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Majestät brauchen Sonne

Wilhelm II. als Medienkaiser

Majestät brauchen Sonne
So rückschrittlich das selbstherrliche Auftreten und die Politik Wilhelms II. vielfach wirken mögen, so modern gab sich der Kaiser in seiner Öffentlichkeitsarbeit. Zu Recht wurde er als einer der ersten Medienstars der Geschichte bezeichnet.

Noch heute macht das geflügelte Wort vom „Kaiserwetter“ die Runde, das auf Wilhelm II. zurückgeht und den nur scheinbaren Zufall beschreibt, daß bei dessen Auftritten in der Öffentlichkeit stets strahlender Sonnenschein herrschte. Doch von Zufall konnte keine Rede sein: Wilhelm trat in aller Regel nur bei gutem Wetter auf und schreckte auch vor kurzfristigen Absagen nicht zurück, wenn die Wolken allzu drohend am Horizont erschienen. „Majestät brauchen Sonne“, hieß es dann zur Erklärung. Wilhelm inszenierte seine Auftritte wie ein Schauspieler. Dazu gehörte das richtige Licht oder auch die richtige Kleidung. Bis zu sechsmal am Tag wechselte er die Uniform. Das war natürlich auch einer fast manischen Kleidermarotte geschuldet, aber es war darüber hinaus unverzichtbarer Teil seiner Auftritte: Der Kaiser wollte glänzen. Und anders als der Bayernkönig Ludwig II. verwirklichte er das Schauspiel seiner Selbstinszenierung nicht in der Einsamkeit abgeschotteter Schlösser, sondern am liebsten vor großem Publikum.

In Berlin und Potsdam hielt es den rastlosen Kaiser selten lange. Fuhr er mit seiner Jacht „Hohenzollern“ nach Korfu oder nach Norwegen, dann war es ein ausgewähltes Publikum, das seine Auftritte bewunderte, reiste er durch das Reich, dann war es die breite Masse seiner Untertanen, die ihm als Publikum diente. Wohl kein anderer Herrscher vor ihm hat so viele öffentliche Auftritte absolviert wie Wilhelm II., am liebsten bei der Einweihung von Denkmälern für seinen Großvater Wilhelm I., dem er ebenso beharrlich wie vergeblich den Beinamen „der Große“ zukommen lassen wollte. Um möglichst schnell von einem Ort zum anderen zu kommen, benutzte der Kaiser die modernsten Verkehrsmittel, die für die jeweilige Reise zur Verfügung standen: Natürlich mußte seine Jacht die schnellste sein, natürlich war der technikbegeisterte Herrscher für die Eisenbahn aufgeschlossen. Früher als viele andere erkannte er, daß die Zukunft dem Automobil gehören würde. Zwar fuhr er nicht selbst, aber er ließ sich gern in seinem Auto fahren, dessen allgegenwärtige Huptöne die Berliner gewohnt forsch mit „bald hier, bald da“ übersetzten – und das I. R. (für Imperator Rex) mit „Immer reisebereit“.

Daß Wilhelms Bild in der Öffentlichkeit so weit verbreitet war, lag aber nur zum Teil an seinen sehr zahlreichen Auftritten, sondern war noch viel mehr der massenhaften Verbreitung von Fotografien des Kaisers zuzuschreiben. Wilhelm II. war der erste Monarch, der nahezu ständig von Fotografen begleitet wurde. Diese Bilder wurden in hunderttausendfacher Auflage als Postkarten verbreitet. Großer Beliebtheit erfreuten sich im wilhelminischen Deutschland zudem die sogenannten Kaiserpanoramen – Aufnahmen, die dank spezieller Betrachtungsgeräte ein dreidimensionales Sehen ermöglichten. Rund 250 dieser Panoramen gab es, und natürlich war Wilhelm hier stets präsent.

Auch das neue Medium des Films lernte der Monarch nach anfänglicher Skepsis schnell zu schätzen. Die erste Filmaufnahme des Kaisers stammt vom Mai 1896. Sie zeigt ihn – wobei auch sonst! – bei der Einweihung eines Denkmals für seinen Großvater auf dem Frankfurter Opernplatz. Wilhelm war von dem neuen Medium schließlich so angetan, daß er im Jahr 1900 anordnete, „alle wichtigen Ereignisse zu kinematographieren“. Die Filme wurden in „Kinematographentheatern“ einem staunenden Publikum gezeigt, das sich seinem Kaiser so näher fühlen konnte, als es ihm real jemals gekommen wäre. Über 100 dieser „Aktualitätenfilme“ entstanden bis 1911. In einer Zeit, in der für den Durchschnittsbürger selbst die Fotografie noch eine Ausnahmeerscheinung war, mutete diese Praxis revolutionär an. Fortan absolvierte Wilhelm keinen Auftritt mehr ohne Kameras im Schlepptau.

