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Die Königsnation

Frankreichs Triumph

Die Königsnation
Der Hundertjährige Krieg wurde fast ausschließlich auf dem Kontinent ausgetragen. Doch hinterließ er in Frankreich nicht nur Tod und Verwüstung. Die Auseinandersetzung führte zu einem breite Schichten erfassenden Zusammengehörigkeitsgefühl mit dem Königtum als einender Kraft.

Triumph? Für Frankreich brachte der Hundertjährige Krieg über lange Zeit hin meist Zerstörung und Verwüstung, Not und Elend und immer wieder Niederlagen, die sich mit Namen wie Crécy (1346), Maupertuis (1356) und Azincourt (1415) verbinden. Namen, die auch für Demütigung und Blutzoll eines Adels stehen, der die Schlachten als eine Art Fortsetzung von Ritterturnieren ansah und sich nicht auf die Taktik eines Gegners einstellen mochte, bei dem Reiter, Fußtruppen und – oft kampfentscheidend – Bogenschützen im Verbund wirkten. Geführt wurde England von herausragenden Persönlichkeiten wie König Eduard III. (1327–1377) und dessen gleichnamigem Sohn, dem „Schwarzen Prinzen“ (gest. 1376), oder später König Heinrich V. (1413 –1422). Ihr die Insel kaum heimsuchender, sondern fast ausschließlich auf dem Kontinent geführter Krieg war zudem populär, bedeuteten die Siege doch reiche Beute.

Obendrein vergrößerten sich während des Kriegs vorübergehend die englischen Festlandsbesitzungen, die im Kern auf Eheverbindungen der Königstochter Mathilde mit Gottfried von Anjou-Plantagenet und König Heinrichs II. mit Eleonore von Aquitanien im 12. Jahrhundert zurückgingen; so kam im Gefolge von Azincourt die Normandie hinzu. Was der englische König seitdem im Westen Frankreichs letztlich als Souverän beherrschen wollte, galt dem französischen König als von ihm zu Lehen gehender Besitz; vielfacher Streit mit Feder und Schwert war die Folge. Hinzu kam, dass nach dem söhnelosen Tod des letzten Kapetingers 1328 Eduard III. von England als Spross einer französischen Königstochter Anspruch auf die Nachfolge in Frankreich erhob (siehe Seite 16). In dem darüber ausbrechenden großen Krieg spielten zwar auch weitere Konflikte von Schottland über Flandern bis in die Bretagne mit hinein, allein am Anfang standen eben vor allem traditionelle lehnsrechtliche und dynastische Auseinandersetzungen. Das Ende sollte indes ein ganz anderes Ergebnis zeitigen.

Soziale Unruhen, insbesondere in Paris und dessen Umland, Opposition von Teilen des Adels, organisatorisch-logistische Defizite und ein schwacher König wie Johann der Gute (1350 –1364) trugen das Ihre zu den Erfolgen der Engländer bei. Gleichwohl hätte ihnen das folgende Regiment Karls V. von Frankreich (1364 –1380) Warnung sein müssen: Sobald es auf französischer Seite gelang, die durchaus vorhandenen Mittel für einen taktisch anders ausgerichteten Kampf einzusetzen, wendete sich das Blatt. Was damals nur Episode blieb, sollte am Ende für Frankreichs Triumph mit den Ausschlag geben, nämlich die konsequente Erfassung und Nutzung der von der Einwohnerzahl über die Steuerkraft bis zu den Bodenschätzen im Vergleich zu England erheblich größeren Ressourcen zum Zweck gesteigerter militärischer Schlagkraft.

Doch zunächst ging das von Karl V. mühevoll Erreichte unter seinem Nachfolger Karl VI. (1380 –1422) gleich wieder verloren, da Hof und Hauptstadt von inneren Auseinandersetzungen erschüttert wurden. Der König litt seit 1392 unter Schüben von Wahnsinn; seine Verwandten suchten die Macht an sich zu reißen, allen voran der Bruder Ludwig von Orléans und der Onkel Philipp der Kühne von Burgund (1363 –1404), sodann dessen Sohn Johann Ohnefurcht (1404 – 1419). Dieser ließ Ludwig 1407 ermorden, der Konflikt eskalierte zum Bürgerkrieg zwischen Burgund und dem nunmehr von Bernhard von Armagnac (gest. 1418) geführten Haus Orléans. Weder Beter noch Pilger, weder Ärzte noch Magier vermochten unterdes an des Königs zunehmendem Leiden etwas zu ändern. Derweil man in England und im Reich Herrscher absetzte, blieb hier der „wohlgeliebt“ (bien-aimé ) Genannte weiter in seiner Würde. Gerade Krankheit und Krise offenbarten, wie tief das erstarkte Königtum zu einem die Franzosen existentiell bindenden Ferment geworden war – ob jetzt in der Stunde der Gefahr Intellektuelle wie Jean Gerson, Jean de Montreuil oder Christine de Pizan die Sache des Königs mit der Feder verfochten oder 1422 ein tief trauerndes Volk – mehr als 18 000 Pariser sollen es gewesen sein – Karl VI. das letzte Geleit gab.

