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Phantastisch, grotesk, echt orientalisch

Die Königin von Saba in der Legende

Phantastisch, grotesk, echt orientalisch
Obwohl der biblische Bericht über den Besuch der Königin von Saba bei ihrem Amtskollegen Salomo denkbar knapp ist, knüpfen sich daran zahlreiche Legenden – in Juden- und Christentum ebenso wie im Islam. Der äthiopische Kaiser Haile Selassie führte gar seine Dynastie auf die im wahrsten Sinne des folgenreiche Begegnung zurück.

Die Bibel berichtet im 1. Buch der Könige (10,1-13) und im 2. Buch der Chronik (9,1-12) von einem Besuch der legendären Königin von Saba bei König Salomo, die seine Weisheit mit Rätselfragen prüfte und ihm sodann kostbare Geschenke übergab. Der historische Kern dieses gewiß auf volkstümliche Erzählungen zurückgehenden Berichts dürfte in der Anknüpfung oder Ausweitung von Handelsbeziehungen zwischen Israel und dem Königreich Saba, dem ältesten und bedeutendsten der altsüdarabischen Staaten, zu suchen sein, und die darin erwähnte große Menge an Räucherwerk, Gold und Edelsteinen die zeitgenössische Vorstellung von der unerhört reichen arabischen Halbinsel widerspiegeln. Der biblische Bericht, die Wurzel aller späteren Sagenbildungen, ist zwar sehr knapp, aber gerade aufgrund der Spannung zwischen der geschilderten Situation und seiner unbefriedigend gedrängten Form war er für das Entstehen von Ergänzungen, Ausschmückungen und Fortschreibungen des erzählten Geschehens wie geschaffen. So will bereits der jüdische Geschichtsschreiber Flavius Josephus (um 37–105) wissen, daß der Name der Königin von Saba Nikaulis lautete.

Die wohl älteste nachbiblische Quelle für die Erzählung von der Königin von Saba und dem König Salomo ist die jüdische Version der Geschichte, der sogenannte Targum Scheni („zweite Übersetzung“) zu Esther, eine sehr freie aramäische Nacherzählung und Ausschmückung des biblischen Estherbuchs für das erbauliche Studium im schulischen wie im privaten Gebrauch, die zu den schönsten Stücken rabbinischer Erzählkunst überhaupt gehört. Anknüpfungspunkte für die Einfügung der Erzählung in diese Nachdichtung des Estherbuches, deren Endredaktion zwischen dem 7. und dem 10. Jahrhundert angesetzt werden kann, waren vor allem das Motiv der Begegnung eines Königs und einer „besonderen“ Frau sowie die Vorstellung, daß Esthers Widersacher, der persische König Ahasveros, auf dem Thron saß, der einst Salomo gehörte.

Die Erzählung im Anschluß an Esther 1,2 beginnt mit einem rauschenden Fest. Um seine gewaltige Macht zu demonstrieren läßt Salomo vor den um ihn zum festlichen Bankett versammelten Königen des Ostens und des Westens alle Tiere und Geister der Welt auftanzen. Lediglich der Auerhahn fehlt bei diesem Spektakel. Als der Vogel verspätet in dem Palast eintrifft, entschuldigt er sich bei Salomo, er sei weit im Osten in einer fernen Provinz namens Saba gewesen, wo er in der unermeßlich reichen und paradiesisch fruchtbaren Stadt Kitor eine schöne und kluge Königin entdeckt habe, die als einzige Herrscherin Salomo nicht kenne, geschweige denn ihm untertan sei. König Salomo läßt umgehend einen Brief aufsetzen und schickt den Auerhahn als seinen Überbringer zurück in das ferne Land, um der Königin von Saba auszurichten, ihr unverzügliches Erscheinen vor seinem Thron sei dringend erwünscht. Als die Königin in Jerusalem eintrifft, begegnet sie zunächst einem Diener Salomos namens Benaja bar Jojada, von dessen Schönheit sie derart geblendet ist, daß sie ihn für seinen Herrn hält. Der Diener klärt das Mißverständnis auf und führt sie zu Salomo. Die Pointe dieses Teils der Erzählung ist deutlich: Wenn bereits sein Diener so schön ist, wie groß muß dann erst die Schönheit des Königs selbst sein.

Die Königin von Saba, deren Name der Targum Scheni an keiner Stelle überliefert, betritt den Palast Salomos, dessen gläserne Wände und Böden sie dazu verleiten, ihre Gewänder zu heben und ihre Beine zu entblößen, um in dem vermeintlichen Wasser zu baden. Durch dieses Mißverständnis kommen allerdings ihre außerordentlich stark behaarten Beine zum Vorschein. Im Targum Scheni heißt es an dieser Stelle: „Der König Salomo hob an und sprach: Deine Schönheit ist die Schönheit von Frauen, aber deine Haare sind Männerhaare. Haare sind bei einem Manne schön, aber bei einer Frau sind sie häßlich.“ Die Königin übergeht die Beleidigung und stellt die Weisheit Salomos auf die Probe, indem sie ihm mehrere Rätselfragen stellt. Eine dieser Fragen lautet: „Was ist das? Ein Sturmwind, der über die Häupter von ihnen allen geht und der ein großes und bitteres Geschrei erhebt; sein Haupt ist wie Schilf, ein Ruhm für die Freien und eine Schande für die Armen, ein Ruhm für die Toten und eine Schande für die Lebenden, eine Freude für die Vögel und ein Unglück für die Fische.“

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Salomo antwortet: „Flachs!“ Er hat durch seine Weisheit die Lösung erkannt, denn dieser rauscht im Wind und schwankt wie Schilf; aus ihm macht man Gewänder und Kopftücher, Totenkleider und den Strick des Henkers; Vögel picken seinen Samen und in dem aus ihm verfertigten Netz verfangen sich die Fische. Der Herrscher löst alle Rätselfragen, und die Königin erkennt seine Weisheit. Sie preist seinen Gott und überreicht Salomo viel Gold; er wiederum schenkt ihr alles, was sie begehrt. Der Targum Scheni berichtet am Ende der Erzählung: „Als die Könige davon hörten, da erzitterten sie alle und priesen und huldigten Salomo“…

Michael Tilly

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