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Eigelb und Co sanft im Griff

Kirigami-Robotergreifer

Eigelb und Co sanft im Griff
Der Kirigami-Greifer im Einsatz. © Jie Yin, North Carolina State University

Raffinierte Flexibilität: Forscher haben Robotergreifer entwickelt, die extrem Empfindliches zerstörungsfrei anheben oder ein Haar präzise erfassen können. Das Konzept basiert dabei auf Prinzipien der japanischen Papierschneidekunst Kirigami, bei der zweidimensionale Materialblätter mit Schnittmustern versehen werden, um durch Zugbewegungen bestimmte dreidimensionale Formen zu bilden. Das System bietet Einsatzmöglichkeiten in der Soft-Robotik und in der Biomedizintechnik, sagen die Forscher.

Wenn man nicht extrem behutsam vorgeht, macht man sehr empfindliche Objekte bekanntlich schnell kaputt oder kann Filigranes nicht ergreifen. Das ausgeprägte Fingerspitzengefühl gehört zu den wichtigsten Talenten des Menschen. Diese Fähigkeiten auf Robotiksysteme zu übertragen, stellt für die Technik eine große Herausforderung dar. Es ist zwar gelungen, feinmotorische Robo-Hände aus weichen Materiellen herzustellen, die etwa mit Obst sanft umgehen können. Weiter auf die Spitze treiben lässt sich die Sensibilität bisher allerdings kaum: So etwas Empfindliches wie ein Eigelb können Robotergreifer nicht zerstörungsfrei erfassen. Doch das könnte sich dank der Entwicklungen eines Forscherteams der North Carolina State University in Raleigh ändern.

Von Papierschneidekunst inspiriert

Die Wissenschaftler lassen sich bei ihrer Arbeit von der japanischen Kunst Kirigami inspirieren. Im Gegensatz zum bekannteren Origami kommen bei dieser Technik nicht nur Faltungen, sondern auch Schnitte zum Einsatz, um flächiges Material in komplexe 3D-Objekte zu verwandeln. Eine bekannte Variation der Papierschneide-Kunst sind dabei die sogenannten Pop-ups – Tiere, Gebäude und andere Strukturen, die entstehen, wenn man eine Karte oder ein Buch öffnet. Dieses Konzept haben die Wissenschaftler für die technische Nutzung angepasst.

Dabei werden 2D-Folien aus verschiedenen Kunststoffen durch Lasercutter mit raffinierten Schlitzstrukturen versehen, um durch Bewegungen nützliche 3D-Strukturen entstehen zu lassen. Die spätere Form wird dabei vor allem durch die äußere Begrenzung des Materials bestimmt. So ergibt etwa ein 2D-Material mit einer kreisförmigen Begrenzung eine kugelförmige 3D-Struktur. In der aktuellen Studie präsentieren die Forscher nun ein neues Berechnungssystem, das die Entwicklung von Schnittmustern deutlich erleichtert und zu raffinierten Resultaten führen kann.

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“Unsere Technik ist wesentlich einfacher als frühere Techniken zur Umwandlung von 2D-Materialien in gekrümmte 3D-Strukturen und ermöglicht es Designern, eine Vielzahl von maßgeschneiderten Strukturen aus verschiedenen 2D-Materialien zu erstellen”, sagt Senior-Autor Jie Yin. Sein Kollege Yaoye Hong führt weiter aus: “Wir haben ein Modell entwickelt, mit dem die Benutzer rückwärts arbeiten können: Wenn die Anwender wissen, welche Art von gekrümmter 3D-Struktur sie benötigen, können sie mit unserem Ansatz die Form der Begrenzungen und das Muster der Schlitze bestimmen, die sie im 2D-Material verwenden müssen”, erklärt der Wissenschaftler.

Behutsames und präzises Greifen

Um das Potenzial ihrer Technik zu demonstrieren, hat das Team einen raffinierten Kirigami-Greifer entwickelt, der von einem Roboter bedient werden kann. “Wir wollten zeigen, dass sich mit unserem Konzept Werkzeuge herstellen lassen, die selbst extrem empfindliche Objekte greifen und bewegen können”, sagt Yin. Der Greifer entsteht durch ein bestimmtes Schnittmuster, das in ein zweidimensionales Material aus flexiblem Kunststoff geschnitten wird. Das Resultat besitzt an der Seite Anhängsel, die bei Zugbelastung einen Formgebungseffekt auslösen: Es entsteht ein taschenartiges Gebilde mit einer präzise schließenden Schnabelöffnung. Bei Entspannung des Systems öffnet sie sich dann wieder.

“Herkömmliche Greifer erfassen ein Objekt fest – sie greifen Dinge, indem sie Druck auf sie ausüben”, sagt Yin. “Das kann zu Problemen führen, wenn man versucht, zerbrechliche Objekte wie ein Eigelb oder Lebendiges zu fassen. Aber unsere Greifer können ein Objekt sanft umschließen und es dann anheben – ähnlich wie wir unsere Hände um ein Objekt legen würden.” Dies demonstrierten die Wissenschaftler, indem sie mit dem Greifer ein rohes Eigelb hochhoben, einen Fisch umsetzten oder Seifenblasen transportierten.

Potenzial für Robotik und Medizin

Dass das Konzept sogar eine Art Pinzetten-Funktion übernehmen kann, dokumentierten die Entwickler, indem sie ein menschliches Haar mit dem Greifer erfassten. Wie sie betonen, sind aber auch viele andere Anwendungen des Konzepts möglich. Ein wichtiges Feld sehen sie dabei neben der Softrobotik in der Medizintechnik. Im Rahmen ihrer Studie präsentieren sie auch bereits einen Prototyp für einen raffiniert anpassungsfähigen Kniewärmer. “Stellen Sie sich intelligente Bandagen oder Überwachungsgeräte vor, die sich mit Ihrem Knie oder Ellbogen optimal biegen und bewegen können”, sagt Yin.

An solchen Anwendungen werden die Forscher nun auch weiterhin arbeiten. “Durch unsere Proof-of-Concept-Studie, haben wir gezeigt, dass unsere Technik funktioniert. Wir sind jetzt damit beschäftigt, sie in Soft-Robotik-Technologien zu integrieren, um industrielle Herausforderungen zu bewältigen, und arbeiten auch an therapeutischen Anwendungsmöglichkeiten”, so Yin. “Wir sind dabei auch offen für die Zusammenarbeit mit Partnern aus der Industrie, um weitere Anwendungen zu erforschen und Wege zu finden, diesen Ansatz aus dem Labor in die Praxis zu überführen”, sagt der Wissenschaftler abschließend.

Quelle: North Carolina State University, Fachartikel: Nature Communications, doi: 10.1038/s41467-022-28187-x


Video: © Yin Lab@NCSU

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