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Die große Stunde der Designer

Technik|Digitales

Die große Stunde der Designer
Der elektrische Antrieb gibt Autokonstrukteuren die Möglichkeit, das Auto neu zu erfinden.

Er sieht aus wie ein ganz normaler Golf. Von innen hat sich einiges geändert, doch von außen gar nichts. Der Verbrennungsmotor ist durch einen Elektromotor ersetzt, der Tank durch ein Batteriepaket, das Fünf-Gang- oder Sechs- Gang-Getriebe durch eines mit einem Gang. Hinzu kommen ein Ladegerät für die Batterie und ein paar weitere wichtige elektrische Bauteile. Doch wenn außen nicht drauf stünde, dass dieser Golf ein Elektro-Golf ist, dann könnte das keiner erkennen.

Neben VW haben sich auch andere Autobauer für die Umwandlungstaktik entschieden, für das Bauen sogenannter Conversion-Fahrzeuge. Doch die Elektroautos der Zukunft werden wohl anders aussehen. Denn viele der heute benötigten technischen Komponenten wie Kupplung, Getriebe und Auspuff sind in einem Elektromobil überflüssig – und das eröffnet völlig neue Gestaltungsmöglichkeiten. Felix Horch, Gruppenleiter Komponentenentwicklung beim Fraunhofer-Institut für Fertigungstechnik und Angewandte Materialforschung IFAM in Bremen und Mitglied des Fraunhofer-Verbundprojekts „Systemforschung Elektromobilität“, meint: „Im Prinzip sind die Autos heute immer noch Kutschen. Vorne stecken Pferdestärken unter der Haube, hinten dran hängt das eigentliche Fahrzeug. Und das seit 125 Jahren.“ Der neue Elektro-Golf ist also auch nur eine Kutsche.

Kofferraum unter der Motorhaube

Dabei bietet ein elektrischer Antrieb den Autobauern die Möglichkeit, das Auto komplett neu zu entwickeln. BMW hat mit dem Elektrofahrzeug „i3″ erste Ansätze gewagt – es wurde komplett als Elektrofahrzeug konzipiert. Der im Vergleich zum Verbrenner kleine Elektromotor ist nah an der Hinterachse platziert, sodass sich unter der kurzen Motorhaube ein zusätzlicher kleiner Kofferraum verbirgt. Das Batteriepaket ist im Unterboden verstaut. Das sorgt für einen tief liegenden Schwerpunkt, obwohl das Auto relativ hoch ist – was für eine sichere Straßenlage sorgt. „Bei einem Conversion-Fahrzeug lassen sich die für den Kraftstofftank oder die Abgasanlage reservierten Bauräume nach der Umrüstung kaum sinnvoll nutzen. Beim BMW i3 waren derartige Kompromisse nicht erforderlich“, nennt BMW-Pressesprecherin Verena Stewens die Vorteile.

Doch das ist nur der Anfang. „Der stärkste Antrieb für neue Fahrzeugkonzepte ist der Radnabenantrieb“, sagt Fraunhofer-Ingenieur Felix Horch. Von diesem Prinzip, bei dem kleine Elektromotoren direkt in der Felge platziert werden, ist auch Peter Gutzmer überzeugt, Vorstand für Forschung und Entwicklung beim Automobilzulieferer Schaeffler in Herzogenaurach: „Der Radnabenantrieb ist der Schlüssel für neue Fahrzeugkonzepte und Automobilplattformen.“ Er soll bald zur Serienreife gebracht werden.

