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Stillen vor zwei Millionen Jahren

Allgemein

Stillen vor zwei Millionen Jahren
Zahnquerschnitt
Querschnitt durch einen Zahn von A. africanus und Kartierung des Barium-Anteils. (Bild: Mount Sinai Health System)

Muttermilch ist für Neugeborene überlebenswichtig – das war auch schon bei unseren frühen Vorfahren so. Aber wie lange stillten beispielsweise die Vormenschen-Mütter vor rund zwei Millionen Jahren ihre Kinder? Diese Frage haben nun Forscher erstmals durch Analysen von fossilen Zähnen der Art Australopithecus africanus beantwortet. Demnach bekamen der Nachwuchs dieser Vormenschenart rund zwölf Monate lang Muttermilch – das ist bereits deutlich kürzer als bei den heutigen Menschenaffen. Zusätzlich jedoch diente die Muttermilch den Australopithecus-Kindern auch Jahre später noch als Notnahrung: Wurde in der Trockenzeit die Nahrung knapp, stillte die Mutter sie vorübergehend.

Muttermilch ist ein echtes Superfood für Neugeborene: Der reichhaltige Cocktail an Proteinen, gesunden Fetten und Botenstoffen enthält Substanzen, die das Immunsystem des Kindes stärken, seine Darmflora in Schuss halten und seine Hirnentwicklung fördern. Ob und wie lange ein Kind gestillt wird, ist daher für seine spätere Gesundheit enorm wichtig. Gleichzeitig hat der Zeitpunkt des Abstillens aber auch Auswirkungen auf die Fortpflanzung: Stillt die Mutter früh ab, kann sie schneller wieder schwanger werden. Unter den Primaten ist der Mensch dabei eher ein Kurzstiller: Während viele Menschenaffen-Mütter ihren Nachwuchs mehrere Jahre lang stillen, bekommen menschliche Säuglinge in der Regel nur einige Monate bis ein Jahr Muttermilch – obwohl die Kindheit beim Menschen länger dauert als bei den meisten Menschenaffen.

Barium im Vormenschenzahn verrät Stillverhalten

Wann jedoch unsere Vorfahren begannen, ihre Kinder früher abzustillen und wie das Stillverhalten der Früh- und Vormenschen war, ist bislang kaum bekannt. „Wir tappen noch im Dunkeln, warum und wann unsere Vorfahren diesen Wandel vollzogen“, sagt Co-Autorin Christine Austin von der Icahn School of Medicine at Mount Sinai in New York. Einzig beim Neandertaler haben Zahnanalysen bereits enthüllt, dass unsere eiszeitlichen Vettern ihren Nachwuchs ähnlich kurz stillten wie Mütter heute. Jetzt haben Austin, Mit-Erstautor Renaud Joannes-Boyau von der Southern Cross University in Australien und ihre Kollegen erstmals auch das Stillverhalten des Australopithecus africanus rekonstruiert. Diese Vormenschenart lebte in der Zeit vor drei bis zwei Millionen Jahren im südlichen Afrika und ist für ihren besonders vielseitigen Speiseplan bekannt. Den benötigten diese Hominiden allerdings wohl auch, denn der Wechsel zwischen Regenzeit und Trockenzeit erforderte eine ständige Anpassung an das verfügbare Nahrungsangebot: „Er führte zu langen, sich abwechselnden Perioden mit reichhaltiger Nahrung und dann Nahrungsknappheit“, erklären Austin und ihr Team.

Um herauszufinden, wie intensiv und lange die Australopithecus-Mütter ihre Kinder unter diesen Bedingungen stillten, analysierten die Wissenschaftler Proben von zwei 2,6 bis 2,1 Millionen Jahre alten Australopithecus-Zähnen, die in der Nähe von Sterkfontein in Südafrika gefunden worden waren. „Die Mineralisation des Zahnschmelzes und Dentins geschieht schrittweise und speichert daher Informationen über frühkindliche chemische Einflüsse“, erklären die Forscher. Die Konzentration des Elements Barium in diesen „Jahresringen“ des Zahns kann verraten, ob und wie lange ein Kind Muttermilch bekommen hat: „Die Bariumkonzentration steigt nach der Geburt mit der Absorption der Muttermilch an und sinkt dann während der Zeit des Abstillens allmählich wieder ab“, berichten Austin und ihre Kollegen.

Muttermilch als Notversorgung

Die Analysen der beiden Zähne ergaben: Die Vormenschen-Babys wurden in den ersten sechs bis neun Lebensmonaten nahezu ausschließlich mit Muttermilch ernährt – sie wurden gestillt. Danach zeigen die sinkenden Bariumwerte, dass die Australopithecus-Säuglinge allmählich immer weniger Muttermilch und immer mehr feste Nahrung erhielten. Mit zwölf Monaten wurden sie dann offenbar endgültig abgestillt. „Damit unterscheidet sich Australopithecus deutlich von den heute lebenden Menschenaffen und repräsentiert eine Stilldauer, die mit der des modernen Homo sapiens vergleichbar ist“, konstatieren die Forscher. „Diese Vormenschenart war uns damit schon näher als die Menschenaffen.“

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Allerdings gibt es einen entscheidenden Unterschied, wie die Bariumwerte enthüllten: „Das Elementverhältnis steigt und fällt danach in einem zyklischen Muster von vier bis sechs Monaten Dauer“, berichten Austin und ihr Team. Das spricht dafür, dass die Vormenschen-Mütter ihre Kinder auch nach dem Abstillen immer wieder über Monate hinweg mit Muttermilch versorgten – vermutlich in Zeiten der Nahrungsknappheit. „In Zeiten von mangelndem Nahrungsangebot, so beispielsweise in der saisonalen Trockenzeit, griffen die Australopithecus-Mütter über mehrere Jahre wiederkehrend auf Muttermilch zurück, um den Hunger ihres Nachwuchses zu stillen“, sagt Co-Autor Ottmar Kullmer vom Senckenberg-Forschungszentrum in Frankfurt am Main. In dieser Hinsicht ähnelt das Stillverhalten der Vormenschen dem der heutigen Orang-Utans, die ihre Kinder bei Nahrungsknappheit ebenfalls vorübergehend stillen.

Nach Ansicht der Forscher bestätigt dieses Stillverhalten nicht nur, dass der Australopithecus africanus kurz vor seinem Verschwinden immer wieder mit Nahrungsmangel zu kämpfen hatte – es könnte auch dazu geführt haben, dass diese Vormenschen damals weniger Nachkommen bekamen.

Quelle: Renaud Joannes-Boyau (Southern Cross University, New South Wales) et al., Nature, doi: 10.1038/s41586-019-1370-5

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