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Zelluläre Müllabfuhr unterscheidet sich je nach Zelltyp

Gesundheit|Medizin

Zelluläre Müllabfuhr unterscheidet sich je nach Zelltyp
Zellen
Hautzellen der Maus. Die Lysosomen sind hier rot eingefärbt, ein neu entdecktes lysosomales Protein grün. Zellkerne erscheinen blau. © Florian Bleibaum/ Universität Kiel

Die Entsorgung defekter oder krankhafter Zellbestandteile ist für unsere Zellen überlebenswichtig. Jetzt haben Forscher entdeckt, dass die wichtigsten Kompartimente der zelleigenen Müllabfuhr, die Lysosomen, je nach Zelltyp sehr unterschiedlich aufgebaut sind. So kommen beispielsweise in den Lysosomen der Leberzellen andere Proteine vor als in Nieren- oder Gebärmutterhalszellen. Krebszellen wiederum verfügen über eine Spezialvariante von Lysosomen, die Proteine besonders effektiv abbauen und die wachsenden Tumoren dadurch mit wichtigen Bausteinen für ihren Energiestoffwechsel versorgen können, wie das Team ermittelte. Die gewonnenen Erkenntnisse über die Entsorgungs-Akteure in unseren Zellen könnten auch dazu beitragen, die zellulären Wurzeln bestimmter Krankheiten zu ergründen.

In unseren Zellen fallen ständig jede Menge Abfallstoffe an – defekte Proteine und Zellbestandteile, Nebenprodukte des Zellstoffwechsels oder auch überflüssig gewordenen Signalmoleküle. Damit sich dieser Zellmüll nicht anreichert und die Funktion der Zelle beeinträchtigt, wird er von der zelleigenen Müllabfuhr abgebaut. Zentraler Teil dieser Entsorgung sind die Lysosomen, kleine, von einer Lipidmembran umgebene Bläschen im Zytoplasma, in denen Dutzende verschiedener Enzyme gesammelt sind. Abfallstoffe werden in diese Kompartimente eingeschleust und dann darin durch die verschiedenen Enzyme in ihre Einzelteile zerlegt. Das Resultat sind Abbauprodukte in Form von Molekülen, die der Zelle wieder als Rohstoff für weitere Zellprozesse dienen können. „Der Prozess ist immens wichtig“, erklärt Seniorautor Dominic Winter vom Universitätsklinikum Bonn. „Wenn er nicht korrekt funktioniert, können Erkrankungen wie Alzheimer oder Parkinson die Folge sein.“ Auch für den Energiestoffwechsel der Zelle, die Erregerabwehr oder Reparaturmechanismen sind die Lysosomen und ihre Abbautätigkeit immens wichtig.

Umfassende Proteinbilanz der Lysosomen

Schon länger ist bekannt, dass Lysosomen sehr komplex aufgebaut sind und mehrere hundert Proteine beinhalten können. Wenn man Lysosomen aus Zellen isoliert und ihre Zusammensetzung mit Spezialgeräten analysiert, findet man oft mehr als 5000 unterschiedliche Proteine. Welche Funktion sie im Einzelnen haben und wie viele davon für die Abbautätigkeit der Lysosomen essenziell sind, ist jedoch schwer zu ermitteln. „Es kann sich auch um Moleküle handeln, die gerade in ihnen zerlegt werden“, erklärt Winter. „Andere hängen vielleicht von außen an ihrer Membran, ohne irgendeine Aufgabe zu erfüllen. Und auch bei der Isolierung der Lysosomen gibt es meist eine Menge unerwünschten Beifang.“ Winter, seine Kollegin Fatema Akter und ihr Team haben daher ein Verfahren entwickelt, mit dem der Proteingehalt der Lysosomen ermitteln und ein großer Teil der unbeteiligten Moleküle identifiziert werden kann.

Für ihre Studie wendeten sie diese Analyseverfahren an sechs verschiedenen Zelllinien an, vier vom Menschen und zwei von der Maus. Die humanen Zellkulturen stammten aus der Niere, dem Gebärmutterhals, der Leber sowie dem Knochenmark und waren teilweise aus Krebstumoren entnommen worden. Die Analysen der Lysosomen-Proteine enthüllten, dass von den 5000 Proteinen, die typischerweise mit herkömmlichen Methoden gefunden werden, noch gut 1000 enger mit der Funktion der Lysosomen verknüpft sind. Einige hundert dieser Proteine kamen in fast allen Lysosomen vor – egal, aus welchem Gewebe diese stammten. „Darunter waren neben den bereits bekannten lysosomalen Eiweißen auch etwa 100 neue. Wir halten es für wahrscheinlich, dass diese ebenfalls für die Funktion der Nano-Schredder eine wichtige Rolle spielen“, erklärt Winter.

Je nach Zelltyp verschiedene Ausstattung

Darüber hinaus gibt es jedoch viele Proteine, die nur in den Lysosomen bestimmter Gewebe vorzukommen scheinen. Andere Proteine wiederum unterscheiden sich je nach Zelltyp in ihrem Anteil und ihrer Menge. „In jedem der sechs Zelltypen, die wir untersucht haben, haben die Lysosomen eine ganz spezifische Protein-Ausstattung“, berichtet Winter. „Wir sind meines Wissens die erste Arbeitsgruppe, die das zeigen konnte.“ Die Entsorgungsfabriken der Zellen sind demnach je nach Gewebe und Zelltyp spezifisch aufgebaut und verfügen über eine jeweils eigene, an die Bedürfnisse der Zellen angepasste Ausstattung an Proteinwerkzeugen. „Die Lysosomen von Leberzellen sind zum Beispiel randvoll mit Abbau-Enzymen“, berichtet Winter. „Das ist auch plausibel – eine wichtige Funktion der Leber ist die Zerlegung unterschiedlicher Moleküle.“ Denn die Leber spielt eine wichtige Rolle für die Entgiftung des Körpers.

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Krebszellen verfügen dagegen über eine Spezialvariante von Lysosomen, die sie besonders effektiv mit Bausteinen für ihren Energiestoffwechsel versorgen kann. „In den von uns untersuchten Krebszellen enthielten die Lysosomen sehr viele Transporter-Proteine“, berichtet Winter. Der Grund dafür: Tumore benötigen für ihr Wachstum viel Energie, gleichzeitig sind sie oft schlecht durchblutet. Sie verdauen daher das umgebende Gewebe mithilfe der Lysosomen und nutzen die Abbauprodukte für ihre Energiegewinnung. Damit diese dann von der Krebszelle genutzt werden können, müssen sie aus den Lysosomen zurück in die Zelle transportiert werden – daher die vielen Transporter-Proteine.

Insgesamt tragen die Ergebnisse dazu bei, mehr über die Funktion und Arbeitsweise der Lysosomen ans Licht zu bringen. Sie könnten aber auch dazu beitragen, die Rolle der Lysosomen bei bestimmten Krankheiten zu erhellen. So weiß man seit längerem, dass bei der Parkinson-Erkrankung die Lysosomen in bestimmten Nervenzellen verändert sind. „Wir können nun eine Art Protein-Fingerabdruck dieser Lysosomen nehmen und mit dem von Gesunden vergleichen“, erläutert Winter. „Das könnte Hinweise darauf geben, wie die Funktion der zellulären Schredder bei Betroffenen verändert ist und warum das zu neurologischen Problemen führt.“ Langfristig könnte das auch helfen, neue Ansatzpunkte für Medikamente zu finden.

Quelle: Fatema Akter (Universität Bonn) et al., Molecular & Cellular Proteomics, doi: 10.1016/j.mcpro.2023.100509

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