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Die verklärteste Stadt der Antike

Die spartanische Gesellschaft

Die verklärteste Stadt der Antike
Manches am antiken Sparta wirkt modern: Freizügig und selbstbewußt waren etwa die spartanischen Frauen. Doch anderes wirkt archaisch: Die Unterdrückung der Heloten, einer Art von Staatssklaven, empfanden schon Zeitgenossen als abstoßend. Und die sprichwörtliche spartanische Erziehung ist ohnehin ein Kapitel für sich.

Mythen sind „Erzählungen“, sie werden nicht „verfaßt“, sondern sie entstehen einfach, etwa im Zusammenhang mit historischen Ereignissen, herausragenden Taten einzelner Persönlichkeiten oder der Gründung von Gemeinwesen, und ranken sich buchstäblich um diese. Ihre Funktionen sind vielfältig, sie wollen erklären, verherrlichen, staunen machen. Sie sind nach unseren Begriffen zwar nicht „wahr“, aber auch nicht „erlogen“. Sparta ist in diesem Sinn ein Mythos, wohl die verklärteste Stadt der Antike, und dies im besonderen auf den Gebieten der gesellschaftlichen Ordnung und der Erziehung. Das ist nicht verwunderlich, denn infolge der relativen spartanischen Abgeschlossenheit wußte niemand so genau Bescheid über das Leben in Sparta, nur daß es in vielen Bereichen anders zuging als in den meisten griechischen Städten.

Viele antike Beobachter suchten eine Erklärung für den beispiellosen Erfolg der nicht unbedingt sehr bürgerreichen Stadt, für die Unbesiegbarkeit der spartanischen Armee und für die Stabilität seiner Verfassung, und sie fanden sie in einer einzigartigen inneren Ordnung, in einer besonderen Treue zu den Gesetzen, in einer streng reglementierten bürgerlichen Lebensweise und in einer uns heute fast totalitär anmutenden Erziehung der Jugend. Da nun aus Sparta selbst kaum Nachrichten flossen, war der Boden für die Ausbildung eines Mythos gut bereitet.

Generationen von Politikern und Philosophen, Pädagogen und Geschichtsschreibern, Dichtern und Künstlern aller Zeiten haben sich seiner als Vorbild oder als Gegenbild bedient; er rechtfertigte kommunistische Weltverbesserungsideologien ebenso wie rassistische Willkür. Doch wie sah die Wirklichkeit der spartanischen Gesellschaft und des sprichwörtlichen spartanischen Lebens aus?

Der athenische Historiker Xenophon (um 430 – 354 v.Chr.) war ein profunder Kenner der spartanischen Ordnung, denn er lebte eine Zeitlang dort. In seinem Bericht über die Verschwörung eines gewissen Kinadon in Sparta im Jahr 398 v.Chr. nennt er verschiedene minderberechtigte Gruppen, die nicht zu den Vollbürgern, den Spartiaten, gehörten und sich um den Aufrührer scharten: Heloten, Periöken, Neodamoden und „hypomeiones“. Die beiden letzteren bezeichnen Sonderformen der Spartiaten, nämlich neu hinzugekommene Bürger (Neodamoden) und „geringere Spartiaten“, also Absteiger (hypomeiones). Es kristallieren sich demnach drei große Bevölkerungsgruppen auf dem Territorium des „Staates der Lakedaimonier“ heraus: Spartiaten als Bürger, Periöken und Heloten als Nicht-Bürger. Die Größe dieser Gruppen läßt sich heute nicht mehr bestimmen, aber sicher ist, daß die Menschen geringeren Rechts (Periöken und vor allem Heloten) ein Vielfaches der Vollbürger (Spartiaten) ausmachten. Von diesem gravierenden Mißverhältnis wurden die Politik der Polis Sparta und das Leben ihrer Bürger entscheidend bestimmt.

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Die Vollbürger, die Spartiaten, definierten sich über ihre Herkunft aus einer ordentlichen Spartiatenfamilie, eine bestimmte Größe ihres Besitzes, ihre Erziehung und Lebensführung (griechisch: agoge). Sie nannten sich selbst „die Gleichen“, eine Bezeichnung, in der sich ihre herausgehobene Stellung offenbart, denn nur sie hatten politische Rechte. Für die erwachsenen Männer dieser Gruppe sind auch Zahlen überliefert, denn sie bildeten das Rückgrat des berühmten spartanischen Heeres. Diese Zahlen sagen uns, daß Sparta auch für antike Verhältnisse eine eher kleine Stadt war. Zu Beginn des 5. Jahrhunderts v. Chr. gab es etwa 8000 wehrfähige Spartiaten, eine Zahl, die sich beständig verringerte: kaum 100 Jahre später waren es noch 5000, in der Mitte des 3. Jahrhunderts nicht einmal mehr 1000. Damit ließ sich kein Staat mehr machen, so daß der Niedergang Spartas zu einem großen Teil auch auf seine Bürgerarmut zurückzuführen ist.

