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Schatten über der Sonnenstadt

Allgemein

Schatten über der Sonnenstadt
Freiburg lässt sich gerne als deutsche Hauptstadt der Solarenergie feiern. Doch eine Reihe von Prestige-Objekten sind in den letzten Jahren gescheitert. Der Anteil des Solarstroms an der erzeugten Energie ist auch in der Schwarzwald-Metropole verschwindend gering.

Freiburg ist Solar City. Das glaubt man jedenfalls in Freiburg. Der in diesem Jahr altershalber scheidende Oberbürgermeister Rolf Böhme ließ keine Gelegenheit aus, sein idyllisches Reich als Hauptstadt der Solarenergie zu präsentieren. Und tatsächlich hatte es die lokale Solargemeinde geschafft – wenn auch nicht immer frei von Eifersüchteleien –, die Stadt in Südbaden als ansprechende Marke auf der Sonnenseite der Republik zu positionieren. Was Publicity anbelangt, war die Expo 2000 der Höhepunkt. In Hannover war Freiburg die einzige Stadt im Themenpark Energie und repräsentierte die Erneuerbaren – also vor allem Sonnenenergie, wie man stolz hinzufügte. Doch die Präsentation sei schlecht, hieß es. Eine hektische Suche nach Schuldigen war die Folge, Verschwörungstheorien gingen um: Warben doch Windräder statt Solaranlagen auf den Expo-Plakaten für Freiburg! Nur ein Jahr später neuer Schmerz: Während der Messe Intersolar 2001 in Freiburg wurde Ulm zum Sieger der „ Solarbundesliga“ – einer Rangliste der in der Nutzung der Sonnenenergie besonders aktiven deutschen Gemeinden – bei Orten über 100000 Einwohner gekürt. Die selbst ernannte Solarhauptstadt wurde auf den zweiten Platz verwiesen. Das Ergebnis verdient genauere Betrachtung: So liegt Ulm zwar bei der Solarthermie mit 0,044 Quadratmeter Kollektorfläche pro Einwohner klar vor Freiburg, das es lediglich auf 0,028 Quadratmeter bringt. Dafür steht Freiburg bei der Fotovoltaik mit 9,76 Watt installierter Leistung pro Einwohner unangefochten auf Platz eins, während Ulm nur 5,44 Watt vorweisen kann. Den Bundesdurchschnitt von 1,34 Watt pro Einwohner übertreffen beide deutlich, während Freiburg bei der Solarthermie klar unter dem Durchschnitt von 0,035 Quadratmeter pro Einwohner bleibt. Trotzdem ist der Bewertungsmaßstab für Andreas Witt und Guido Bröer in Ordnung. Witt und Bröer sind die Herausgeber der Zeitschrift Solarthemen, die die Solarbundesliga gemeinsam mit der Deutschen Umwelthilfe ins Leben gerufen hat. Die Begründung der beiden Solarexperten: Im Thermie-Bereich zeige sich das kommunale Engagement am deutlichsten. Denn warmes Wasser von der Sonne ist immer an eine konkrete Nutzung geknüpft, während man mit Solarstrom aus Fotovoltaik freilich schon groß rauskommen könne, wenn nur ein potenter Investor und große Flächen zur Verfügung stünden. Setzt Freiburg also falsche Prioritäten? Ein weiterer Rückschlag für Freiburg war die Vergabe des Deutschen Umweltpreises 2001 Ende Oktober 2001. Bundespräsident Johannes Rau verlieh den höchst dotierten Preis seiner Art in Europa unter anderem an Wolfgang Feist, den Gründer des Passivhaus-Instituts in Darmstadt. Passivhäuser – Gebäude, die dank guter Wärmeisolierung und anderer baulicher Maßnahmen ohne aktives Heizungs- und Klimatisierungssystem auskommen – glänzen in ganz Deutschland schon mit einigen tausend Exemplaren. Feist erhielt seine Auszeichnung ausgerechnet in Freiburg, wo der Architekt Rolf Disch mit der Solarsiedlung Schlierberg groß herauskommen will. Am Schlierberg entstehen so genannte Plusenergie-Häuser. Sie liefern mehr Energie als die Bewohner verbrauchen. Dafür sorgen große Fotovoltaikflächen, die zugleich als Dächer dienen. Im Kern aber sind diese Häuser nichts anderes als Passivhäuser, bei denen der Energiebedarf mit konventionellen Mitteln von vornherein drastisch gedrückt wird. Provozierend gesagt erscheint die Fotovoltaik hier als reine und teure High-Tech-Zugabe. Die Freiburger Solarsiedlung am Schlierberg glänzte bisher wenig und lieferte eine Zitterpartie im Vorfeld der Expo, wo sie als eines von sieben Leitprojekten der Solarregion Freiburg firmierte. Mit Ach und Krach wurden bis zur Weltausstellung wenigstens ein paar Plusenergie-Häuser auf das Gelände gestellt. Im