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Titelthema – Einsteins Geniestreich: King Kong unter Druck

Allgemein

Titelthema – Einsteins Geniestreich: King Kong unter Druck
Warum es Riesenmonster nicht geben kann. Wir Erdenbewohner haben es gut: Dank der Schwerkraft auf unserem Heimatplaneten stehen wir mit beiden Beinen auf der Erde, ohne zu sehr unter der Last ihrer Anziehungskraft zu leiden. Monster von der Größe eines Wolkenkratzers gibt’s deshalb nur im Kino.

Ich bemerkte das geräuschvolle Atmen der Lungen in dieser fremden Atmosphäre und die augenfällige Schwerfälligkeit und Mühseligkeit der Bewegungen – ohne Zweifel eine Folge der größeren Anziehungskraft der Erde.” In seinem Science-fiction-Klassiker “Krieg der Welten” schildert Herbert George Wells aus der Sicht seines Helden, wie krakenähnliche Marsianer aus ihrem Raumschiff kriechen. Schon Wells wußte, daß die Ungeheuer von unserem kleineren Nachbarplaneten – wenn es sie gäbe – Mühe mit der Schwerkraft auf unserem Planeten haben müßten. Das irdische Leben hat damit keine Probleme – es hat sich im Laufe der Evolution damit arrangiert. Nach Charles Darwin ist die Tierart am erfolgreichsten, die sich am besten an ihren Lebensraum anpaßt. Die süßesten Früchte kriegen bekanntlich nur die großen Tiere, heißt es schon in einem alten Schlager. Doch der Kreativität der Evolution sind physikalische Grenzen gesetzt. Tiere können zum Beispiel nicht buchstäblich in den Himmel wachsen. Denn mit zunehmender Größe wandert der Schwerpunkt eines Körpers nach oben. Ein großes Lebewesen, das sich auf zwei Beinen fortbewegt, benötigt daher einen feinen Gleichgewichtssinn und motorische Fähigkeiten, damit es nicht stürzt. Außerdem braucht es ein Herz, das noch den höchsten Punkt – normalerweise das Gehirn – mit Blut versorgt. Große Tiere laufen daher meist auf vier Beinen. Damit ist einerseits ihre Körperachse horizontal ausgerichtet, was die Pumpleistung des Herzens weniger beansprucht, und andererseits haut sie nichts so leicht um. Für Prof. Paul Sereno von der University of Chicago, den Star unter den Saurierforschern, markierten die Urzeitechsen mit ihren 50 Metern Länge eindeutig die Obergrenze. Selbst mit der Kraft von zwei Herzen hätten noch größere Tiere das Blut nicht mehr in Kopf und Schwanzspitze pressen können.

Die Schwerkraft verbietet, daß es auf der Erde einen King Kong von der Größe eines Hochhauses gibt. Wenn man sich einen Gorilla um das Zehnfache vergrößert vorstellt und die Proportionen beibehält, bedeutet dies, daß alle Abmessungen – Länge, Breite und Höhe – um das Zehnfache wachsen. Das Volumen dieses Riesen stiege entsprechend mit der dritten Potenz an und würde das Gewicht auf das Tausendfache erhöhen. Die Querschnittsflächen der Knochen, die das Gewicht tragen, würden aber nur quadratisch zunehmen, also um das Hundertfache wachsen. Der Druck würde sich demnach bei einer Verzehnfachung aller Abmessungen ebenfalls Verzehnfachen. Das Ergebnis: King Kong könnte nicht zehnmal schneller laufen als sein kleiner Bruder, sondern er würde schon nach dem ersten Schritt zusammenbrechen. Dasselbe gilt auch für Insekten mit ihrem Außenskelett. Eine Fliege von einem Meter Größe würde am Boden kleben wie ein Felsklotz. Die Flügelflächen hätten sich zwar um das Zehntausendfache vergrößert, dafür wäre das behäbige Flatterwesen aber eine Million Mal schwerer geworden. Anders im Meer: 30 Meter lange Blauwale können sich dort problemlos halten, denn der Auftrieb wirkt der Schwerkraft entgegen. An Land aber sind Wassertiere nicht nur wegen der fehlenden Beine völlig hilflos. Holt man beispielsweise eine Wasserschlange aus ihrem nassen Element und hält sie senkrecht, stirbt sie binnen weniger Minuten. Der Grund: Ihr Herz ist nicht stark genug, um das Blut gegen die Schwerkraft in den Kopf zu pumpen.

