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Von wegen linkisch!

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Von wegen linkisch!
Linkshänder haben den Ruf, besonders erfolgreich zu sein. Auf Profisportler trifft das auf jeden Fall zu.

Was haben Barack Obama, Rafael Nadal, Bill Gates und Bart Simpson gemeinsam? Sie alle sind Linkshänder – und haben es weit gebracht. Ganze vier der letzten fünf US-Präsidenten, aber auch Albert Einstein, Marie Curie, Leonardo da Vinci, Wolfgang Amadeus Mozart und Ludwig van Beethoven sollen im wahrsten Sinne des Wortes alles mit links gemacht haben. Sind Linkshänder begabter, intelligenter oder erfolgreicher als Rechtshänder?

Klar ist: Linkshänder sind weltweit in der Minderheit. Nur etwa jeder Zehnte bevorzugt seine Linke. Warum das so ist, kann bislang niemand schlüssig erklären. Linkshändigkeit ist jedoch kein neues Phänomen: Schon in der Steinzeit gab es offenbar Menschen, die ihren Faustkeil lieber in der linken Hand gehalten haben, wie Abnutzungsspuren belegen.

Evolutionsbiologisch betrachtet hätten Linkshänder im Laufe der Zeit irgendwann aussterben müssen – es sei denn, sie hatten einen Überlebensvorteil. Michel Raymond von der Universität Montpellier ist der Meinung, diesen gefunden zu haben. Nach seiner sogenannten „Kampfhypothese“ profitieren Linkshänder seit jeher von ihrer Seltenheit. Bei einem Kampf hat ein Linkshänder gegenüber einem Rechtshänder einen taktischen Vorteil durch seine Schläge von unerwarteter Seite. Aus vorangegangenen Kämpfen hat der rechtshändige Gegner gelernt, auf Schläge von der anderen Seite gewappnet zu sein. Die Bewegungen seines linkshändigen Kontrahenten sind für ihn überraschend und unvorhersehbar. Und genau das könnte Linkshändern den entscheidenden Überlebensvorteil verschafft haben.

An der Spitze der Weltrangliste

Dieser Überraschungseffekt kommt noch heute zum Tragen – linkshändige Sportler verdanken ihm vermutlich ihren häufigen Treppchenplatz. Als der Neuropsychologe David Holtzen 2000 die Weltranglistenplatzierungen im Tennis von 1968 bis 1999 analysierte, stellte er fest: Linkshänder waren sowohl an der Spitze der Weltrangliste unter den zehn besten Spielern als auch als Teilnehmer im Grad-Slam-Finale deutlich häufiger vertreten als in der Normalbevölkerung. Die Weltrangliste führten zu 30 Prozent Linkshänder an. 141 Wochen lang stand der Spanier Rafael Nadal auf Platz eins, bis ihn am 7. Juli Novak Djokovic ablöste. Nadal schlägt die Vorhand mit links – obwohl er eigentlich Rechtshänder ist. Sein Trainer und Onkel Toni Nadal war der Ansicht, dass er so beidseitig einen starken Schlag entwickeln würde. Der Erfolg gab ihm Recht.

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„Wenn es einen generellen Vorteil der Linkshänder gäbe, etwa wenn sie kreativer wären oder ihre Bewegungen besser koordinieren könnten, dann müsste sich das in allen Sportarten zeigen“, sagt Norbert Hagemann, Professor für Sportpsychologie an der Universität Kassel. Das ist aber nicht der Fall. Bei Golf, Schwimmen oder Dart sind Linkshänder nicht überrepräsentiert. Bei Zweikampfsportarten wie Fechten und Boxen gibt es sie dagegen doppelt so häufig wie im Schnitt der Bevölkerung.

