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Das Gold der Königinnen

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Das Gold der Königinnen
Exklusiv: Als einzige Zeitschrift zeigen wir die atemberaubenden Goldschätze der Königinnen von Nimrud. Es ist der größte Schatzfund seit Tutanchamun.

Die Täter waren in großer Eile. Sie stemmten ein Loch in den gepflasterten Fußboden, meißelten die darunterliegende Gewölbedecke auf und ließen sich in die Grabkammer hinab. Der Ver-such, die Abdeckung des steinernen Sarkophags aufzuhebeln, schlug fehl, der Sargdeckel brach. Durch den entstandenen Spalt räumten die Eindringlinge das Skelett, Schmuck und Beigaben aus Gold und Silber aus und schafften sie fort. So hätte Hercule Poirot, der dickliche Detektiv in den Kriminalromanen von Agatha Christie, die Spuren gedeutet. Die archäologieerfahrene Autorin hätte diesen Stoff zu einer ihrer verzwickten Geschichten direkt von ihrem Mann, dem britischen Archäologen Max Mallowan, bekommen können. Denn der war nur Zentimeter von einem der größten Goldschätze entfernt, als er vor 50 Jahren den assyrischen Königspalast von Kalchu, dem heutigen Nimrud, ausgrub.

Doch die archäologisch aufregende Entdeckung, die in den Wirren des Golfkrieges völlig unterging, blieb irakischen Archäologen vorbehalten. Sie richteten 1988 die Ruinen von Nimrud für die touristische Präsentation her. In einem archäologisch eigentlich leergefegten Raum des Nordwestpalastes wollten sie dafür die kreuz und quer liegenden Bodenplatten plazieren. Dabei stießen sie auf die Kuppel eines Grabes, das unter dem steinernen Fußboden des Palastes eingetieft war. Auf dem gleichen Weg wie die Eindringlinge vor 2800 Jahren drangen die Forscher von heute durch die Gewölbedecke in die Grabkammer vor. Zu ihrer Enttäuschung waren Bestattungszelle und Sarkophag leer, die zweiflügelige Steintür zur Vorkammer war blockiert und ließ sich nicht öffnen. Auf dem geborstenen Sargdeckel aber entzifferten die irakischen Archäologen einen Namen und eine Fluchformel: „ (Grab der) Mullissu-mukannisat-Ninua, Palastherrin des Assurnasirpal, König von Assyrien …

Irgendein Künftiger soll weder eine Favoritin noch eine Palastfrau darin bestatten! … Wer den Sarg von seinem Ort weghebt, dessen Totengeist wird … die Kispu-Speisung nicht in Empfang nehmen.“ Die Sensation war perfekt: Endlich hatten die Geschichtsforscher den Namen einer assyrischen Königin und konnten diese auch noch zeitlich einordnen, denn die Herrscher sind in langen Königslisten penibel aufgezählt.

Und sie konnten den altorientalischen Krimi weitererzählen, nachdem sie über einen zweiten Schacht in die Grabvorkammer eingestiegen waren. Hier fanden sie, was die antiken Eindringlinge aus der Hauptkammer ausgeräumt hatten – denn das waren offenbar keine Grabräuber gewesen: Die Gebeine der Mullissu-mukannisat-Ninua aus dem Steinsarkophag und einige weniger wertvolle Schmuckstücke packten sie in einen Bronzesarg, den sie vor die Tür stellten. Eine zweite Metallwanne füllten die Grabarbeiter vor fast 3000 Jahren mit weiteren Knochen und Grabbeigaben.

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Im dritten, von den beiden anderen verdeckten Bronzesarg versteckten sie den Goldschatz. Der irakische Ausgräber, Muayad Said Basim Damerji, kommt noch heute ins Schwärmen: „Eine atemberaubende Fülle von Schmuck und Juwelen, eine goldene Krone, goldene Schalen, eine goldene Kanne, mehrere Armbänder, Fußringe und Ketten, eine goldene Fibel, Siegel aus Karneol, eingefaßt in Gold, zwei Rollsiegel aus Karneol und Lapislazuli mit Goldkappen, jede Menge goldener Blätter.“ Insgesamt barg die Gruft 23 Kilogramm Gold, Silber und Edelsteine.

Die Preziosen lagen vor nunmehr einem Jahrzehnt bereit für eine große Ausstellung in den USA. Von dort hätte das glänzende Erbe vermutlich einen Triumphzug durch die Weltöffentlichkeit angetreten. Der Krieg und seine Folgen verbannten die Sensation jedoch in die Arsenale des Nationalmuseums in Bagdad. Die irakische Antikenbehörde gab nur einzelne Bilder für wissenschaftliche Publikationen frei. Das Vergessen schien programmiert. Erst jetzt ist das Mißtrauen so weit gemildert, daß bild der wissenschaft als erste Publikumszeitschrift die Schätze bildlich darbieten darf.

