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Wie unser Gehirn durch Menschenmengen navigiert

Gesundheit|Medizin

Wie unser Gehirn durch Menschenmengen navigiert
Menschenmenge
Wie bewegen wir uns unfallfrei durch eine Menschenmenge? © jotily/ iStock

Wenn wir uns durch eine dynamische Umwelt bewegen, müssen wir außer unserer eigenen Position auch die Bewegungen anderer Personen berücksichtigen. Eine Studie zeigt nun, dass daran wahrscheinlich die gleichen Gehirnzellen beteiligt sind, die auch unsere eigene Navigation ermöglichen. Demnach sind sogenannte Rasterzellen sowohl aktiv, wenn wir uns selbst bewegen und orientieren, als auch, wenn wir Bewegungen anderer beobachten. Die Ergebnisse liefern auch eine Erklärung, warum Menschen mit Demenz unter Orientierungslosigkeit leiden.

Um uns sicher in einer komplexen, veränderlichen Umwelt zu bewegen, muss unser Gehirn zahlreiche Informationen zeitgleich verarbeiten: Wo befinden wir uns im Verhältnis zu anderen Punkten im Raum? Woher kommen wir und wohin bewegen wir uns mit welcher Geschwindigkeit? Und: Wie bewegen sich unsere Mitmenschen? Diese Information ist beispielsweise wichtig, um in einer vollen Fußgängerzone nicht ständig mit anderen zusammenzustoßen, aber auch, um kooperative Aufgaben zu lösen, beispielsweise um beim Fußball in Teamarbeit den Ball Richtung Tor zu treiben.

Navigation in virtueller Realität

Ein Team um Isabella Wagner von der Universität Wien hat nun untersucht, welche Bereiche in unserem Gehirn dafür verantwortlich sind. Bekannt war bereits, dass sogenannte Rasterzellen im entorhinalen Kortex, einer kleinen Hirnregion im mittleren Schläfenlappen, dafür verantwortlich sind, unsere Position im Raum zu erfassen und ins Verhältnis zu anderen Punkten in unserer Umgebung zu setzen. In Zusammenarbeit mit anderen Hirnregionen erstellen sie so eine Art kognitive Karte unserer Umgebung.

Um herauszufinden, inwieweit die Rasterzellen auch daran beteiligt sind, die Bewegungen anderer Personen auf dieser Karte abzubilden, ließen Wagner und ihre Kollegen 58 Testpersonen zunächst in virtueller Realität beobachten, wie eine Person durch ein festgelegtes Gebiet geht. Im Anschluss sollten die Testpersonen selbst ihre Figur steuern und dabei dem zuvor beobachteten Weg folgen. Während beider Aufgaben überwachte das Forschungsteam mit Hilfe von funktioneller Magnetresonanztomographie die Hirnaktivität der Probanden.

Ähnliche Aktivierung bei Beobachtung und eigener Navigation

Und tatsächlich: Bei beiden Aufgaben zeigte sich ein ähnliches Aktivierungsmuster. „Auch wenn die Teilnehmer lediglich den Weg einer anderen Person beobachteten, registrierten wir in ihrem entorhinalen Kortex signifikante Rasterzell-artige Codes“, berichten die Forscher. Zusätzlich stellten sie fest, dass ein Netzwerk aus weiteren Hirnregionen aktiv wurde, das bereits früher mit Navigation und Orientierung in Verbindung gebracht worden war – darunter Hippocampus und Striatum. „Die Aktivität dieses Netzwerkes war zeitlich an die Aktivität der Rasterzell-artigen Codes gekoppelt“, so die Autoren.

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Zur Überraschung der Forscher stellte sich heraus, dass dieses Netzwerk während der Beobachtung ausgerechnet bei denjenigen Personen besonders aktiv war, die bei der anschließenden Navigationsaufgabe am schlechtesten abschnitten. „Wir interpretieren das als größere Effizienz der Rasterzellen, die es weniger notwendig machen, auf diese Hirnareale zurückzugreifen“, erklärt Wagner.

Mechanismus für Orientierungsverlust bei Demenz

„Obwohl wir derzeit noch nicht sagen können, ob diese Ergebnisse speziell mit der sozialen Verarbeitung zusammenhängen, deuten die Ergebnisse darauf hin, dass die Rasterzellen an der sozial-räumlichen Navigation beteiligt sein könnten“, so die Autoren. „Wir vermuten, dass Rasterzell-artige Codes und die mit ihnen verbundene Netzwerkdynamik dazu dienen könnten, Informationen über den Standort anderer im gesamten Gehirn zu verbreiten und damit die Grundlage für einen inneren Kompass zu schaffen, der es uns ermöglicht, uns in überfüllten und sich dynamisch verändernden Umgebungen zurechtzufinden, wie wir sie in alltäglichen Situationen antreffen.“

Die Ergebnisse könnten auch zu einem besseren Verständnis dafür beitragen, warum Menschen mit Demenz oft unter Orientierungsverlust leiden. „Die Funktion von Rasterzellen nimmt mit dem Alter und bei Demenz ab“, sagt Wagner. „Das führt dazu, dass sich Personen nicht mehr zurechtfinden und die Orientierung beeinträchtigt ist.“ In zukünftigen Studien will das Team herausfinden, inwieweit die Rasterzellen auch am Erkennen von Personen beteiligt sind – ein Aspekt der bei fortgeschrittener Demenzerkrankung häufig beeinträchtigt ist.

Quelle: Isabella Wagner (Universität Wien, Österreich) et al., Nature Communications, doi: 10.1038/s41467-023-35819-3

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