Entweltlichung“ ist das aktuelle Schlagwort, mit dem die katholische Kirche ihre Rolle als Volkskirche heute kritisch bedenkt. In der Tat bildet das Neue Testament ein Programm für Entweltlichung, denn Jesus Christus hatte die Welt überwunden. Warum sollten sich Christen in der Welt zurechtfinden? Das neue Buch von Gerd Althoff dreht die Frage um. In Textanalysen lateinischer Quellen des 11. und 12. Jahrhunderts wird gezeigt, wie sich die Päpste die Welt unterwarfen, wie sie sich zu alleinigen Richtern über Richtig oder Falsch stilisierten, wie sie Abweichungen als todbringende Ketzerei verdammten. Im Gefolge älterer Forschungen erhält Papst Gregor VII. (1073 –1085) die entscheidende Rolle für die Systematisierung des absoluten päpstlichen Vorrangs auf Erden.
Doch Althoffs Forschungen gehen neue Wege, indem sie die Wucht textlicher und politischer Rückgriffe des 11. Jahrhunderts auf Gewaltideen des Alten Testaments aufdecken. Gregor VII. und seine Anhänger wie Nachfolger setzten das unbedingte neutestamentliche Liebesgebot zwar nicht außer Kraft. Aber sie überschichteten es mit Kaskaden anders gerichteter Ideen. Aus der päpstlichen Binde- und Lösegewalt führte Ungehorsam in die Hölle.
Gewalt – für die Leser der Bergpredigt eigentlich unvorstellbar – wurde notwendig, um Abweichler vom päpstlich verordneten Weg oder Feinde des christlichen Glaubens erbarmungslos auszumerzen. So unterwarfen sich die Päpste mit ihrem geschulten Lehrkartell im 11. und 12. Jahrhundert die Welt, ließen säkulare Andersartigkeiten nicht entkommen, wollten sich einen Christus jenseits der Macht gar nicht mehr denken. Deshalb notierte Bischof Bonizo von Sutri, ein enger Vertrauter Papst Gregors VII., seine Seligpreisung für diejenigen, die um der Gerechtigkeit willen Verfolgung ausüben.
Gerd Althoff präsentiert das Wechselspiel von Religion und Politik in einem bedeutsamen Entwurf, der die Gewalttheologie der Papstkirche in neuartiger Weise eindrucksvoll erschließt. Dieses provozierende Buch aus der Mitte des Mittelalters zielt ganz auf unsere Gegenwart.
Rezension: Prof. Dr. Bernd Schneidmüller