vergangenen Sommer verfiel das einstige Renommierobjekt endgültig zum Torso: Die Stadt verkaufte die Hälfte des Areals an eine lokale Bietergemeinschaft, die dort statt Reihenhäuser mit Solar-Touch herkömmliche Geschosswohnungen errichten will. Architektonisch braucht diese Entwicklung kein Nachteil zu sein, denn mit Schönheit oder großzügigem Wohnen können die Plusenergie-Häuser nicht gerade protzen. Wohnkultur wurde einer Idee geopfert, das Bild einer „Solarkaserne“ schleicht sich ein. Dafür mochte die Freiburger Schickeria offenbar nicht den geforderten Preis bezahlen und blieb lieber in den Jugendstilhäusern des begehrten Alternativen-Viertels Wiehre. Das Interesse an den Gebäuden ist so mager, dass Architekt Disch nun einige davon über den Verkauf von Anteilen an einem geschlossenen Immobilienfonds an den Mann und die Frau bringen will. Auch Ulm hatte ein neues Baugebiet als externes Expo-Projekt vorzuweisen. Im Sonnenfeld, so der Name, realisierten acht Bauträger eine Passivhaus-Siedlung. Auch hier ließen sich bis zur Expo nicht alle Häuser verkaufen, doch wenigstens war eine geschlossene Siedlung mit ehrgeizigen energetischen Standards entstanden. Bei den Freiburger Plusenergie-Häusern dagegen ist die Fotovoltaik eine Kernkomponente. Ausschließlich der damit gewonnene Strom hebt am Ende die Gesamtbilanz ins energetische Plus. In der Praxis wird er natürlich ins Netz eingespeist und bringt so – dank einer garantierten Vergütung von 99 Pfennig pro Kilowattstunde (kWh) – dem Besitzer pro Monat 400 bis 800 Mark aufs Konto. Damit wirbt Solararchitekt Disch um Käufer und Anleger. Er empfiehlt den Bewohnern, Regiostrom für rund 34 Pfennig pro kWh zu beziehen. Diesen bietet der lokale Energieversorger der Ökohauptstadt an, die Freiburger Energie- und Wasserversorgungs-AG (FEW, seit kurzem Teil der südbadischen Badenova). Den „Qualitätsstrom aus der Region“ beziehen mittlerweile fast 10000 Kunden. Aus der Steckdose fließt dabei der gleiche Mix wie bei allen anderen auch. Das bessere Gefühl erkaufen sich die Kunden mit dem Zubau von Regiostromanlagen: Denn dieser Strom ist etwas teurer als der aus dem Netz – die Differenz soll helfen, neue regenerative Quellen in der Gegend um Freiburg zu erschließen. Ein neues Wasserkraftwerk kam im Jahr 2000 hinzu und eine erste Biogasanlage, jedoch keine weitere Fotovoltaikanlage. Solarstrom spielt mit nur einem Prozent am erzeugten Regiostrom ohnehin kaum eine Rolle. Die überragende Bedeutung der Wasserkraft für den Ökostrom der Stadt hingegen spiegelt sich in dominanten 68 Prozent, Biogas ist mit 31 Prozent ebenfalls stark vertreten. Windenergie ist im Regiostrom bislang gar nicht enthalten. Die Zahlen sind für jeden in Energiefragen halbwegs Kundigen nicht überraschend. Doch sie rühren an einen wunden Punkt der Solar City: Es gibt zu viele hier, denen bei alternativer Energie immer nur Fotovoltaik einfällt. So verkündet Freiburgs Umweltbürgermeisterin Gerda Stuchlik, der Schwerpunkt der regenerativen Energien liege weiterhin bei der Solarenergie. Zwischen diesem Anspruch und den wirklichen Zuständen klafft eine beträchtliche Lücke: Bis vor kurzem noch lieferte ein einziges Wasserkraftwerk in der Stadt mehr Strom als sämtliche Solarzellen auf allen Dächern. Die Vermarkter des Regiostroms förderten bislang aus politischen Gründen zwar brav den Solarstrom, oft aber gegen die eigene Überzeugung. Doch für das Jahr 2002 sind nun auch 1,5 Millionen kWh Strom aus Windkraft geplant, aus einem mit Erdgas betriebenen Blockheizkraftwerk (BHKW) gar 5,25 Millionen kWh. Das ist zwar keine erneuerbare Energie, aber BHKW nutzen den Brennstoff fast doppelt so effektiv wie normale Kraftwerke – und ohne sie kann die Stadt das selbst gesteckte Ziel beim Klimaschutz nicht erreichen. Im November 1996 hatte der Gemeinderat beschlossen, bis zum Jahr 2010 die Kohlendioxid-Emissionen um 25 Prozent gemessen am Vergleichsjahr 1992 zu verringern. Da rund drei Viertel der klimarelevanten Emissionen Freiburgs – insgesamt knapp zwei Millionen Tonnen CO2-Äquivalent in 1992 – auf den Energiesektor entfallen, besteht vor allem hier Handlungsbedarf für den