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Der traurigste Tag meines Lebens

Kaiserproklamation in Versailles

Der traurigste Tag meines Lebens
Mit der Kaiserproklamation in Versailles hatte Otto von Bismarck am 18. Januar 1871 sein Ziel der deutschen Einigung unter preußischer Führung erreicht. Nur einer hätte den Triumph in letzter Minute fast noch durchkreuzt: Wilhelm I. wollte nicht „Deutscher Kaiser“ werden.

Kaum ein anderes Gemälde ist in deutschen Geschichtsbüchern so oft reproduziert worden wie Anton von Werners „Kaiserproklamation“ in Versailles. Das Gemälde scheint mit fotografischer Genauigkeit den Moment wiederzugeben, in dem Großherzog Friedrich I. von Baden zum ersten Mal den preußischen König Wilhelm I. als Kaiser hochleben lässt. Tatsächlich war Anton von Werner ein Augenzeuge des Geschehens. Der preußische Kronprinz Friedrich Wilhelm, der spätere Kaiser Friedrich III., hatte ihn dazu einladen lassen: Er werde hier etwas seines „Pinsels Würdiges“ erleben.

Anton von Werner hat drei Versionen der Kaiserproklamation geschaffen: ein monumentales Ölgemälde für das Berliner Stadtschloss, eine Wandmalerei in der Ruhmeshalle des Berliner Zeughauses und ein im Vergleich dazu kleinformatiges Bild zum 70. Geburtstag Otto von Bismarcks 1885. Erhalten hat sich nur diese jüngste Fassung. Auf der Balustrade des Spiegelsaals von Versailles haben sich die Fürsten um Wilhelm I. geschart. Links neben seinem Vater steht Kronprinz Friedrich Wilhelm, rechts Großherzog Friedrich I. von Baden. Die im Saal versammelten Offiziere scheinen mit ihren gezogenen Degen nach vorne zu streben.

Diese Dynamik fehlte der ersten Fassung noch. Vor allem aber hat der Künstler in der zweiten und der dritten Fassung jenen Mann hervorgehoben, der als „Schmied des Reichs“ gefeiert wurde: Auf der Schlossfassung muss der Betrachter zuerst eine Weile suchen, bis er Otto von Bismarck ausfindig gemacht hat; er steht nicht im Mittelpunkt, und er trägt eine dunkelblaue Uniform wie alle anderen Offiziere. Dieses Bild entsprach dem Geschehen, das von Werner in Versailles erlebt hat. Bei der dritten Fassung dagegen trägt Bismarck eine strahlend weiße Galauniform, die ihn von allen anderen abhebt.

Die Proklamation Wilhelms I. zum Deutschen Kaiser ging, wie Anton von Werner es beschrieben hat, „in prunklosester Weise und in außerordentlicher Kürze“ vonstatten. Nicht nur der Künstler dürfte damals von Bismarcks „mit hölzerner Stimme“ vorgetragener Rede nur wenig mitbekommen haben. „[Ich] erwachte aus meiner Vertiefung erst, als der Großherzog von Baden neben König Wilhelm trat und mit lauter Stimme in den Saal hineinrief: ‚Seine Majestät, Kaiser Wilhelm der Siegreiche, er lebe hoch!‘ Ein dreimaliges Donnergetöse unter dem Geklirr der Waffen antwortete darauf …; von unten her antwortete wie ein Echo sich fortpflanzend das Hurra der dort aufgestellten Truppen. Der historische Akt war vorbei: Es gab wieder ein Deutsches Reich und einen Deutschen Kaiser.“

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Dass dieser Akt so kurz und ohne größere Feierlichkeiten vonstattenging, war nicht nur dem andauernden Krieg geschuldet. Die Prokla‧mation war der kleinste gemeinsame Nenner gewesen, auf den sich die Hauptdarsteller hatten einigen können. Die Verhandlungen auf dem Weg zu einem neuen deutschen Reich – über eine Erweiterung des Norddeutschen zu einem gesamtdeutschen Bund, in dem die Krone Preußen das Präsidium innehaben sollte – hatten sich als schwierig erwiesen. Ein gesamtdeutsches Parlament gab es nicht, und aus dessen Händen hätte Wilhelm I. die Kaiserkrone so wenig angenommen wie 1848 sein Bruder Friedrich Wilhelm IV. Es musste ein Fürst sein, möglichst ein süddeutscher, und am allerbesten der bayerische König, der diese Aufgabe übernahm.