Das Leben der spartiatischen Männer war komplett auf die Gemeinschaft und den Krieg hin ausgerichtet, worin sie es zu einer unerreichten und von den Zeitgenossen bewunderten Meisterschaft brachten. Für ihren Lebensunterhalt mußten andere sorgen, insbesondere die Heloten. So verbrachten die Männer ihre Zeit im militärischen Training, auf Kriegszügen, in Versammlungen oder bei anderen gemeinschaftlichen Aktivitäten. Zu Hause bei der Familie waren sie selten. Hier dominierten ihre Frauen. Unter ihrer Leitung stand die wirtschaftliche Versorgung der Spartiaten.

Diese für Sparta charakteristische und notwendige Arbeitsteilung zwischen den Geschlechtern bestimmte auch das für griechische Verhältnisse außergewöhnliche, auf Gleichheit gerichtete Verhältnis von Mann und Frau. Denn in einer Gesellschaft, in der alle in gleicher Weise „gebraucht“ wurden, konnten sich gar keine geschlechtsspezifischen Vorstellungen und also auch keine Geringschätzung der Frauen herausbilden.

Im gleichzeitigen demokratischen Athen war das anders, weil hier der (männlich dominierte) öffentliche Raum als Lebensmittelpunkt und Lieferant des Lebensunterhalts immer wichtiger, der häusliche immer unwichtiger wurde. Wenn der berühmte athenische Politiker Perikles 430 v. Chr. beiläufig die höchste weibliche Qualifikation in ihrer öffentlichen Nicht-Sichtbarkeit sieht, so offenbart sich darin eine Hierarchisierung der Geschlechter, die für Sparta undenkbar war. Die Quellen berichten davon, wie selbständig, freizügig und selbstbewußt die spartanischen Frauen waren, daß sie Besitz erwerben, frei dar-über verfügen und ihn weitervererben konnten, und daß sie auch in der Politik entscheidend mitredeten.

Unzählige Anekdoten über die besonderen spartanischen Frauen haben sich in der griechischen, zumeist athenischen Literatur erhalten; oft sprach man von „Weiberherrschaft“, und sogar vom Versagen der spartanischen Gesetzgeber war die Rede. Zwei Fünftel des Landes waren in Frauenhand, und der in Athen lebende Philosoph Aristoteles (384 –322 v. Chr.) meinte gar, den mythischen Gesetzgeber Lykurg rügen zu müssen, da er sich nur um die Männer, nicht aber auch um die Frauen gekümmert habe. Das zeigt, wie ungewöhnlich das spartanische Geschlechterverhältnis war und für welche Irritationen es sorgte.

Das Territorium des spartanischen Staates umfaßte zu einem Drittel die Landschaft Lakonien, durch die der Eurotas fließt, zu zwei Dritteln das fruchtbare Messenien. Auf diese Landschaften verteilten sich die Periöken und die Heloten. Die Periöken, die „Herumwohnenden“, lebten in eigenen, selbstverwalteten Gemeinden, an den Gebirgsrändern von Parnon und Taygetos oder an der Küste südlich der Stadt Sparta. Sie gehörten ebenfalls zu den Doriern und sprachen den spartanischen Dialekt. Sie waren persönlich frei, mußten aber Abgaben zahlen und Heeresdienst leisten. In Sparta besaßen sie allerdings keinerlei politische Rechte. Ihr Leben fristeten sie als Bauern, Geschäftsleute oder Handwerker; ihre Interessen dürften sich in vielen Bereichen mit denen der Spartiaten gedeckt haben.

Die größte Bevölkerungsgruppe waren aber die Heloten. Der Begriff leitet sich wahrscheinlich von der griechischen Verbform helein „nehmen, erobern“ ab, Heloten wären dann also „die Eroberten“, „die Gefangenen“. Das könnte zumindest sachlich passen, man hätte nämlich eine Erklärung dafür, wie Heloten in ihren rechtlosen Status gelangten. Denn die gängigste – freilich keineswegs allseits akzeptierte – Erklärung ist, daß die Polisbildung Spartas sich gewaltsam durch Einwanderung der Dorier von Norden her vollzog und diese Dorier zunächst Lakonien, spätestens im 7. Jahrhundert v.Chr. nach zwei blutigen und langwierigen Kriegen auch das fruchtbare Messenien eroberten und die Urbewohner in den Status von Heloten herabdrückten.

Welche Stellung hatten diese nun im spartanischen Staat? Der wohl bedeutendste Historiker der Antike, Thukydides, läßt keinen Zweifel daran, daß sie eine Art Sklaven waren, allerdings nicht, wie „normale“ Sklaven, in den Privatbesitz ihrer Herren gelangten, sondern vielmehr rechtlose Menschen waren, über deren Status nur die spartanische Bürgerschaft als Ganzes zu verfügen hatte. Wie viele Heloten es gab, können wir heute nicht mehr in Erfahrung bringen, außer daß Heloten gegenüber den Spartiaten weit in der Überzahl waren…

Literatur: Ernst Baltrusch, Sparta. Geschichte, Gesellschaft, Kultur. München 2003. Andreas Luther, Könige und Ephoren. Untersuchungen zur spartanischen Verfassungsgeschichte. Frankfurt am Main 2004. Lukas Thommen, Sparta. Verfassungs- und Sozialgeschichte einer griechischen Polis. Stuttgart/Weimar 2003. Karl Christ (Hrsg.), Sparta. Darmstadt 1986.

Prof. Dr. Ernst Baltrusch

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