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„Den Pfad ächter Weiblichkeit verfehlt“

Heldenjungfrauen im Krieg gegen Napoleon

„Den Pfad ächter Weiblichkeit verfehlt“
In größerer Zahl kleideten sich junge Frauen zwischen 1806 und 1815 als Männer und schlossen sich der preußischen Armee an. Wie ihre Brüder eilten sie als Freiwillige zu den Fahnen. Die Namen von 22 „Heldenjungfrauen“ sind überliefert. Wie viele andere unentdeckt blieben ist unbekannt.

Das Bild der sogenannten Heldenjungfrauen ist in der zeitgenössischen Tagesliteratur ebenso wie in der späteren Geschichtsschreibung zwiespältig. Der Historiker Friedrich Förster der 1813/14 im Lützower Freicorps mitgekämpft hatte, versuchte 1856 in seiner „Geschichte der Befreiungskriege“ das Verhalten der zu den Waffen eilenden Frauen damit zu legitimieren, daß sie „von der allgemeinen Begeisterung so weit fortgerissen (worden seien), daß sie unerkannt in die Reihen der Kämpfer traten und heldenmütig an der Seite der Tapfersten fochten und starben.“

Zur populärsten „Heldenjungfrau“ avancierte bereits während der Freiheitskriege Eleonore Prochaska. Als 28jährige Tochter eines armen, invaliden Unteroffiziers aus Potsdam hatte sie seit April 1813 unter dem Namen August Renz als Infanterist bei den Lützowern mitgekämpft. Sie war am 16. September 1813 bei einem Gefecht in der Göhrde schwer verwundet worden und am 5. Oktober verstorben. Erst nach ihrer Verwundung wurde ihr Geschlecht entdeckt. Ein Bericht aus Danneberg, wo sie bis ihrem Tode gepflegt worden war, meldete am 7. Oktober ihre ehrenvolle militärische Bestattung und stilisierte sie zugleich erstmals zur „deutschen Jeanne d’Arc“, ein Ehrentitel der keiner anderen „Heldenjungfrau“ zugestanden wurde. Wie die französische Nationalheldin sei sie den Märtyrertod für das Vaterland gestorben. Ein weiteres Indiz für die frühe Verherrlichung von Eleonore Prochaska ist ein anonymes Gedicht, das im Dezember 1813 in der „Preußischen Feld-Zeitung“ abgedruckt wurde. Darin hieß es:

„Zur deutschen Jeanne d’Arc vom Schicksal auserkohren, Hebt ihre Brust sich hoch! Des Vaters stilles Haus Wird ihr zu eng und zu Höherem gebohren, Stürzt sie in die mit Krieg umzogne Welt hinaus … Du von der Nemesis, als Rächerin, zur großen, Zur Segensthat bestimmt, dem Dämon dieser Welt, Mit einer Corday Hand den Dolch ins Herz zu stoßen, Warst deutschen Männern du als Muster aufgestellt“

In ähnlicher Weise wurde sie in einer ganzen Reihe von zeitgenössischen Gedichten und Presseberichten verewigt, die durchgehend ihren Kampfgeist und ihren Mut den Jünglingen und Männern zum „Muster“ empfahlen. Wie Eleonore Prochaska sollten sie „Herz und Blut“ dem Vaterlande weihen. Das unausgesprochene Motiv für ihre Stilisierung zu einem Vorbild war die Hoffnung, daß dies die Jünglinge und Männer zu größeren Heldentaten anstacheln würde. Sie sollten sich als Mann beweisen, indem sie mehr Mut und Tapferkeit zeigten als die „Heldenjungfrau“, hatten sie doch außer dem Vaterland auch ihre Ehre als Mann zu verteidigen.

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Während an Eleonore Prochaska im gesamten 19. Jahrhundert die Erinnerung wach gehalten wurde, da ihr Tod auf dem Schlachtfeld, ihre Stilisierung zu einer „deutschen Heldin“ ohne nachhaltigen Schaden für die Geschlechterordnung möglich machte – in der „Gartenlaube“ von 1865 erschien beispielsweise der Artikel „Eine deutsche Amazone. Erinnerungen aus den Freiheitskriegen“ –, gerieten die meisten anderen öffentlich bekannt gewordenen „Helden-jungfrauen“, die den Krieg überlebten, schnell in Vergessenheit. Sie eigneten sich nicht zu einer Mythisierung. Zu ihnen gehörte die 19jährige Mecklenburger Bauerntochter Friederike Krüger, die sich im April 1813 als August Lübeck dem Infanterieregiment Kolberg anschloß. Nach ihrer schnellen Entdeckung als Frau konnte sie mit Genehmigung der Generalität und geschützt von den Offizieren weiter bei der kämpfenden Truppe bleiben, stieg dort zum Unteroffizier auf und wurde erst nach dem zweiten Kriegszug, ausgezeichnet mit dem Eisernen Kreuz und dem russischen St. Georgs-Orden, aus der preußischen Armee entlassen.

Auch die 17jährige Bremer Zimmermeistertochter Anna Lühring kämpfte von Oktober 1813 bis März 1814 als Student Eduard Krause bei den Lützowern. Nach ihrer Entdeckung durfte sie ebenfalls, gedeckt von den Offizieren, bis zum Ende des Kriegszuges bei der Truppe bleiben. Maria Werder, die kinderlose Ehefrau eines schlesischen Gutsbesitzers und Offiziers, kämpfte 1813 wie bereits 1806/07 als Husar an der Seite ihres Ehemannes. Sie brachte es in den Freiheitskriegen im zweiten schlesischen Husarenregiment bis zum Wachtmeister (dem höchsten Unteroffiziersrang) und offenbarte ihr Geschlecht erst, als sie nach dem Tod ihres Mannes, der in der Leipziger Völkerschlacht fiel, den Militärdienst quittierte.