In einer seiner Studien untersuchte Hagemann die Fähigkeit links- und rechtshändiger Probanden, die Flugbahn eines Tennisballs einzuschätzen, wenn dieser von einem Links- oder einem Rechtshänder gespielt wird. Die Teilnehmer waren unterschiedlich erfahren im Tennis. Hagemann zeigte ihnen Videoaufnahmen, die er stoppte, kurz bevor der Sportler den Ball des Gegners berührte. Ergebnis: Die Wurfrichtung eines linkshändigen Spielers konnten sowohl rechts- als auch linkshändige Probanden viel schlechter einschätzen – egal ob Anfänger oder Profi. „Das spricht dafür, dass die Gegner auf einen Angriff von links weniger gefasst sind – und nicht, dass Linkshänder von Natur aus begabter oder talentierter sind“, meint Hagemann. Der Vorteil der Linkshänder im professionellen Tennis scheint nach einer aktuellen Untersuchung aber mehr und mehr abzunehmen. Norbert Hagemann hat eine Erklärung dafür: „Heute bereiten sich die Spieler vor einem Wettkampf viel genauer auf ihren Gegner vor.“ Mithilfe von Videos werden die Stärken, Schwächen und Eigenheiten des Kontrahenten genau analysiert – auch Schläge von links.

Wenn es im Finale der Fußball-Weltmeisterschaft doch noch zu einem Elfmeterschießen gekommen wäre, hätte Jogi Löw trotzdem gut daran getan, einen Linksfuß wie Mesut Özil antreten zu lassen. Denn mit links geschossene Elfmeter landen häufiger im Tor. Auch Torhüter sind offenbar schlecht darin, den Flug eines Balls vorherzusagen, wenn der Spieler mit links zielt.

Fernab des Profisports gelten Linkshänder oft als ungeschickt und tollpatschig. Laut einer Studie ist die Unfallrate von Linkshändern tatsächlich etwas höher als die von Rechtshändern. Schuld daran könnte die für Rechtshänder gemachte Welt sein. Sie birgt für Linkshänder offensichtliche Nachteile: Scheren, Füller, Fotoapparate, Kreissägen, Dosenöffner, Computermäuse – viele Geräte in unserem Alltag sind auf Rechtshänder zugeschnitten. Da passiert einem Linkshänder bei der Bedienung leicht mal ein Missgeschick.

Profimusiker profitieren

Auch viele Musikinstrumente sind für Rechtshänder konstruiert. In einem Orchester streichen die Bögen von Cello, Geige oder Bratsche stets parallel – egal, ob sie von Links- oder Rechtshändern gespielt werden. Zwar gibt es invertierte Instrumente für Linkshänder, Profimusiker spielen aber nicht auf ihnen. Im engen Orchestergraben wäre dafür kein Platz.

Reinhard Kopiez, Professor für Musikpsychologie an der Hochschule für Musik, Theater und Medien in Hannover, hat untersucht, ob linkshändige Profimusiker beim Musizieren auf Rechtshänderinstrumenten Nachteile haben. Überraschenderweise stellte sich das Gegenteil heraus. Für seine Studie ließ er links- und rechtshändige Pianisten sowohl Tonleitern als auch vom Blatt spielen. Sein Ergebnis: Unabhängig davon, ob die Musiker Rechts- oder Linkshänder waren, schien die rechte Hand der Linken stets überlegen zu sein und gleichmäßiger zu spielen.

Warum selbst Linkshänder mit der vermeintlich schwachen Hand stärker waren, erklärt sich Kopiez durch die jahrelange Übung der Musiker. Fast alle Klavierstücke würden die rechte Hand stärker fordern. „Sie wird daher deutlich mehr trainiert.“ Und die weniger geübte Linke sei bei Linkshändern sowieso schon gut.

In einer rechtsgestrickten Welt sind Linkshänder oft gezwungen, ihre rechte Hand zu benutzen – und sind daher mit ihr häufig geschickter als andere mit ihrer „linkischen“ Linken. „Bei Instrumenten wie Geige und Klavier ist es wichtig, dass beide Hände ähnlich leistungsfähig sind“, erklärt Kopiez. Das sei eine Voraussetzung, um Profimusiker werden zu können. In der Tat sind überdurchschnittlich viele Musiker Linkshänder. Nach einer Untersuchung von Reinhard Kopiez liegt der Anteil an Links- oder Beidhändern unter professionellen Musikern je nach Instrument bei bis zu 40 Prozent. „Das ist vier Mal so hoch wie der Anteil in der restlichen Bevölkerung.“

Ob es generell unter kreativen Köpfen mehr Linkshänder gibt, lässt sich jedoch nicht feststellen. Die Liste linkshändiger Künstler ist jedenfalls lang: So sollen neben Jimi Hendrix, Bob Dylan und Kurt Cobain auch Ludwig van Beethoven, Pablo Picasso und Wolfgang Amadeus Mozart Linkshänder gewesen sein.