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Große Gefahr war in der Tat seit 1415 im Verzug, als sich der junge Konflikt zwischen Armagnacs und Bourguignons mit dem alten Krieg gegen England verzahnte: Beide Parteien umwarben Heinrich V. von England als Bundesgenossen. Ihr Streit und die damit verbundene Schwächung Frankreichs ließen den englischen König nach langer Kampfpause wieder zu den Waffen greifen, nicht zuletzt, um das mit seinem Vater 1399 unter anfechtbaren Umständen ins Königtum gelangte Haus Lancaster durch neue Erfolge auf dem Kontinent zu legitimieren – was ihm bei Azincourt glänzend gelang. Obendrein gewann er alsbald mit Philipp dem Guten (1419 –1467) den mächtigsten der französischen Prinzen als Bündnispartner. Der Burgunder sann auf Rache für den Mord an seinem Vater Johann Ohnefurcht 1419. Denn als Mitwisser und Förderer dieses Verbrechens galt der damalige Dauphin (Thronfolger) Karl (VII.).

Frankreich, so wurde unter Philipps Auspizien im Vertrag von Troyes (1420) festgeschrieben, sollte nach dem Tod Karls VI. in Personalunion von dem mit seiner Tochter Katharina verheirateten englischen König Heinrich V. regiert werden. Als Karl VI. und unerwartet auch der junge Heinrich V. 1422 starben, trat der kaum einjährige Sohn aus jener Ehe als Heinrich VI. die Nachfolge in der Doppelmonarchie an, wobei er zunächst in seinem Onkel, dem Herzog Johann von Bedford (gest. 1435), einen tatkräftigen Regenten auf dem Festland fand. Den Dauphin Karl (VII.) aber, der wegen der Tat von Montereau von der Nachfolge ausgeschlossen worden war, verspotteten die Anglo-Burgunder als kleinen „König von Bourges“. Denn dorthin ins Landesinnere hatte er sich mit jenen Armagnacs zurückgezogen, die 1418 einem burgundischen Massaker in Paris hatten entfliehen können.

Gleichgültig und fatalistisch schien Karl (VII.) dem intriganten Treiben an seinem „Exil“-Hof und dem Verfall seiner Macht tatenlos zuzusehen, bis eine Jungfrau aus dem fernen lothringischen Domrémy 1429 die Wende brachte. Jeanne d’Arc war beileibe nicht die einzige Visionärin und Prophetin, die in jener aufgewühlten Zeit auf den Plan trat. Allein ihr messianisches Sendungsbewusstsein, als Tochter Gottes das von den Engländern belagerte Orléans befreien und den Dauphin zur alten Salbungs- und Krönungsstätte Reims führen zu müssen, sowie die tatsächliche und in manchem kaum erklärbare Erfüllung dieser Missionen markieren den Beginn von Frankreichs Wiederaufstieg und schließlichem Triumph.

Ohne dieser vereinfachenden, vornehmlich von konservativ-katholi-schen und nationalistischen Kreisen in Frankreich lange vertretenen These das Wort reden zu wollen, scheint andererseits auch bei der in der jüngeren Geschichtsschreibung zu beobachtenden Tendenz zur Minimierung der Rolle Johannas Skepsis angebracht. Denn mit ihrem ausschlaggebenden Einsatz vor Orléans, der gerade die einfachen Soldaten mitriss, mit dem Abzug der Engländer am 8. Mai 1429 sowie mit dem folgenden Akt von Reims war eine wichtige militärische und vor allem psychologische Wende erreicht, ging doch nunmehr das Gesetz des Handelns zunehmend auf Frankreich über. Dabei strahlte die Sicherheit der pucelle (Jungfrau) auf eine tief verunsicherte Gesellschaft aus….

Prof. Dr. Heribert Müller

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