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Das System Venedig

Die Markusrepublik in der europäischen Geschichte

Das System Venedig
Als Staatsprinzip Venedigs lässt sich Gleich‧gewicht identifizieren, aber auch Wachsamkeit. Ihm lag ein negatives Menschenbild zugrunde: Dem Menschen sei die Neigung zu eigen, sich selbst und andere zu zerstören. Wie steuerte die Serenissima dem entgegen?

Will man auf den Punkt bringen, was Venedig in der europäischen Geschichte vorrangig bedeutete, dann dies: Venedig gab Europa die Lösung des Problems der conditio humana. Die Wahl des Dogen etwa wurde zu einem geradezu alchimistischen Vorgang, der den Menschen läuterte. Die Proze‧dur im Kurzdurchgang: Der Große Rat bestimmte 30 „Wahlmänner“ durch das Los; diese wurden durch Los auf neun vermindert; diese neun ernannten 40 Wahlmänner; deren Zahl wurde wieder durch Los auf zwölf reduziert; diese zwölf ernannten 25 Wahlmänner; diese 25 wurden durch Los auf neun verringert; diese neun ernannten 45; diese 45 wurden auf elf zurückgeschraubt; diese elf ernannten 41 Wahlmänner; und diese 41 wählten den Dogen.

Die Nominierung folgte dem Prinzip des Verdiensts. Da sich dieses jedoch immer mit persönlicher Bevorzugung und Interessengemeinschaften verquickt, kam das reinigende Feuer des Zufalls hinzu. So hoffte man, das Problem der Begünstigung auszuräuchern und am Ende das reine Gold der Staatsergebenheit gewinnen zu können. Dass selbst ein solch ausgeklügeltes Vorgehen nicht immer verhindern konnte, dass sich ein schlechter Kandidat durchsetzte und man einem klug simulierenden Heuchler auf den Leim ging – auch das gehörte zum Selbstverständnis Venedigs.

Der Anspruch des Systems Venedig, die Beste der sozialen und politischen Welten zu sein, leitete sich aus diesem Prozess, Schlacken abzustoßen, ab. So lag dem venezianischen Staatsverständnis ein tiefer anthropologischer Pessimismus zugrunde: Der Mensch besitze ein hohes Potential der Selbst- und Fremdzerstörung, das sich weder austilgen noch dauerhaft umformen lasse. Niccolò Machiavelli missbilligte diese Haltung, denn man verzichte damit darauf, den egomanischen Menschen zum „Bürgersoldaten“ umzuerziehen (wie es etwa die Schweiz mache), sondern arrangiere sich mit seiner verbrecherischen Selbstliebe.

Da aber auch der sorgfältigst ausgesuchte Doge Familie besaß und dazu neigte, sie zu begünstigen, stellte man ihm Beobachter, Repräsentanten des Staates, an die Seite – so sollten sich die Interessen und Gegensätze neutralisieren. Selbst dies bot allerdings keine Gewähr gegen die Durchsetzung des „Prinzips Eigennutz“, und so schuf man ein zusätzliches Aufsichtsorgan: den „Rat der Zehn“ (der allerdings auch keine absolute Garantie zu leisten vermochte).

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Das ist also die Botschaft Venedigs an Europa: das produktive Prinzip Misstrauen. Deshalb gab es nur einen republikanisch eingebundenen Monarchen. Venedig hat die politisch-religiöse Lehre nie akzeptiert, wonach Königen besondere Gnaden mitgegeben seien, damit sie ihre von Gott verliehene Herrschaft ausübten. Vor allem aber: In Königen komme das in jedem Menschen schlummernde Potential der Selbstüberhebung unbeherrscht zum Ausbruch…

Prof. Dr. Volker Reinhardt

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