Anzeige
1 Monat GRATIS testen, danach für nur 9,90€/Monat!
Startseite »

Varus, Varus, gib mir meine Legionen wieder

Museum und Park Kalkriese

Varus, Varus, gib mir meine Legionen wieder
Es gibt wohl kaum eine populärere Schlacht in Deutschland: Im Jahr 9 n. Chr. wurde der römische Feldherr Varus von Germanen unter der Führung des Arminius in einen Hinterhalt gelockt, seine Armeen aufgerieben. In Kalkriese, am Ort des Geschehens, eröffnete jetzt das Museum „Varusschlacht im Osnabrücker Land“.

Und Theodor Mommsen hatte doch recht: Schon 1885 hatte der Althistoriker aufgrund von Münzfunden vermutet, daß die Varusschlacht in der Gegend von Bramsche-Kalkriese (Landkreis Osnabrück) stattgefunden habe. Doch Mommsen konnte sich nicht durchsetzen. Wo waren die Waffen, fragten seine Kritiker? Warum fehlten jene Kupfermünzen, die das typische Kleingeld der römischen Legionäre waren? Zur sachlichen Kritik kam ein weiteres: Wenige Jahre zuvor war das Hermannsdenkmal bei Detmold eingeweiht worden, und nun sollte man zugeben, daß man es am falschen Ort errichtet hatte?

Über 100 Jahre vergingen, ehe Tony Clunn, Offizier der britischen Rheinarmee und Hobbyarchäologe, am Kalkrieser Berg einen römischen Münzschatz und Schleudergeschosse aus Blei fand: Der Schauplatz einer Schlacht war gefunden. Umfangreiche archäologische Grabungen schlossen sich an, bei denen bisher rund 6000 Fundstücke ans Tageslicht gekommen sind. Rund die Hälfte davon ist im Museum zu sehen.

Noch nie zuvor war in Europa ein antikes Schlachtfeld ausgegraben worden. In den meisten Fällen würde das auch kaum einen Sinn machen, denn die Sieger hatten mitgenommen, was sie gebrauchen konnten, die Toten wurden bestattet. Doch das war bei der Varusschlacht anders: Die Römer zogen hier durch einen teilweise nur 100 Meter breiten Engpaß zwischen Kalkrieser Berg und Moor. Dichter Wald machte das Gelände unübersichtlich. Am Waldrand hatten die Germanen für ihren Hinterhalt Wallanlagen aus Rasensoden errichtet. Der Wall diente ihnen als Deckung – und erlaubte das schnelle Zuschlagen und Zurückziehen der Kämpfer. Im Verlauf der Kämpfe brach dieser Wall teilweise zusammen und bedeckte materielle Hinterlassenschaften der Schlacht.

Auch die mittelalterliche Ackerwirtschaft trug ihren Teil zum Erhalt der Funde bei: Durch den Auftrag sogenannter Plaggen, gestochen aus Wald- und Feuchtgebieten, verbesserten die Bauern den kargen Boden und glichen Unebenheiten aus. So sorgten sie unbewußt dafür, daß die von den Germanen nicht geplünderten Überreste der Kampfhandlungen in größerer Tiefe bis zu ihrer Entdeckung schlummern konnten. Doch woher nehmen die Archäologen die Sicherheit, daß die hier gefundenen Überreste tatsächlich einst den Legionen des Publius Quinctilius Varus gehörten? Keine der über 1000 gefundenen Münzen wurde später als im Jahr 9 n.Chr. – dem Jahr der Schlacht – geprägt. Einige der Münzen tragen sogar den Gegenstempel „VAR“ für Varus. Das nächste Indiz: Die Archäologen entdeckten eine Grube mit Menschen- und Tierknochen. Anthropologische Untersuchungen ergaben, daß diese Knochen nicht nur deutliche Hiebverletzungen aufwiesen, sondern zunächst einige Jahre unbestattet an der Erdoberfläche gelegen hatten. Dies wiederum deckt sich mit römischen Quellen, die berichten, daß sechs Jahre nach der Varusschlacht Germanicus, der Adoptivsohn von Kaiser Tiberius, einen Feldzug nach Germanien unternahm und dabei am Ort der Varusschlacht Reste von Toten bestatten ließ.

