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Eine so herrliche und so reiche Beute

Der vierte Kreuzzug und die Eroberung Konstantinopels

Eine so herrliche und so reiche Beute
Vor 800 Jahren, am 13. April 1204, eroberte das Heer des vierten Kreuzzugs Konstantinopel und zerstörte damit das Byzantinische Reich, das seit der Spätantike die christliche Vormacht im östlichen Mittelmeerraum gewesen war. Bis heute gilt dieser Kreuzzug als die große katastrophale Pervertierung des Kreuzzugsgedankens schlechthin.

Der vierte Kreuzzug, so folgerte man aus der Eroberung Konstantinopels, habe ein für allemal den intoleranten, ja fanatischen Geist der Kreuzzüge bewiesen. So sprach der Kreuzzugshistoriker Steven Runciman pathetisch davon, daß „es niemals ein größeres Verbrechen an der Menschheit gegeben hat als den vier ten Kreuzzug“, und 2001 bat Papst Johannes Paul II. bei einem Besuch in Athen offiziell um Vergebung für die im Namen der katholischen Kirche auf diesem Kreuzzug verübten Verbrechen.

Die anhaltende Empörung erklärt sich daraus, daß der vierte Kreuzzug der erste gewesen ist, der sich ausschließlich gegen Christen richtete. Aber war er nun ein „einmaliger Ausrutscher“, oder war er sozusagen die logische Konsequenz aus der ganzen Entwicklung seit dem ersten Kreuzzug.

Das Verhältnis zwischen Byzantinern und Kreuzfahrern war von vornherein durch mehrere Mißverständnisse geprägt: Kaiser Alexios I. Komnenos hatte Papst Urban II. zwar um Hilfe gegen die Türken gebeten, aber er hatte dabei nicht im Traum an einen Kreuzzug gedacht. Was er wünschte, waren lateinische Sold?ritter, die im byzantinischen Heer kämpfen sollten. Den Papst sah er als Instanz, die geeignet war, seiner Bitte eine möglichst große Verbreitung zu sichern. Tatsächlich hatte diese Strategie Erfolg, allerdings mit einer entscheidenden Modifizierung: Urban II. stellte, vielleicht aus Propaganda?gründen, schließlich die Eroberung Jerusalems in den Vordergrund, und das bedeutete nicht nur, daß die Hilfe für Byzanz quasi zu einem „Nebenprodukt“ des Kreuzzugs wurde, vielmehr kam es auch zu einer grundsätzlichen Änderung in der Wertigkeit des Unternehmens: Für die lateinische Christenheit wurde die „Befreiung“ und später die Bewahrung und Rückeroberung des Heiligen Landes zu einem Gemeinschaftsunternehmen, das grundsätzlich alle Christen verpflichtete, nicht nur die lateinischen.

In Byzanz hat man diese religiöse Dimension der Kreuzzüge überhaupt nicht begriffen, zumal dort der Gedanke des Heiligen Krieges gegen die Ungläubigen unbekannt war. Byzanz hatte als Staat, der seit Jahrhunderten Nachbar nicht-christlicher Mächte war, eine pragmatische Außenpolitik entwickelt, die keine – oder zumindest keine ausschlaggebende – ideologische Komponente besaß. Die Kreuzzüge begriff man daher nicht als religiöse Unternehmungen, sondern sah sie als machtpolitisch bestimmte Versuche, mit denen die „Franken“, wie man die Lateiner im Vorderen Orient nannte, versuchten, in die byzantinische Interessensphäre einzudringen und sich dort auf Kosten von Byzanz Vorteile zu verschaffen.

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Die Folge war ein grundlegendes Mißtrauen auf beiden Seiten: Die Griechen begriffen die Lateiner als Aggressoren und ihre laut verkündeten religiösen Motive nur als Vorwand für einen Angriff auf Byzanz, während die lateinischen Christen in den Byzantinern Verräter an der gemeinsamen christlichen Sache sahen, die den Kreuzfahrern nur Schaden zufügten. Und so konnte eine lateinische Quelle zum dritten Kreuzzug über Byzanz konstatieren: „Sofort als wir in das griechische Königreich kamen, fielen wir in die Hände von Dieben und Räubern; unter den Griechen findet man keine Treue“, während die byzantinische Chronistin Anna Komnene schon anläßlich des ersten Kreuzzugs schrieb, daß nur „die Einfältigen“ wirklich ins Heilige Land ziehen wollten: „Die Verschlageneren und vor allem Leute wie Bohemund und seine Gesinnungsgenossen aber hatten tief im Herzen verborgen einen anderen Gedanken, nämlich auf dem Marsch dorthin zu versuchen, die Kaiserstadt selbst in ihre Gewalt zu bringen.“ Die Byzantiner hatten nicht ohne Grund Angst um ihre Hauptstadt, die damals die reichste Stadt der Christenheit war, so voll von realen und spirituellen Schätzen, daß Odo von Deuil, ein Chronist des zweiten Kreuzzugs, von ihr sagen konnte: „Konstantinopel, der Griechen Ruhm, märchenhaft reich, tatsächlich noch reicher.“

Prof. Dr. Ralph-Johannes Lilie

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