Ein Buch über die Geschichte einer südwestdeutschen Familie im 20. Jahrhundert scheint auf den ersten Blick keine außergewöhnliche Publikation zu sein. „Die Unentwegten“ jedoch überraschen den Leser, da sich Schriftstellerin Miriam Eberhard nicht gewöhnlicher historiographischer oder erzählender Methoden bedient, sondern eine Geschichte aus Zitaten ihrer schwäbischen Großfamilie aus Laupheim erstellt. Über zehn Jahre zeichnete Eberhard Gespräche mit ihren Tanten und Onkeln auf und verband die O- Töne, gespickt mit subjektiven Erlebnissen, Alltagsgeschichten und Anekdoten, zu einer Erzählung.
Die Schriftstellerin schreibt nichts um und verpackt nichts neu, sondern bringt die Zitate ihrer Angehörigen lediglich in eine thematische Ordnung. Daraus entstehen häufig schlüssige Erzählungen, teilweise stehen aber auch unvereinbare Aussagen mit all ihren Widersprüchlichkeiten nebeneinander. So beispielsweise bei der Frage, ob Eberhards Großvater Thiel eine NSDAP- Uniform zur Zeit des nationalsozialistischen Deutschlands getragen habe. Thiels Tochter Elvira berichtet, der Vater sei “No. 665 als Parteimitglied gewesen, hatte eine ganz niedrige Mitgliedsnummer. Dafür hat er sich eine Uniform machen lassen“ und darin „Propagandareden für den Hitler gehalten“. Die Tochter Christa glaubt aber, dass der Vater niemals die Parteimontur der NSDAP trug. Sie ist sich sicher: „Die war am Kriegsende noch nagelneu.“ Sohn Fritz ist dagegen der Überzeugung, dass der Vater anfangs eine Uniform trug, doch als Kreispropagandaleiter 1934 eine so missratene Parteiversammlung im „Gasthof Zum Kreuz“ miterlebte, dass er „seine Uniform ausgezogen (…) und nie wieder angelangt“ habe.
Gerade in den Unvereinbarkeiten der Details liegt das Spannende des Buches, denn es gibt jedem Familienmitglied ein Gesicht und zeigt individuelle Erfahrungshorizonte. Es eröffnet dem Leser einen lebendigen Einblick in die Mentalitäts- und Alltagsgeschichte dieser Epoche. Wer ein Buch mit klarem Erzählstrang und geschichtswissenschaftlicher Abhandlung erwartet, könnte relativ schnell das Interesse an Eberhards Veröffentlichung verlieren. Wer jedoch das 20. Jahrhundert über eine Familiengeschichte in außergewöhnlichem Stil nachempfinden will, wird an dem Buch seine Freude haben.
Rezension: Lars Lehmann