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Sprengstoff oder Brot?

Die chemische Industrie und der Versailler Vertrag

Sprengstoff oder Brot?
Die BASF-Werke Oppau und Leuna produzierten während des Ersten Weltkriegs gewaltige Mengen an Salpeter, der Grundsubstanz für die Herstellung von sytnethsichem Sprengstoff. Doch ausgerechnet der chemischen Industrie gelang es 1919, den Versailler Vertrag auszuhebeln. Wie war dies möglich?

…Deutschland gab vor dem Ersten Weltkrieg jährlich an die 150 Millionen Goldmark für die Einfuhr von Chilesalpeter aus. Schätzungen darüber, wieviele Prozent davon zu Sprengstoff und wieviele zu Dünger verarbeitet wurden, existieren nicht. Fest steht, daß die erste erfolgreiche Aktion der Alliierten des Ersten Weltkrieges darin bestand, alle Chilesalpeter-Transporte nach Deutschland zu unterbinden. Wie Fritz Haber und Carl Bosch entsetzt feststellten, existierten bei der deutschen Generalität trotz Warnungen keinerlei quantitative Vorstellungen über die technisch-politische Dimension dieser fatalen deutschen Abhängigkeit. Erst allmählich dämmerte den zuständigen Stellen, daß der soeben begonnen Krieg in wenigen Wochen, nämlich mit dem Schwinden der Salpeterreserven, auch schon wieder zu Ende sein würde. Es war ein existenzieller Glücksfall für das deutsche Heer, daß es im eroberten Rotterdamer Hafen volle Lagerhäuser mit Chilesalpeter beschlagnahmen konnte. Doch von irgendwo her mußten auch langfristig Sprengstoffe kommen. Die BASF-Leitung wußte längst um den militärstrategischen Wert ihrer Technologie. Durch das Anhängen eines weiteren Verfahrensschrittes an das Haber-Bosch-Verfahren kann aus dem Düngemittel und Menschheits-Wohltäter Ammoniak die Sprengstoff-Grundsubstanz Salpeter gewonnen werden. Bereits vor Kriegsbeginn war im internen BASF-Briefwechsel die Rede davon, daß Salpeter im Gegensatz zu Ammoniak „in jedem Umfang“ auf dem Markt unterzubringen sei. Und so wurde Bosch noch in den ersten Kriegswochen in das Berliner Kriegsministerium zitiert, wo er sein später berühmt gewordenes „Salpeterversprechen“ an die Oberste Heeresleitung gab, das Versprechen alles daranzusetzen, um möglichst bald künstlichen Sprengstoff zu produzieren. Nach Ludwigshafen-Oppau mußte rasch eine zweite, noch wesentlich größere Anlage gebaut werden. 1917 wurde daher im mitteldeutschen Leuna, das außerhalb der Reichweite der alliierten Militärflugzeuge lag, das zweite Hochdruckwerk aus dem Boden gestampft. Ursprünglich sollte es 30000 Jahrestonnen liefern, bald jedoch wurde es für 130000 Jahrestonnen ausgebaut. Mit 20 großen Kontaktöfen wurde rund um die Uhr buchstäblich mit Hochdruck produziert. Als die Siegermächte 1918 darangingen, die deutsche Kriegsmaschinerie zu entflechten, entstanden bald unüberwindliche Probleme. Denn wie sollten sie etwa in Oppau und Leuna definieren, wo die Rüstungsrelevanz in der deutschen Chemieindustrie begann und wo sie endete? Wie weit hatten die Fabriken der Herstellung von Düngemitteln und wie weit jener von Sprengstoffen gedient? Doch Carl Bosch widersetzte sich monatelang sogar Forderungen auch nur der Inspektion der Oppauer Anlage durch die Alliierten bei laufendem Betrieb. Der Schock bei den französischen Militärs vor Ort saß tief, als er mit seinen Bestrebungen bei der Alliierten Kommission auch noch auf Verständnis stieß. Die Welt schien Kopf zu stehen. Was war geschehen? Der BASF-Vorstandsvorsitzende Carl Bosch war zum deutschen Unterhändler der chemischen Industrie in Versailles bestellt worden. Die Stimmung war gedrückt, es zeichnete sich ab, daß die deutsche Industrie, allen voran die Großchemie, kräftig gerupft werden würde. Artikel 306 des Versailler Vertrages machte alle deutschen Hoffnungen tatsächlich zunichte. Die in Frankreich beschlagnahmten Patente würden nicht rückerstattet und alle Fabriken in Deutschland seien zu schließen, die der „Herstellung, Vorbereitung, Lagerung oder zur Konstruktion von Waffen, Munition oder irgendwelchem Kriegsmaterial“ gedient hätten. Franzosen und Engländer wollten alle Anlagen demontieren, die Giftgas oder auch nur Nitrate und Salpetersäure erzeugt hatten. Bosch wurde aufgefordert, binnen Wochen eine Stellungnahme abzugeben, ein aus seiner Sicht sinnloses Unterfangen. So begann er, die französischen Stellen vor Ort umgehend, direkt mit deren Vorgesetzten in Paris direkt zu verhandeln. Durch die Vermittlung eines alten französischen Geschäftspartners traf er sich in Paris mit General Patard, dem Generalinspekteur im französischen Kriegsministerium, dem er ein lukratives Angebot machte. Patard oder seine Berater waren geschäftstüchtig genug zu wissen, daß die Schließung der deutschen Anlagen zwar moralisch ein gutes Bild abgeben würde, aber der französischen Wirtschaft keinen Franc einbrächte, schließlich war ein Patent nicht mehr als ein bedrucktes Stück Papier. So hatte sich etwa der US-Sprengstoffkonzern Du Pont jahrelang mit beschlagnahmten deutschen Patenten ergebnislos herumgeplagt. Ohne praktische Ingenieurskenntnisse hatte man bei Du Pont nicht einmal zwischen den inhaltlich entscheidenden Patenten und den hunderten sogenannten Umgehungspatenten (die nur dazu in die Welt gesetzt worden waren, um Konkurrenten in die Irre zu führen) unterscheiden können. Ob man wollte oder nicht: Zum Aufbau einer gewinnbringenden französischen Großchemie brauchte man mehr als nur die formalen naturwissenschaftlichen oder anlagentechnischen Kenntnisse, man mußte mit ihnen auch rationell umgehen können, man brauchte die tagtäglichen „Erfahrungen“ der BASF-Betriebsingenieure. Und die konnten schließlich nirgendwo anders gesammelt werden als in Oppau und Leuna. Wie so häufig ging Geschäft vor Moral, und man einigte sich zähneknirschend auf eine gemeinsame Ausbeutung des französischen Stickstoff- und Farbenmarktes in kartellähnlicher Weise. So war es zu der überraschenden Weisung nach Versailles gekommen…

Günther Luxbacher

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