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Ein Motor im Bratpfannen-Format

Im Fraunhofer-Institut für Fertigungstechnik und Angewandte Materialforschung (IFAM) in Bremen kann man sich anschauen, wie ein solcher Radnabenmotor aussieht: ein runder Motor, etwa 25 Zentimeter dick, mit einem Durchmesser wie eine Bratpfanne. Er passt in das Innere einer Felge. Der bewegliche Teil des Motors ist direkt mit der Felge verbunden, er dreht sich. Die Kraft, die der Radnabenmotor erzeugt, wird also direkt auf das Autorad übertragen. „Damit verzichtet man auf fast alle mechanischen Komponenten des Antriebsstrangs“, erklärt Hermann Pleteit, stellvertretender Abteilungsleiter Gießereitechnologie beim Fraunhofer IFAM. „Getriebe, Differential, Kupplung, Antriebswellen – das wird mit Radnabenmotoren alles überflüssig.“

Die Liste der Pluspunkte ist lang: Radnabenmotoren haben einen höheren Wirkungsgrad als zentral verbaute Elektromotoren (als Verbrennungsmotoren sowieso), denn durch die mechanische Kraftübertragung vom Zentralmotor an die Räder geht Leistung verloren. Mechanische Bauteile wie Getriebe und Antriebswelle, die kaputt gehen können, fehlen. „Ein Fahrzeug mit Radnabenmotoren wird vermutlich nicht so oft in die Werkstatt müssen“, sagt Pleteit.

Der größte Vorteil dieser im Rad steckenden Maschinenteile ist: Sie nehmen keinen wertvollen Platz weg. Vier kleine Motoren ersetzen einen großen samt voluminöser Mechanik. Der ungeliebte Mitteltunnel, in dem das Auspuffrohr und bei Autos mit Heckantrieb auch eine Antriebswelle sitzen, kann in einem Elektroauto verschwinden.

Auch ohne Radnabenmotoren muss es nicht unbedingt ein großer zentraler Elektromotor sein. Genauso denkbar sind zwei kleinere – einer vorne, einer hinten im Auto. Verbrennungsmotoren bieten diese Flexibilität nicht. Hermann Pleteit ist überzeugt: „Dank elektrischer Antriebe, vor allem mit Radnabenmotoren, lassen sich Fahrzeugkonzepte konsequenter umsetzen als bisher.“ Ein paar Beispiele:

· Im schon erhältlichen Elektro-Stadtfahrzeug „Mia“ haben bis zu vier Personen Platz. Dabei ist es nur 30 Zentimeter länger als der Zweisitzer Smart und 70 Zentimeter kürzer als der Kleinstwagen Opel Agila mit ebenfalls vier Sitzen. Der Akku befindet sich unter dem mittig platzierten Fahrersitz, der Elektromotor ist auf der Hinterachse. Eine Motorhaube im klassischen Sinne gibt es nicht. Konzept: Stadtfahrzeug.

· Ein Paketlieferwagen mit Radnabenmotoren könnte im Prinzip ein Kasten auf vier Rädern sein, in dem so gut wie jeder Zentimeter als Ladefläche genutzt wird. Die Technik verschwindet komplett darunter. Weiterer Vorteile: Mit Stop-and-Go-Verkehr, der für Diesel-Motoren eine Qual ist, haben Elektromotoren kein Problem.

· Ein bereits entworfenes, aber noch nicht gebautes E-Taxi mit drei Plätzen wiegt nur ein Viertel eines Wagens der Mercedes-E-Klasse, also eines klassischen Taxis. Der Wagen mit drei Sitzplätzen ist dank Radnabenantrieben kurz, dafür 1,80 Meter hoch und schafft 80 Kilometer pro Stunde. Der Akku ist auswechselbar, sodass das Auto dauerhaft im Einsatz sein kann. Für den innerstädtischen Taxi-Betrieb wird es wirtschaftlicher sein als ein großer Verbrenner, sagen die Macher. Konzept: Stadttaxi.

· Sportwagen mit Radnabenantrieb könnten mit mehr Leistung und Fahrdynamik trumpfen. Denn das Drehmoment der Motoren wird direkt auf die Räder übertragen, und hohe Leistungen wären dank der vier Motoren relativ leicht zu erreichen – zum Beispiel vier mal 150 PS, wenn die Batterie darauf ausgelegt ist. Und jeder Motor ließe sich einzeln ansteuern.