Anzeige

Weitere kleinere Indizien kamen dazu, die ebenfalls zu dem paßten, was antike Autoren (Tacitus, Plinius d.Ä., Cassius Dio), wenn auch zum Teil Jahrhunderte später, über die Schlacht geschrieben haben. So steht wohl fest: Hier am Kalkrieser Berg fand die Varusschlacht statt. Allerdings handelte es sich bei diesen drei Tage dauernden Kämpfen nicht um eine einzige große Schlacht, sondern um eine Folge von Scharmützeln, an deren Ende drei römische Legionen, insgesamt bis zu 20000 Menschen, niedergemetzelt waren. Die Zahl der toten Germanen ist unbekannt.

Die Schuld an dieser Niederlage wurde in Rom dem Feldherrn Varus in die Schuhe geschoben. So entstand auch das Augustus zugeschriebene Zitat „Varus, Varus, gib mir meine Legionen wieder“. Tatsächlich soll Varus Informationen über einen möglicherweise bevorstehenden Verrat des Arminius bekommen haben. Der Sohn des Cheruskerfürsten Segimer war in Rom militärisch ausgebildet worden und besaß sogar das römische Bürgerrecht. Sein germanischer Name ist nicht bekannt. Ziel der Legionäre und ihrer germanischen Hilfstruppen war das Winterquartier in Xanten. Selbst als sich Arminius mit seinen Leuten unter einem Vorwand vom Troß entfernte, schöpfte Varus angeblich noch keinen Verdacht – und tappte in die tödliche Falle, aus der es kaum ein Entkommen gab.

Kommt man heute nach Kalkriese, fällt es zunächst schwer, sich die Enge vorzustellen, die den Römern zum Verhängnis wurde. Wo einst dichter Wald und Moor nur durch einen schmalen Engpaß getrennt waren, befindet sich heute eine breite Schneise. Der Archäologische Park, den man unbedingt vor dem Besuch des Museums anschauen sollte, versucht, das dramatische Geschehen von damals in Szene zu setzen – mit sehr modernen und unkonventionellen Methoden, die dem Projekt auch schon einige Kritik eingebracht haben. Doch wer sich darauf einläßt, wird spätestens auf der Höhe des rekonstruierten Rasensodenwalls samt kleinem Moor mit einem „Aha“-Erlebnis belohnt. Rostende Stahlplatten markieren den Weg der Römer, Holzschnitzel den Hinterhalt der Germanen. Zunächst zeigen Stelen den Verlauf des Walls, dann folgt der rekonstruierte Teil. Und hier wird die Falle offensichtlich, und der Besucher spürt mit ein wenig Phantasie das Entsetzen, das die Römer ergriffen haben muß, als sie die Falle entdeckten.

Dieses Gefühl bestärken auch die drei Pavillons, die auf den ersten Blick eigentlich nichts mit der Schlacht, ja nicht einmal etwas mit Geschichte zu tun haben. Im Pavillon „Sehen“ wird der Blick durch eine Camera obscura nach draußen gelenkt – die Welt steht kopf. Im Pavillon „Hören“ verstärkt ein mächtiges Hörrohr die Geräusche der Außenwelt. Im Pavillon „Fragen“ schließlich stehen sich eine Wand mit schlitzartigen Öffnungen zum Schlachtfeld und eine Fläche mit neun Fernsehmonitoren gegenüber. Es gibt Einspielungen zum Thema „Römer und Germanen“, aber auch Zusammenschnitte aus aktuellen Nachrichten. Was soll das alles? Auch hier gilt: Man muß sich auf das Konzept von Museum und Park einlassen, darf nicht von vornherein den Kopf schütteln oder es als komische Einlage abtun. Vor allem an dem überdimensionierten Hörrohr erinnert das Geräusch von draußen tatsächlich entfernt an Schlachtenlärm, und daß – wie im Pavillon „Sehen“ vermittelt – die Welt für die Römer am Kalkrieser Berg auf den Kopf gestellt wurde, ist vielleicht eine Binsenweisheit, aber nicht minder wahr; so wahr wie die Tatsache, daß Krieg und Gewalt noch immer die Schlagzeilen beherrschen. An einem Schlachtort darüber nachzudenken ist noch lange nicht das Schlechteste. Schließlich das Museum: ein eingeschossiger Baukörper auf schlanken Stelzen, daneben ein rund 40 Meter hoher Turm als Landmarke – verkleidet mit rostenden Stahlplatten. Mutige, zeitgenössische Architektur, die sicher nicht jedermanns Sache ist, die aber gerade durch das vergänglich wirkende Material, durch ihre fast unfertig wirkende Gestalt darauf verweist, daß auch in der Auseinandersetzung um die Varusschlacht noch Fragen offen sind. Doch selbst wer konventionellere Architektur bevorzugt, wird den Blick vom Turm auf das Schlachtfeld und die umgebende Landschaft genießen. Im Museum wartet „Stahnke“ als virtueller Begleiter auf dem wie eine kriminalistische Spurensuche gestalteten Rundgang. Zwar hat auch „Stahnke“ Kritiker auf den Plan gerufen, und man mag über die „Krimisprache“ lächeln: Doch wer sich ihm anvertraut, bekommt auf verständliche Weise und unterstützt durch Originalfunde die Geschichte von Kalkriese als Ort der Varusschlacht vermittelt.

