsproblemen betroffen waren, bei denen vor dem Weltraumaufenthalt ein vergleichsweise hoher Knochenumsatz festgestellt wurde. „Knochenumsatz bedeutet, dass Zellen abgebaut und wieder neu gebildet werden“, erklärt Liphardt. „Menschen mit höherer körperlicher Aktivität haben einen höheren Knochenumsatz – die Schwierigkeit besteht darin, diese Aktivität während der Weltraummission aufrechtzuerhalten.“

Es gibt auf der ISS zwar bereits verschiedene Möglichkeiten zur sportlichen Betätigung – vom Laufband über das Fahrradergometer bis hin zu Kraftübungen. Den Studienergebnissen zufolge besteht aber wohl weiterer Bedarf und offenbar ist es wichtig, das Trainingsprogramm besser an die individuellen Bedürfnisse der Astronauten anzupassen. „Es ist eine besondere Herausforderung, neue Geräte zu entwickeln, die in der Schwerelosigkeit funktionieren und wenig Platz beanspruchen“, so Liphardt. Es werden auch bereits Medikamente eingesetzt, um dem Knochenschwund gegenzusteuern, die auch bei der Behandlung und Vorbeugung von Osteoporose zum Einsatz kommen. „Bisphosphonate werden von der NASA bereits eingesetzt, allerdings weiß man noch zu wenig darüber, wie sie in der Mikrogravitation genau wirken“, erklärt Liphardt. Vor dem Hintergrund ihre Ergebnisse empfehlen die Wissenschaftler nun, auch die Kombinationseffekte aus medikamentöser Therapie und körperlichem Training noch genauer zu untersuchen.

Wie sie abschließend betonen, kann derartige Forschung nicht nur der Gesundheit von Astronauten zugutekommen. Denn Muskel- und Knochenschwund infolge von Bewegungsmangel sind auch ein zentrales Problem bei chronischen Erkrankungen auf der Erde. „Unsere Studie könnte den Grundstein für neue oder angepasste Therapien legen“, Liphardt. Konkret heben die Forscher dabei den Einsatz eines hochmodernen Computertomographen im Rahmen ihrer Astronautenstudie hervor, mit dem sie die innere Knochenstruktur in hoher Auflösung direkt abbilden konnten. Von diesem sogenannten HR-pQCT-Gerät können nun Patienten mit Erkrankungen des Muskel- und Skelettsystems am Universitätsklinikum Erlangen profitieren.

Quelle: Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg, Fachartikel: Nature Scientific Reports, doi: 10.1038/s41598-022-13461-1

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