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Der aufwendigste Film entstand anläßlich der Hochzeit von Wilhelms einziger Tochter Viktoria Luise mit Herzog Ernst August von Braunschweig-Lüneburg 1913. Dieses Ereignis nutzte die Monarchie zu einer Prachtentfaltung gewaltigen Ausma?ßes. Das hing zum einen damit zusammen, daß Wilhelm ebenfalls 1913 sein 25jähriges Thronjubiläum feierte, in dem er sich zum „Friedenskaiser“ stilisieren ließ, zum anderen aber auch mit der Person des Bräutigams: Daß eine Preußin einen Welfen heiratete, schien nach 1866 (siehe DAMALS 2-2003 und 2-2004) undenkbar. Für Wilhelm bot die Hochzeit daher die Gelegenheit, der Welt das Schauspiel eines mit seiner Geschichte versöhnten Volkes zu zeigen, das die trennenden Schranken von einst überwunden hatte und einmütig hinter dem Kaiserhaus stand. Die Hochzeitsfeierlichkeiten ließ Wilhelm mit drei Kameras aufnehmen, deren Bilder ineinander projiziert und farbgefiltert wurden. So entstand die Illusion eines Farbfilms.

Zwar klingt Wilhelms Stimme auf den wenigen erhaltenen Tonaufnahmen eher scheppernd (was an der mangelnden Aufnahmequalität liegen mag) und wirkt seine Rhetorik heute ungewohnt pathetisch, doch war die Wirkung auf die Zeitgenossen vielfach eine andere. Mit seinem Redemarathon traf Wilhelm den Nerv vieler seiner Zuhörer aus dem „kaisertreuen“ bürgerlichen Milieu; darüber sollten die Karikaturen im „Simplicissimus“ und anderen Zeitschriften nicht hinwegtäuschen. Das gilt auch für seine heute so berüchtigte „Hunnenrede“, die gar der Londoner „Daily Telegraph“ für ihre kräftige Sprache lobte. Wilhelm setzte auf eine massenhafte Verbreitung dieser meist frei gehaltenen Reden und war enttäuscht, wenn die Zeitungen nicht darüber berichteten oder die seiner Meinung nach wichtigsten Sätze fehlten.

Mit die nachhaltigste Wirkung hatten Wilhelms Reden am 31. Juli/1. August 1914 vom Balkon des Berliner Stadtschlosses sowie am 4. August im Reichstag, mit denen er „sein Volk“ auf den kommenden Krieg einstimmte. Daß Wilhelm dabei offen die konfessionellen und parteipolitischen Gegensätze ansprach, um die Deutschen zur Einigkeit anzuhalten, und zugleich den eigenen Willen zum Frieden hervorhob, war eine rhetorische Meisterleistung, die nicht unwesentlich zu dem „Burgfrieden“ beitrug, der in Deutschland während des Krieges gelten sollte. Ein kurzer Ausschnitt aus der zweiten Balkonrede mag dies illustrieren: „Kommt es zum Kampf, so hören alle Parteien auf! Auch mich hat die eine oder die andere Partei wohl angegriffen. Das war in Friedenszeiten. Ich verzeihe es heute von ganzem Herzen. Ich kenne keine Parteien und auch keine Konfessionen mehr; wir sind heute alle deutsche Brüder und nur noch deutsche Brüder. Will unser Nachbar es nicht anders, gönnt er uns den Frieden nicht, so hoffe ich zu Gott, daß unser gutes deutsches Schwert siegreich aus diesem schweren Kampfe hervorgeht.“ Drei Tage später wandte er sich im Reichstag – den er sonst gerne als „Quasselbude“ oder „Reichsaffenhaus“ verunglimpfte – an die „gewählten Vertreter des deutschen Volkes“. Hier verkürzte er seinen Aufruf zum „Burgfrieden“ auf die bekannte, griffige Formel „Ich kenne keine Parteien mehr, ich kenne nur noch Deutsche“, die fortan auf Postkarten massenhafte Verbreitung fand. Nie zuvor stand Wilhelm mehr im Mittelpunkt des medialen Geschehens als in diesen Tagen. Und doch war es zugleich ein Wendepunkt: Zwar kursierten in der Folge weiterhin zahlreiche Postkarten, die den Kaiser „im Felde“ zeigten, doch wurde er auch in der medialen Präsenz zunehmend von seinen Generalen Hindenburg und Ludendorff ausgestochen – der Kaiser wurde seinem Volk immer ferner.

Im holländischen Exil begann Wilhelm jedoch bald wieder Gefallen an der Verbreitung seines Konterfeis zu finden. Kamen Besucher nach Doorn, erhielten sie als Geschenk ein Bild des Exkaisers, das ihn nun häufig auch im bis dahin ungewohnten Zivil zeigte. Diese Bilder sollten dafür sorgen, daß man ihn in Deutschland in Erinnerung behielt. Um die Wirkung von Bildern wissend, verbat sich der Exkaiser bei seiner Beisetzung Hakenkreuzfahnen. Adolf Hitler ordnete dennoch eine Beisetzung mit militärischen Ehren an und schickte Arthur Seyß-Inquart, den Statthalter der besetzten Niederlande, nach Doorn. Zugleich untersagte Hitler jedoch, daß Filmaufnahmen der Beisetzung in der „Deutschen Wochenschau“ gezeigt wurden. Er fürchtete, die Bilder könnten in der Bevölkerung die Sehnsucht nach der Monarchie wecken.

Uwe A. Oster

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