Die einzelnen Fundstücke sind zwar vielfach nicht spektakulär, aber allein ihre ungeheure Menge erinnert an die Größe der Schlacht: Lanzen, Speere, eine Schere, eine Sichel, ein Weinsieb, Haarnadeln, medizinisches Gerät… Aber auch die Abdrücke von Sandalen – und natürlich das Glanzstück der Ausstellung: die eiserne, ursprünglich mit Silberblech überzogene Maske eines Gesichtshelms. In ihrer individuellen, in den Gesichtszügen an ihren Träger angepaßten Ausstattung ist die Maske einzigartig in Europa. Im Museum rekonstruiert ist auch eine der Knochengruben. Daß die dort beigesetzten Männer zwischen 20 und 40 Jahre alt waren – entsprechend der Altersstruktur des römischen Heeres – ist für „Stahnke“ ein weiteres Indiz, ebenso das Maultierskelett: Die Germanen besaßen keine Maultiere.

Nicht vergessen wurde die Nachgeschichte: wie aus Arminius „Hermann der Cherusker“ wurde, ein bis ins Groteske übersteigerter Nationalheros. Daß es gelungen ist, ein Museum zu schaffen, in dem die Varusschlacht von all diesen Begleiterscheinungen befreit zu sehen ist, als menschliche Tragödie, als Ort des Sterbens, ist schon an sich eine Leistung. Darüber hinaus vermittelt dieses Museum jedoch auch viel Wissenswertes über das Leben von Römern und Germanen – ganz ohne Klischees.

Museum und Park Kalkriese Venner Straße 69 49565 Bramsche-Kalkriese Telefon: 05468/92040 Fax: 05468/920445 Internet: http://www.kalkriese-varusschlacht.de/

Uwe A. Oster

Anzeige
DAMALS | Aktuelles Heft
Bildband DAMALS Galerie
Der Podcast zur Geschichte

Geschichten von Alexander dem Großen bis ins 21. Jahrhundert. 2x im Monat reden zwei Historiker über ein Thema aus der Geschichte. In Kooperation mit DAMALS - Das Magazin für Geschichte.
Hören Sie hier die aktuelle Episode:
 
Anzeige
Wissenschaftslexikon

Ödem  〈n. 11; Med.〉 Anschwellung im Unterhautzellgewebe durch Wasseransammlung: Oedema ● malignes ~ = Gasbrand … mehr

lieb|lich  〈Adj.〉 1 anmutig, liebreizend, hübsch u. zart 2 heiter, freundlich, hell (Landschaft) … mehr

umkip|pen  〈V.〉 I 〈V. i.; ist〉 1 aus der senkrechten Stellung geraten, Übergewicht bekommen u. umstürzen 2 umfallen, auf die Seite fallen … mehr

» im Lexikon stöbern
Anzeige
Anzeige
Anzeige