Der Fund im Untergrund war vor zehn Jahren Höhepunkt und Abschluß einer Triade. Denn vor dieser sogenannten Gruft III hatten die irakischen Archäologen in anderen Räumen des Nordwestpalastes zwei weitere Grabkammern unter dem Fußboden entdeckt – ebenfalls mit mehrere Kilogramm wiegenden atemberaubenden Grabbeigaben aus Edelmetallen und edlen Steinen, darunter zwei goldene Fußringe von jeweils einem Kilogramm Gewicht. Ausgräber Damerji: „Aus den alten Texten und Darstellungen hatten wir ja eine gewisse Vorstellung vom Leben in den assyrischen Palästen. Jetzt aber haben wir einen authentischen Eindruck von der verschwenderischen Pracht, mit der sich das assyrische Königshaus umgab.“ In Gruft II stießen die Ausgräber zudem auf drei weitere Namen assyrischer Königinnen. Neben Mullissu – Frau des Assurnasirpal II.: (Regierungszeit 883 bis 859 v.Chr.) – kennen sie jetzt auch Jaba, Gattin des Tiglathpileser III. (744 bis 727 v.Chr.) Banitu, Gemahlin des Salmanassar V. (726 bis 722 v.Chr.) und Atalia, Ehefrau des Königs Sargon II. (721 bis 705 v.Chr.), der das assyrische Reich nach einer Schwächephase wieder zu internationaler Bedeutung führte Nur der ebenfalls mit Prunk und Preziosen beigesetzten Leiche in Gruft I können die Wissenschaftler noch keinen Namen geben – es gibt keine Inschrift. Wie die deutschen Paläopathologen Michael Schultz und Manfred Kunter jedoch herausfanden, wurde auch hier eine Frau beigesetzt, sie war 50 bis 55 Jahre alt.

Für den Archäologen Dr. Michael Müller-Karpe vom Römisch-Germanischen Zentralmuseum Mainz liegt der Wert dieser Funde zum einen darin, daß die Gräber der Königinnen – im Gegensatz zu allen Königsgräbern – nicht ausgeraubt waren: „Hier haben wir zum ersten Mal handfeste Objekte, die man vorher nur aus Reliefdarstellungen kannte. Das Vorstellungsgebäude des assyrischen Lebens füllt sich ein Stück weit mit konkreter Substanz.“

Zum anderen eröffnen sich für den Orient-Experten völlig neue Forschungsstränge – denn: „Die Könige kennt man alle, über die Königinnen wußte man bis jetzt überhaupt nichts.“ Einzige Ausnahme ist Semiramis, deren Mann Samsi Adad V. von 823 bis 811 v.Chr. regierte. Sie fand Eingang in die Geschichtsschreibung der Bibel.

Zwar gibt es in der assyrischen Kunst häufig Frauendarstellungen, aber außer einem Relief des spätassyrischen Königs Assurbanipal mit seiner (namenlosen) Frau, tauchen die Königinnen als politische Figur nicht auf. „Sie spielten für die historische Überlieferung offenbar keine Rolle“, sagt Müller-Karpe. Sie wurden auch nicht, so zeigen die Grabfunde, in der heiligen Stadt Assur bestattet wie die Könige, sondern im Regierungs-Palast von Nimrud. Doch dort könnten die Archäologen bei weiterer Suche durchaus noch fündig werden. Denn ein philologischer Nebenaspekt der Nimrud-Funde belegt eine starke Stellung der Königin innerhalb der assyrischen Hierarchie: Mullissu-mukannisat-Ninua wird in ihren Inschriften in Gruft III als „scha ekalli“ von Assurnasirpal II. tituliert, aber auch als „ scha ekalli“ seines Sohnes und Nachfolgers Salmanassar III. Die bisherige Pauschal-Übersetzung als „Königin“ im Sinne von Ehefrau muß wohl dem Begriff „Palastherrin“ weichen, den die Königin auch nach dem Tod ihres Mannes beibehielt. Das wirft ein neues Licht auf die soziologische Struktur von Herrschaft in Assyrien. Erleuchtung suchen die Archäologen in den Gräbern. Denn hinter dem blendenden Gold tauchen die entscheidenden Fragen auf: Wer war die Königin in der ersten Gruft? Wer sind die zwölf anderen Toten, deren Skelettreste zusammen mit Mullissu in den Bronzesärgen der Gruft III gefunden wurden? Wer hatte es gewagt, den Fluch der Königin zu ignorieren? Weshalb war sie, offenbar in einer Notaktion, umgebettet worden?