Klimaschutz. Dabei stützt sich die Stadt auf drei Säulen eines Energiekonzepts, das im Jahr 1986 unter dem Eindruck des Reaktorunfalls von Tschernobyl beschlossen und als Baustein für den Ausstieg aus der Kernenergie proklamiert worden war: Säule I beschreibt Möglichkeiten zum Energiesparen, vor allem durch Wärmedämmung, mit satten 51 Prozent technischem Potenzial zur CO2-Minderung. Säule II beinhaltet effiziente Energietechnologien, also Kraft-Wärme-Kopplung sowie Nah- und Fernwärmesysteme, mit einem technischen Potenzial von 28 Prozent. Säule III schließlich, die Nutzung erneuerbarer Energiequellen, wirkt mit einem Reduktionspotenzial von 14 Prozent vergleichsweise bescheiden. Doch gerade darauf kaprizierte sich die enthusiastische Solargemeinde, und noch dazu auf die am wenigsten effiziente Fotovoltaik. Lange Gesichter gab es, als ein Gutachten des Freiburger Öko-Instituts Mitte 2001 das Klimaziel der Stadt dadurch gefährdet sah. Denn obwohl Freiburgs OB Rolf Böhme stets werbewirksam die solare Karte spielt, den einzigen nennenswerten klimawirksamen Effekt hatte 1998 die Inbetriebnahme eines Wärmeverbundkraftwerks, das jährlich 460 Millionen Kilowattstunden Strom produziert. Das entspricht fast der Hälfte des gesamten Freiburger Bedarfs von knapp einer Milliarde kWh pro Jahr. Im Vergleich dazu schrumpfen sowohl der Anteil der Wasserkraft als auch der Fotovoltaik am Freiburger Stromverbrauch zu schierer Bedeutungslosigkeit. Wind, wie erwähnt, kommt bislang nicht vor. Mittlerweile setzen aber selbst einstige Solarfreaks ganz ungeniert auf große Windkraftanlagen der Megawattklasse, allen voran der Förderverein Energie- und Solaragentur Regio Freiburg (fesa). In der Ortenau, nördlich von Freiburg, brachte die fesa allein im Jahr 2000 knapp 9 Megawatt installierte Leistung ans Netz. Künftig will sie pro Jahr Windkraftanlagen mit insgesamt 15 bis 20 Megawatt Leistung aufbauen. Freiburg selbst wies Anfang 2001 drei erste Standorte für Windräder aus. Doch dabei schrieben die Naturschützer inner- und außerhalb der Verwaltung kein Ruhmesblatt. Der Widerstand gegen die Anlagen war groß, das Wort von der Verspargelung der Landschaft machte die Runde. Die drei Standorte sind ein Minimalkonsens von anfangs rund zwanzig. Bei der Standortsuche war Freiburgs Hausberg, der Schauinsland, heftig umkämpft zwischen Windenergie- und Fotovoltaik-Befürwortern. Die Seilbahn, die kurz unterhalb in der Bergstation endet, sollte medienwirksam zur Solarseilbahn umfunktioniert werden – als Leitprojekt für die Expo. Dazu plante die Stadt, die Bergstation oder ein Gelände nahebei – beides zum großen Teil unter Naturschutz – mit Solarmodulen zu belegen. Die geplante Leistung hätte fast die Fläche eines Fußballfelds verlangt, und Solararchitekt Disch zeigte schon kühne Entwürfe herum. Verglichen mit dem Aufstand gegen Windräder blieben die mahnenden Stimmen leise. Auch an der Talstation war ein großes Fotovoltaik-Dach geplant. Doch das Gelände gehört der Nachbargemeinde Horben, und die war strikt dagegen. Letztlich scheiterte das ganze Projekt an der Finanzierung. Als Leitprojekt des Bereichs Tourismus für die Expo diente schließlich der „Solar Tower“ am neuen Hauptbahnhof. Dies markierte eine Wende im Freiburger Solargefühl. Mit von der Partie bei dem Projekt war die fesa: Gerade sie hatte mit Solaranlagen wie jener auf dem Stadiondach des SC Freiburg früher bundesweit Aufmerksamkeit erregt und so am Mythos Solar City eifrig mitgewirkt. Doch heute ist der Freiburger Energie-Förderverein solar fast lahm gelegt: Diese Form der Kapitalanlage sei bei weitem nicht so lukrativ wie die Investition in Windenergie, heißt es.

Kompakt

In der Solarbundesliga rangiert Freiburg hinter Ulm nur auf Platz zwei. Der Grund: Zwar wird die Fotovoltaik kräftig unterstützt, doch die Förderung der Solarthermie wird vernachlässigt. Das Renommierprojekt Solarsiedlung Schlierberg hat Probleme: Die Hälfte des Geländes soll konventionell bebaut werden. Statt der einseitigen Ausrichtung auf Fotovoltaik will man in Freiburg jetzt stärker auf Windenergie setzen.

Bernd Eusemann

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