Über diese „Heldinnen“ verfaßten die Zeitgenossen keine lyrischen Lobpreisungen. Die einzige, der neben Eleonore Prochaska ein Gedicht gewidmet wurde, war Friederike Krüger. Doch das Gedicht auf sie war voller Ironie. Das Sonett „Der Unteroffizier Auguste Krüger“ von Friedrich Rückert endet:

„Dieser Unteroffizier Dieser Unteroffizier, Focht mit rechter Mannsbegier, Wer ihn frei’n will, glaubet mir, Hat erfochten Wunden viel, Muß ein tücht’ger Hauptmann sein, Und ein eisern Kreuz am Ziel, Wenn der Handel soll gedeih’n; Andern Brautschatz auch, der klingt, Ei, ein Hauptmann bringt ihn schon Den zum Heirathsgut sie bringt Zur Subordination Dem, der sie will freien. Trotz dem Kreuz am Halse.“

Rückert problematisierte in dem Gedicht den mit dem Kleidertausch einhergehenden Rollenwechsel. Es stellt Friederike Krüger zunächst als schmucken und kriegerischen Unteroffizier und potentiellen Heiratskandidaten vor, enttarnt dann ihr biologisches Geschlecht, indem er sie des Uniformrocks entkleidet, und beschreibt, wie sie sich selbst „zu einem Mann“ gemacht hatte, „als Mann zu Felde“ gezogen war und mit „Mannsbegier“ gekämpft hatte, ohne ihre patrioti-schen Motive auch nur zu erwähnen. Das Gedicht erweckt den Eindruck, als sei es ihr vorrangig darum gegangen, in die Männerrolle zu schlüpfen, sich als „Mann“ zu bewähren und sich männliche Macht anzueignen.

Die zitierten Strophen spielen darauf an, daß ihr Vorgesetzter, Generalleutnant Karl Heinrich Ludwig von Borstell, ihr bei ihrer ehrenvollen Entlassung aus dem Militärdienst Anfang Dezember 1815 nicht nur ein glänzendes Zeugnis ausgestellt und der Öffentlichkeit bekannt gemacht hatte. Borstell bescheinigte „dem außerordentlich verdienstlichen Heldenmädchen“ darin, daß es sich „unta-delhaft und brav“ geschlagen und „sittsam betragen“ habe und wünschte ihm, daß es „bald aus dem Geräusch der Waffen in den stillen Genuß ei-ner […] gebührenden dauernd glücklichen Häuslichkeit versetzt“ werde. Zusätzlich hatte Borstell im Januar 1816 in den „Berlinischen Nachrichten“ zu einer öffentlichen Spendensammlung für ihre Aussteuer aufgerufen, die insgesamt fast 1110 Taler erbrachte. Dies ermöglichte Friedrike Krüger im März des Jahres unter großer öffentlicher Anteilnahme die Heirat mit dem Unteroffizier Karl Köhler…

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Die Befreiungskriege 1813–1815

Trotz des Debakels, das Napoleon bei seinem Rußlandfeldzug 1812 erlitten hatte, zögerte Friedrich Wilhelm III. von Preußen, sich aus der ungeliebten Allianz mit Frankreich zu lösen. Zu tief saß der Schock über die Niederlage Preußens 1806. Derweil schufen andere Fakten: Am 30. Dezember 1812 unterzeichnete General Yorck von Wartenberg in Tauroggen eigenmächtig eine Konvention, in der er sich mit dem russischen General Diebitsch verständigte. Kurze Zeit später organisierten Freiherr vom Stein, Ernst Moritz Arndt und Clausewitz die Volkserhebung in Ostpreußen.

Und als alle riefen, so ein zeitgenössisches Bonmot, kam endlich auch der König. Am 16. März 1813 erklärte er Frankreich den Krieg, tags darauf folgte sein „Aufruf an mein Volk“: „Brandenburger, Preußen, Schlesier, Pommern, Litauer! Ihr wißt, was Ihr seit fast sieben Jahren erduldet habt, Ihr wißt, was euer trauriges Los ist, wenn wir den beginnenden Kampf nicht ehrenvoll enden… Es ist der letzte entscheidende Kampf, den wir bestehen, für unsere Existenz, unsere Unabhängigkeit, unsern Wohlstand. Keinen andern Ausweg gibt es, als einen ehrenvollen Frieden, oder einen ruhmvollen Untergang…“ Trotz dieses pathetischen Aufrufs blieb dem König der Gedanke an einen Volkskrieg ein Greuel. Nur widerwillig verkündete er die allgemeine Wehrpflicht; die vorübergehende Bildung freiwilliger Landwehrabteilungen empfand er als unsäglich.

Die Bedenken des Königs schienen zunächst gerechtfertigt: Im Mai 1813 kam es zu Siegen Napoleons bei Großgörschen und Bautzen. Die entscheidende Wende brachte erst die Völkerschlacht von Leipzig vom 16. bis 19. Oktober 1813, die das Ende der napoleonischen Herrschaft in Deutschland bedeutete. (Uwe A. Oster)

Dr. Karen Hagemann

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