Doch Ludwig II. hegte gegenüber Preußen keine besonders zarten Gefühle und fürchtete um die Souveränität seines Landes. Bismarck kam diesen Befürchtungen entgegen, indem er Bayern eine Reihe von Reservatrechten einräumte, etwa im Post- und im Eisenbahnwesen sowie in Friedenszeiten auch beim Militär. Schließlich schrieb Ludwig II. den „Kaiserbrief “ mit dem entscheidenden Satz: „Ich habe mich daher an die deutschen Fürsten mit dem Vorschlag gewendet, gemeinschaftlich mit mir bei Eurer Majestät in Anregung zu bringen, dass die Ausübung der Präsidialrechte des Bundes mit Führung des Titels eines deutschen Kaisers verbunden werde.“ In der Folge flossen Gelder aus der schwarzen Kasse des sogenannten „Reptilienfonds“ auf das Konto des „Märchenkönigs“. Für viele Bayern ist die Vorstellung bis heute ein Graus, dass sich Ludwig II. möglicherweise habe kaufen lassen. Eine direkte Verbindung ist zwischen dem „Kaiserbrief “ und diesen Zu-wendungen tatsächlich niemals hergestellt worden, und so mag der Geldfluss auch als nachträgliches Zeichen Bismarck’scher Dankbarkeit und nicht als vorab geäußerte Bedingung Ludwigs II. für seine Zusage betrachtet werden.

Doch alle Reservatrechte und finanziellen Zuwendungen vermochten den bayerischen König nicht dazu zu bewegen, selbst nach Versailles zu reisen und Wilhelm vor Ort die Krone anzutragen. Ein weiteres Problem stellte Wilhelm I. selbst dar: Er wollte, wenn überhaupt, Kaiser von Deutschland und nicht Deutscher Kaiser werden; das klang ihm allzu sehr nach einem „Charaktermajor“, wie jene Offiziere genannt wurden, die vor ihrer Pensionierung noch ein letztes Mal befördert wurden. Wilhelm dachte kurzzeitig sogar daran, abzudanken und seinen von der nationalen Einigung begeisterten Sohn die Sache machen zu lassen. Doch wie immer knickte er am Ende vor Bismarck ein. Mit seinen Gefühlen hielt er gleichwohl nicht hinter dem Berg. Am Vorabend der Proklamation zum Deutschen Kaiser bekannte er: „Morgen ist der traurigste Tag meines Lebens. Morgen tragen wir das preußische Königtum zu Grabe.“

Nach der Absage Ludwigs II. sollte Großherzog Friedrich I. von Baden den Part der Proklamation in Versailles übernehmen; nicht nur, weil er der Schwiegersohn des preußischen Königs war, sondern weil er sich dar-über hinaus der Sache der deutschen Einigung persönlich verbunden fühlte und auch zur Aufgabe von Souveränitat bereit war, um dieses Ziel zu erreichen. Wilhelm I. bat seinen Schwiegersohn in einem Akt letzten Aufbäumens gegen Bismarck noch darum, ihn entgegen der vereinbarten Titulatur als „Kaiser von Deutschland“ hochleben zu lassen. Der Großherzog fand einen salomonischen Ausweg aus dieser Bredouille, indem er keine der beiden Titulaturen verwendete. Tatsächlich sagte er in dem historischen Augenblick (etwas anders, als sich Anton von Werner rückblickend erinnerte) dann lediglich: „Seine Kaiserliche und Königliche Majestät, Kaiser Wilhelm, lebe hoch, hoch, hoch.“

Literatur: Uwe A. Oster, Preußen. Geschichte eines Königreichs. München 2010. Uwe A. Oster,  Die Großherzöge von Baden 1806 –1918. Regensburg 2007. Dominik Bartmann, Anton von Werner. Geschichte in Bildern. München 1993.

Uwe A. Oster

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