Sie schlängeln sich mühelos durch zerklüftetes Terrain und überwinden dabei Hindernisse und Stufen – in die faszinierende Fortbewegungstechnik der Schlangen haben Forscher nun neue Einblicke gewonnen. Diese Erkenntnisse konnten sie anschließend erfolgreich auf einen Roboter übertragen. Ihre Ergebnisse könnten nun zur Entwicklung von schlängelnden Such- und Rettungsrobotern dienen, die ihren natürlichen Vorbildern immer ähnlicher werden.
Manchen Menschen jagt der Anblick einer sich windenden Schlange Schauer über den Rücken – für Wissenschaftler und Techniker ist er hingegen faszinierend. Die Reptilien haben raffinierte Fortbewegungstechniken entwickelt, die es ihnen ermöglichen, sich in sehr unterschiedlichem Umfeld fortzubewegen: Sie winden sich rasant über Sanddünen, schlängeln sich durch Gerölllandschaften, überwinden Hindernisse oder klettern Bäume hinauf. Durch diese Fähigkeiten avancierten die Schlangen zu skurrilen Musen der Robotik: Wissenschaftler versuchen die Bewegungstechniken der geschmeidigen Reptilien auf Roboter zu übertragen, die buchstäblich flexibel einsetzbar sind. Eine perfekte Robo-Schlange könnte beispielsweise die Trümmer bei Katastropheneinsätzen erkunden.
Der Schlangentechnik auf der Spur
Es ist bisher bereits gelungen, Schlangen-Roboter flink über sandigen Boden wuseln zu lassen und auch die schlängelnde Klettertechnik für das Erklimmen von Bäumen haben Forscher ihren Konstruktionen schon „beigebracht“. Doch wie Chen Li und Qiyuan Fu von der Johns Hopkins University in Baltimore betonen, ist für Such- und Rettungsroboter eigentlich eine andere Fähigkeit der natürlichen Vorbilder wichtiger: Sie müssen stufenartige Hindernisse wie Steinblöcke überwinden können. Wie die Reptilien dies schaffen, war bisher nicht detailliert bekannt. So haben die Wissenschaftler im Rahmen ihrer Studie zunächst die Schlangentechnik beim Treppensteigen genau untersucht.
Als Anschauungsobjekte dienten ihnen dabei Königsnattern. Diese Schlangen sind Meisterinnen der Fortbewegung in komplexen Geländeformen: „Sie überqueren in ihrem Lebensraum regelmäßig Felsbrocken und umgestürzte Bäume“, sagt Li. Das Forscherteam führte eine Reihe von Experimenten durch, bei denen die Schlangen Stufen unterschiedlicher Höhe und mit verschiedenen Oberflächeneigenschaften überquerten. Dabei erfassten die Forscher durch Videoaufnahmen detailliert, wie die Tiere ihre Körper in Reaktion auf die Herausforderungen einsetzten.
Die Beobachtungen zeigten: Schlangen teilen ihre Körper bei der Überwindung von Stufen in drei Abschnitte ein. Ein vorderer und ein hinterer Abschnitt bleiben flexibel und bewegen sich seitlich beim Kontakt mit den horizontalen Bereichen. Der mittlere Körperabschnitt versteift sich, damit eine Bewegung in der Vertikalen möglich wird, um die Stufe zu überbrücken. Die beweglichen Bereiche sorgen dabei dafür, dass die Schlange bei der Aktion nicht umkippt. Bei dem Prozess wandern die drei Funktions-Segmente gleichsam durch den Schlangenkörper, sagen die Forscher. Je höher und rutschiger die Stufen waren, desto langsamer bewegten sich die Versuchstiere und ihre vorderen und hinteren Körperabschnitte schlängelten weniger, um die Stabilität zu fördern, ging aus den Analysen hervor.
Treppensteigende Robo-Schlange entwickelt
Auf der Grundlage dieser Informationen entwarfen die Forscher dann eine Roboterschlange, die dieses Bewegungsmuster nachahmt: Sie bewegt sich auf kleinen Rädern schlängelnd vorwärts und kann bei Bedarf bestimmte Segmente versteifen. Anfangs hatte die Konstruktion Schwierigkeiten, bei höheren Stufen stabil zu bleiben – sie wackelte, verdrehte sich oder blieb auf den Stufen stecken, berichten die Wissenschaftler. Offenbar ist ein gewisser flexibler Druck für die Stabilität bei den Schlangen nötig, zeigten dann die technischen Anpassungen: Als die Wissenschaftler die Roboterschlange mit Feder-Elementen ausrüsteten, die zwischen den Rädern und dem Körper sitzen, erhöhte sich die Stabilität deutlich. So konnte die Konstruktion schließlich in schlangenartiger Geschwindigkeit problemlos Stufen mit einer Höhe überqueren, die bis zu 38 Prozent ihrer Körperlänge entsprach, berichtet das Team.
Wie die Wissenschaftler betonen, ist die Energieversorgung des Schlangenroboters noch immer ein Problem und auch die hinzugefügten Federelemente erhöhten den Bedarf weiter. Dennoch sehen sie ihre Resultate als einen wichtigen Fortschritt: „Das Tier ist immer noch weitaus überlegen, aber diese Ergebnisse haben großes Potenzial bei der Entwicklung von Schlangen-Robotern, die große Hindernisse überwinden können“, sagt Li. Er und seine Kollegen wollen nun weiter tüfteln und Modelle entwickeln, die noch komplexeres 3D-Gelände mit unstrukturierten großen Hindernissen meistern können.
Video: Patrick Ridgely, Dave Schmelick, Len Turner/Johns Hopkins University Office of Communications
Quelle: Johns Hopkins University, Fachartikel: Royal Society Open Science, doi: 10.1098/rsos.191192