Und schließlich: Wo sind die Grabstätten der anderen assyrischen Königinnen? Für die Antwort benötigen die irakischen Archäologen Zeit, Unterstützung und vor allem Geld. Das ist im boykott- gewürgten Land für archäologische Zwecke kaum greifbar. Im Gegenteil: Archäologische Stätten werden geplündert, Schätze aus Museen verschwinden, ehemalige Grabungsstätten verwahrlosen. Michael Müller-Karpe, Mesopotamien-Fan und seit 26 Jahren im Irak engagiert, konstatiert jenseits aller politischen Abwägungen: „Es ist unser aller Erbe, das da kaputtgeht.“

Kompakt Exklusiv: bild der wissenschaft erhielt als einzige Publikumszeitschrift welt-weit die Genehmigung, die Grabschätze der assyrischen Königinnen zu publi-zieren. Einzigartig: Aus einer Gruft wurden mehr als 23 Kilogramm Edelmetalle und Edelsteine zutage gefördert. Neu: Jetzt kennen die Archäologen vier assyrische Herrscherinnen namentlich – bislang wußte man über-haupt nichts von ihnen. Stehaufmännchen Assur Selten hat ein Staat so lange auf der weltpolitischen Bühne mitgespielt wie Assyrien – mehr als ein Jahrtausend agierte das Reich um die Stadt Assur in wechselnden Rollen in der Geschichte des Vorderen Orients. Die Anfänge sind nicht sicher nachzuzeichnen, um 1900 v.Chr. etabliert sich eine auf Fernhandel und Militär basierende Großmacht in Obermesopotamien. Dieses Altassyrien wird um 1640 v.Chr. wieder auf den Stadtstaat Assur reduziert. Erst um 1350 v.Chr. etabliert sich das mittelassyrische Reich, das kurz nach dem Tod von Tiglatpileser I. 1076 v.Chr. wieder zerfällt. Unter Assurnasirpal II. (883 bis 859 v.Chr.) beginnt Assyriens Aufstieg zur Weltmacht: Die neuassyrischen Könige herrschen auf dem Höhepunkt ihrer Macht vom Van-See bis zum Mittelmeer, von Anatolien bis Ägypten (sehr gut zusammengefaßt in „Mesopotamien“ von Barthel Hrouda, Beck’sche Reihe, 2000, DM 14,80). Innenpolitische Spannungen und eine machtvolle Allianz feindlicher Nachbarn bringen Assyrien 609 v.Chr. endgültig zu Fall.

Bdw community LESEN Barthel Hrouda DER ALTE ORIENT C. Bertelsmann, 1991

Paolo Matthiae GESCHICHTE DER KUNST IM ALTEN ORIENT Theiss, 1999, DM 148,–

Annie Caubet, Patrick Pouyssegur ALTER ORIENT Terrail, 1998

Gernot Wilhelm ZWISCHEN TIGRIS UND NIL 100 Jahre Ausgrabungen der Deutschen Orientgesellschaft in Vorderasien und Ägypten von Zabern, 1998, DM 68,–

U. Finkbeiner BEISPIELE ALTORIENTALISCHER STÄDTE Residenzen des assyrischen Reiches Tübinger Atlas des Vorderen Orients (TAVO) B IV 20

A. Haller DIE GRÄBER UND GRÜFTE VON ASSUR Wissenschaftliche Veröffentlichungen der Deutschen Orientgesellschaft 65

M. E. L. Mallowan THE EXCAVATIONS AT NIMRUD Sumer 7, 1951, S. 49–54

SCHAUEN Agatha Christie und der Orient – Kriminalistik und Archäologie Oktober 2000 bis 1. April 2001 Antikenmuseum Basel St. Alban-Graben 5 CH-4010 Basel Tel. 0041-61/271 22 02 Fax 0041-61/272 18 61 office@antikenmuseumbasel.ch http://www.antikenmuseumbasel.ch geöffnet: Dienstag bis Sonntag 10 bis 17 Uhr; besondere Öffnungszeiten an Feiertagen

Die Ausstellung dokumentiert das Leben der Schriftstellerin im archäologischen Milieu mit Fotos, unbekanntem Filmmaterial und 200 Originalobjekten aus Ur, Nimrud und Ninive. Zugleich ist sie dem Thema Kriminalistik und Archäologie gewidmet. Agatha Christie hat häufig die Ähnlichkeit der Arbeit von Archäologen und Detektiven betont. Die Ausstellung wurde vom Ruhrlandmuseum in Essen konzipiert und wird nach Basel in Wien, Berlin und London präsentiert.

Michael Zick

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