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Ein Imperium steht zur Disposition

Die Krise des Römischen Reiches im 3. Jahrhundert

Ein Imperium steht zur Disposition
Das dritte nachchristliche Jahrhundert war für Rom eine Zeit gewaltigen Umbruchs und existentieller äußerer Bedrohungen. Die Ressourcen des Reiches waren überstrapaziert, seine Finanzlage wurde immer prekärer, und der Mißmut der Bevölkerung brach sich an vielen Orten Bahn.

Zu York, im unwirtlichen Norden Englands, liegt ein alter Mann im Sterben. Es ist das Jahr 211, der Sterbende ist Septimius Severus, Imperator Augustus, Pontifex Maximus, Herr über den größten Teil der bekannten Welt, von der Irischen See bis zum Tigris, von Mauretanien bis zur Krim. Als er fühlt, daß seine Kräfte ihn verlassen, ruft er seine beiden Söhne zu sich. Sein letzter Rat an die Brüder: „Seid einig, bereichert die Soldaten und verachtet alle anderen!“

Der dies sagte, mußte es wissen – selbst wenn die Begebenheit vielleicht nur eine (gute) Erfindung des Historiographen Cassius Dio ist. Septimius Severus, gebürtig aus dem nordafrikanischen Leptis Magna, war durch Soldaten an die Macht gekommen. Soldaten hatten ihn bis zu seinem Herrschaftsantritt begleitet, und Soldaten säumten seinen Weg als Kaiser. Als Commodus, Sohn des großen Mark Aurel, am Silvesterabend des Jahres 192 einer Verschwörung zum Opfer fiel, stürzte der Kaisermord den Prinzipat in seine bis dahin schwerste Krise: Fünf Kaiser-Akklamationen brachten rivalisierende Prätendenten in verschiedenen Teilen des Reiches gegeneinander in Stellung, eine Serie von Bürgerkriegen erschütterte das Imperium. Aus ihnen ging der Kandidat mit der größten militärischen Erfahrung und dem längsten Atem als Sieger hervor, eben Septimius Severus. 195 gehorchten alle Provinzen seinem Kommando.

Wie sehr sich das römische Kaisertum inzwischen von seinem Ausgangspunkt, dem augusteischen Prinzipat, entfernt hatte, illustriert am besten ein Text, der paradoxerweise just die Zeit des Augustus zum Gegenstand hat. Verfasser ist wiederum Cassius Dio, der bithynische Senator und Historiker. Er legt Maecenas als Ratgeber des Augustus die Worte in den Mund: „Das aber wäre ehrenhaft und zweckmäßig für dich wie für das Gemeinwesen: daß du selbst, in Absprache mit den fähigsten Männern, die geeigneten Gesetze verfügst, ohne jede Möglichkeit von Widerstand oder Kritik seitens der Massen; daß du und deine Ratgeber Krieg führen nach deinem eigenen Belieben und alle übrigen Bürger deinen Befehlen unverzüglich gehorchen; daß die Auswahl der Amtsträger dir und deinen Beratern obliegt; und daß du mit ihnen Ehren und Strafen festsetzt.“ Eine solch offene, absolute Machtfülle, wie ihr hier das Wort geredet wird, widersprach den Grundgedanken der von Augustus errichteten Ordnung, welche die Autokratie noch hinter kunstvollen Schleiern verborgen und unbeirrt an der Fiktion vom princeps („ersten Mann“) festgehalten hatte, der niemanden an Amtsbefugnis (potestas), aber alle an Autorität (auctoritas) überragte und der Idee nach Standesgenosse der Senatoren war.

Zur Realität war die unverhüllte autokratische Machtvollkommenheit des Kaisertums aber unter den Severern geworden. Der Kaiser war das alleinige Kraft- und Gravitationszentrum des Reiches, doch krankte das Kaisertum wie zu Zeiten des Augu-stus an einem elementaren Defizit: dem Fehlen jeder legitimatorischen Verankerung. Faktisch war Severus, wie alle Kaiser vor ihm, ein illegitimer Militärdiktator, dessen Macht auf den Legionen beruhte, über die er gebot. Der noch immer außerordentliche Charakter der Monarchie zwang auch ihn dazu, sich stets aufs neue der Akzeptanz dreier gesellschaftlich relevanter Gruppen zu versichern: der Senatoren, der stadtrömischen plebs und des Militärs. Freilich hatte sich die Balance zwischen den imperialen Pressure-groups seit dem 1. Jahrhundert verschoben: Bei weitem am wichtigsten war nun das Militär. Mehr noch als seinen Vorgängern, die ein Reich regiert hatten, dem an seinen Grenzen kein gleichwertiger Gegner gegenüberstand, haftete Septimius Severus das Odium des Militärdiktators an.

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Mit dem ersten Severer brach an, was man Roms „langes“ 3. Jahrhundert nennen könnte: Es reichte im Prinzip bis zum endgültigen Scheitern der Tetrarchie und war eine Zeit vielfältiger neuer Herausforderungen und Bedrohungen. Auch wenn mancher heute die Krise als „Erfindung“ der zeitgenössischen Literatur hinwegzudisputieren sucht: Das 3. Jahrhundert war eine Periode forcierten Wandels, in der es für das Imperium um Sein oder Nichtsein ging: Seit den Markomannenkriegen (165–174) unter Mark Aurel hatte sich Rom wieder militärischen Herausforderungen zu stellen, und wenige Jahrzehnte nach dem Tod des Severus war aus dem imperium sine fine (Vergil), dem Reich ohne Grenzen, eine belagerte Festung und aus einer stabilen Monarchie ein Zankapfel rivalisierender Prätendenten geworden. Wie hatte es dazu kommen können?

Dr. Michael Sommer

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