Das Leben hätte sich auf der Erde vermutlich zu ganz anderen Formen und Größen entwickelt, wenn eine größere oder kleinere Schwerkraft herrschen würde. Die Astronomen gehen heute davon aus, daß ein Planet mindestens so groß sein muß wie der Mars, um über mehrere Milliarden Jahre hinweg eine Atmosphäre halten zu können. Dort herrscht nur ein Drittel der irdischen Schwerkraft. Auf der anderen Seite kann ein Planet nicht mehr als zwei Hundertstel der Sonnenmasse besitzen. Er wäre etwa so groß wie Jupiter, und an seiner Oberfläche würde eine bis zu 20mal stärkere Schwerkraft wirken als auf der Erde. Auf noch schwereren Himmelskörpern ist kein Leben möglich. Die Unterschiede in der Gravitation würden das Antlitz der Landschaft entscheidend mitgestalten. Die Schwerkraft wirkt nämlich der Gebirgsbildung entgegen, indem sie versucht, Berge einzuebnen. Schätzungen zufolge kann es deshalb auf der Erde nie einen Berg gegeben haben, der höher als 26 Kilometer ist. Tatsächlich beträgt der maximale Höhenunterschied zwischen Tiefsee und Himalaya etwa 20 Kilometer, während der Mars mit Höhendifferenzen bis zu 30 Kilometern auftrumpft. Ein Planet mit 20facher Erdgravitation besäße hingegen allenfalls sanfte Hügel. Ein tiefer Ozean würde dort nur wenige Inseln mit wenig Platz für Landlebewesen freilassen. Wie sich Leben in diesen Schwerkraftgrenzen entwickeln würde, läßt sich nicht eindeutig beantworten. Eine starke Schwerkraft begrenzt zwar die Größe von Lebewesen und schränkt die Fortbewegungsmöglichkeiten ein. Doch die Natur würde sich viele raffinierte biologische Tricks einfallen lassen, um diese Grenzen auszuloten. Tatsächlich ist es verblüffend, wie viele Arten auf der Erde unter identischen Schwerkraftbedingungen existieren. Vögel zum Beispiel: Eine zentrale Rolle spielt beim Fliegen die sogenannte Flächenbelastung, das auf der Gesamtflügelfläche lastende Gewicht des Vogels. Die Natur läßt hier eine breite Spanne zwischen 1,3 Kilogramm pro Quadratmeter beim Rotschwanz und 26 Kilogramm pro Quadratmeter bei der Dickschnabellumme zu. Obwohl die Flächenbelastung sich um das 20fache unterscheidet, können beide Vögel fliegen. Insofern ist es durchaus denkbar, daß es selbst auf einem Planeten mit 20facher Erdschwerkraft, auf dem alle Lebewesen 20mal schwerer sind als bei uns, Vögel gibt.

Die Landlebewesen wären vermutlich gedrungen und würden sich auf kräftigen Stummelbeinen behäbig fortbewegen. Bei diesen unförmigen Proportionen hätten die Knochen noch genügend große Querschnittsflächen und könnten den Körper gegen die starke Schwerkraft stützen. Viele Arten hätten wohl gar keine Beine und würden raupen- oder schlangengleich kriechen. Es ließe sich sogar darüber spekulieren, ob das Leben überhaupt den beschwerlichen evolutionären Schritt aus dem Wasser ans Land gemacht hätte. Pflanzen haben weder das Problem, sich fortzubewegen, noch ihre Nährflüssigkeit mit einem Herz in die höchsten Äste pumpen zu müssen. Bei ihnen erfolgt der Flüssigkeitstransport über Osmose. Sie funktioniert unabhängig von der Schwerkraft per Druckausgleich zwischen den Zellen. Bäume sind allerdings von der Gravitation abhängig, da sie einen Kompromiß zwischen der Größe und dem Streben nach Licht einerseits und der Stabilität andererseits eingehen müssen. Die größten Bäume, die Mammutbäume, haben Stämme von teils zwölf Metern Durchmesser und bis zu 135 Metern Höhe. Ein solcher Riese wiegt um die 4000 Tonnen. Es ist fraglich, ob die Natur eine Holzstruktur entwickeln könnte, die einem 20mal schwereren Koloß ausreichend Stabilität verleiht. Dies könnte auch deswegen mißlingen, weil auf der Oberfläche eines großen Planeten vermutlich ein höherer Atmosphärendruck herrschen würde als auf der Erde. Als Folge hiervon müßten Bäume heftigeren Stürmen trotzen. Auf einem kleinen Planeten wie dem Mars würde es dagegen wesentlich beschwingter zugehen. Landlebewesen kämen mit einem fragilen Skelett aus oder könnten, wäre ihr Skelett so stark wie unseres, wesentlich größer sein als wir. Vielleicht schreiten wirklich irgendwo zehn Meter große Riesen mit Siebenmeilenstiefeln über die Wiesen. Vermutlich wird die Natur aber auch Varianten entwickeln, die sich selbst unsere blühendste Phantasie nicht auszumalen vermag.

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Thomas Bührke

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