Eine besonders starke Interaktion zwischen den beiden Hirnhälften wird oft mit Kreativität in Verbindung gebracht. Bei Linkshändern und Beidhändern tauschen sich die beiden Hemisphären womöglich stärker miteinander aus, da ihre Denkorgane in der Regel weniger lateralisiert sind. Dennoch: „Die These der kreativen Linkshänder steht auf wackligen Füßen“, sagt Reinhard Kopiez. Nach Ansicht der meisten Wissenschaftler sind Linkshänder nicht per se kreativer und das linkshändige Genie ist nur ein moderner Mythos.

Dass sich Linkshänder und Rechtshänder in deutlich mehr unterscheiden als „nur“ in der Präferenz einer ihrer beiden Hände, ist dagegen eindeutig belegt. Zwar verarbeiten zwei von drei Linkshändern Sprache in der linken Hirnhälfte – genau wie 97 Prozent ihrer rechtshändigen Mitmenschen. Bei den übrigen Linkshändern dominiert bei der Sprachverarbeitung entweder die rechte Seite oder beide Hirnhälften arbeiten gleichberechtigt. Die unterschiedliche Lateralisierung könnte erklären, warum ein etwas höherer Prozentsatz der Links- und Beidhänder unter einer Lese-Rechtschreib-Schwäche leidet. Möglicherweise kann die unterschiedliche Sprachverarbeitung des Gehirns Probleme machen.

Besser in der Schule und höheres Gehalt

In anderen Bereichen kann diese Andersartigkeit wiederum von Vorteil sein – wenn auch nur für Männer: Kevin Denny und Vincent O’Sullivan von der Universität Dublin beleuchteten 2007, wie Einkommen und Händigkeit zusammenhängen. Das überraschende Resultat: Männliche Linkshänder erhielten im Vergleich zu ihren Kollegen im Schnitt ein höheres Gehalt. Linkshänderinnen hingegen verdienten sogar weniger als ihre rechtshändige Konkurrenz.

Die französische Psychologin Charlotte Faurie von der Université Montpellier untersuchte 2006, ob die Händigkeit auch bei schulischen Leistungen eine Rolle spielt. Es stellte sich heraus, dass Lehrer linkshändigen Jungen tendenziell bessere Schulleistungen bescheinigten als ihren rechthändigen Mitschülern. Bei Mädchen fiel das Ergebnis erneut gegenteilig aus: Ihre Fähigkeiten im Rechnen, Schreiben und Lesen bewerteten die Lehrer schlechter als die ihrer Klassenkameradinnen.

Die mögliche Erklärung: Männer gehen mit Linkshändigkeit selbstbewusster um und setzen sie eher zu ihrem Vorteil ein. Das passt zu einer Untersuchung der schottischen Psychologin Lynn Wright. 2009 hatte sie weibliche und männliche Testpersonen befragt, um die Angst vor neuen Aufgaben und ihre Befangenheit gegenüber anderen Menschen zu ermitteln. Das Ergebnis: Linkshänderinnen gaben häufiger an, im sozialen Umgang gehemmt und neuen Situationen abgeneigt zu sein. Ob man von seiner Linkshändigkeit profitiert, scheint stark davon abzuhängen, wie man mit ihr umgeht. Mit genügend Selbstbewusstsein könnte der Mythos vom linkshändigen Genie gewissermaßen zur selbsterfüllenden Prophezeiung werden. •

LIESA KLOTZBÜCHER ist Diplompsychologin und Wissenschaftsjournalistin. Sie schreibt selbst mit links. Der Artikel zum Thema lag ihr deshalb besonders am Herzen.

von Liesa Klotzbücher

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