· Dank Motoren, die direkt in den Rädern stecken, wären auch Fahrzeuge denkbar, deren Breite sich ändern lässt: Auf der Straße fahren sie die Räder samt Motoren aus, beim Parken schieben sie die Räder zusammen, sodass das Auto auch in schmale Parklücken passt. Konzept: Platzsparend parken.

Doch von dieser Idee will Murak Günak nichts wissen. Der Autodesigner war von 2004 bis 2007 Leiter der Designabteilung bei Volkswagen. Heute hat er ein eigenes Design-Studio und ist auf Elektrofahrzeuge spezialisiert. „Bei so utopischen Designideen wie einer veränderbaren Autobreite werde ich fast aggressiv“, sagt er. Er ist überzeugt: Viele Autofahrer sind verunsichert, weil ihnen Elektromobilität mit Fahrzeugen präsentiert wird, wie sie sie noch nie gesehen haben und denen sie nicht zutrauen, dass sie funktionieren. „Diese Konzepte haben die wichtige und seriöse Arbeit an vernünftigen Elektroautos beschädigt“, sagt Günak.

Trotzdem: Günak hält das Entwickeln komplett neuer Konzepte, so wie bei BMW, für den richtigen Weg. Bei einem Mittelklassewagen, der auf einen Verbrenner-Motor mit 240 PS und eine Spitzengeschwindigkeit von 220 Kilometer pro Stunde ausgelegt ist, sei es „ineffizient, einen Elektromotor einzubauen, wenn das Auto damit nur 110 fährt“. Die Karosserie sei viel zu schwer für ein alltagstaugliches Elektroauto. Das Gewicht spielt bei einem elektrisch angetriebenen Fahrzeug eine große Rolle. Denn je schwerer das Auto, desto geringer die Reichweite.

Heizen per Wärmepumpe

Bei einem Verbrenner-Auto ist die Heizung kein großes Thema. Wärme ist im Überfluss vorhanden, mindestens 60 Prozent der in Benzin und Diesel gespeicherten Energie gehen als Wärmeenergie verloren. Das ist bei einem Elektrofahrzeug anders. Die im Akku gespeicherte Energie soll schließlich das Fahrzeug vorantreiben und nicht den Innenraum heizen. „Die beste Lösung ist zurzeit die Wärmepumpe“, sagt Fraunhofer-Forscher Pleteit. Sie funktioniert wie ein Kühlschrank, nur umgekehrt. Sie pumpt also Wärme aus der Umgebung in den Innenraum des Fahrzeugs. Das kann sie umso energiesparender, je besser das Auto isoliert ist. Aber: „Über die Isolierung von Fahrzeugen mit Verbrennungsmotor hat sich niemand Gedanken gemacht. Es war ja auch nicht nötig“, betont Pleteit.

Das ist beim Elektroauto anders. Und: Würde das Fahrzeug wärmeisoliert, könnte man es auch gleich schallisolieren, meint Murat Günak. „In herkömmlichen Autos ist der Motor so laut, da merken Sie gar nicht, wie die Karosserie scheppert und knattert. Bei einem Elektrofahrzeug hören Sie das.“

Murat Günak ist überzeugt, dass die Herausforderungen zu bewältigen sind. Schon bald werde es technisch ausgereifte Elektrofahrzeuge geben, die ihren angepeilten Zweck besser erfüllen als viele Autos mit Verbrennungsmotoren. „Und die Beschränkung, dass Autos so aussehen müssen wie heute, haben wir Designer und Entwickler nur in unserem Kopf“, sagt Günak. Er freut sich auf das neue Automobil-Zeitalter und das Ende der Pferdekutsche. •

KONSTANTIN ZURAWSKI, Technikjournalist aus Köln, wäre froh, wenn die anfällige Mechanik in seinem Auto mit Verbrennungsmotor bald Vergangenheit wäre.

von Konstantin Zurawski

Kompakt

· Etliche mechanische Bauteile wie Kupplung, Getriebe und Antriebswelle werden in einem E-Auto nicht benötigt.

· Kleine Motoren, die direkt an den Rädern sitzen, schaffen zusätzlich Platz für Passagiere und Gepäck.

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