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Immunisierungs-Effekte sind vererbbar

Epigenetische Vererbung

Immunisierungs-Effekte sind vererbbar
Die Merkmale eines Lebewesens werden auch durch bestimmte Schaltermoleküle auf der DNA beeinflusst. (Bild: kirstypargeter/iStock)

Epigenetisches Erbe prägt auch das Immunsystem: Durch diese „schnelle Form“ der genetischen Anpassung kann erworbene Widerstandskraft nach einer Infektion an Nachkommen weitergegeben werden, geht aus einer Studie an Mäusen hervor. Nachdem sie eine Pilzinfektion überwunden hatten, vererbten Männchen demnach über epigenetische Modifikationen ihrer Spermien-DNA eine verbesserte Immunantwort an die Folgegenerationen. Vermutlich lassen sich die Ergebnisse auch auf den Menschen übertragen, sagen die Forscher.

Lange galt die Abfolge der DNA-Basen im Erbgut als die einzige Grundlage der Informatik des Lebens. Doch mittlerweile ist klar: Es gibt noch eine „zweiten Ebene“ der Genetik – die Epigenetik. Viele Studien haben gezeigt, dass bestimmte Kontrollmechanismen des genetischen Codes die Merkmale von Lebewesen prägen. Diese sogenannten epigenetischen Faktoren basieren unter anderem auf chemischen Schalter-Molekülen, die auf der DNA sitzen und die Aktivität von bestimmten Erbanlagen steuern. Diese genetischen Regelelemente können sich im Laufe des Lebens durch bestimmte Faktoren wie Ernährung, Stress oder auch Erkrankungen auf das Erbgut setzen und dadurch die Merkmale eines Lebewesens nachhaltig beeinflussen.

Viele Elemente des epigenetischen Schaltersystems werden zwar beim Generationswechsel wieder aufgehoben – doch manche Prägungen werden bei verschiedenen Organismen auf die Nachkommen übertragen. So gibt es auch bereits bei Säugetieren inklusive des Menschen Hinweise darauf, dass epigenetische Veränderungen bei Folgegenerationen etwa den Stoffwechsel beeinflussen. Eine Übertragung von Infektionsresistenzen auf die nächste Generation wurde hingegen bisher nur bei Pflanzen und wirbellosen Tieren nachgewiesen. Diese Lücke bei den Säugetieren hat ein internationales Forscherteam um Mihai Netea vom Radboud Zentrum für Infektionskrankheiten in Nijmegen nun geschlossen.

Immunisierung wird auf Nachkommen übertragen

Für ihre Studie infizierten die Wissenschaftler männliche Mäuse mit dem weitverbreiteten pilzlichen Erreger Candida albicans (Soorpilz), der auch beim Menschen Beschwerden verursachen kann. Nach der überstandenen Infektion wurden die Tiere anschließend mit gesunden Weibchen verpaart. Die aus diesen Verbindungen entstandenen Nachkommen konnten die Forscher dann mit Sprösslingen von Mäusepaaren vergleichen, die zuvor nicht mit Candida infiziert worden waren. Um die Reaktionen des Immunsystems experimentell zu untersuchen, infizierte sie Männchen der nachfolgenden Mäusegeneration mit Kolibakterien.

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Dabei zeigte sich zunächst: “Die Abkömmlinge der männlichen Mäuse, die zuvor Candida ausgesetzt waren, waren deutlich besser vor einer E. coli-Infektion geschützt als die Nachkommen der nichtinfizierten männlichen Mäuse”, berichtetNetea. Auch in der nächsten Generation blieb der Schutzeffekt noch erhalten, zeigten die weiterführenden Untersuchungen. Anschließend ging das Team der Frage nach, auf welchen Prinzipien die Weitergabe der Immunisierung auf die nachfolgenden Generationen basieren könnte. Dazu untersuchten sie durch molekularbiologische und genetische Methoden zunächst die Immunzellen der Versuchstiere.

Dabei zeigte sich bei den Nachkommen der zuvor infizierten Mäuseväter eine auffallende Aktivierung eines Proteinkomplexes bei Immunzellen, der eine wichtige Rolle in der Verteidigung gegen Erreger spielt. Zudem zeichnete sich ab, dass bei diesen Tieren auch die Aktivität von Genen hochreguliert war, die eine Funktion im Rahmen der Infektionsbekämpfung besitzen. Speziell bei den Vorläufern einer bestimmten Art der Immunzellen – den Monozyten – zeichnete sich ab, dass Entzündungs-assoziierte Gene besser ausgelesen werden als bei den Nachkommen der nichtinfizierten Väter. “Dies zeigt, dass die Monozyten-Vorläufer des Immunsystems epigenetisch umprogrammiert sind, wenn die Väter zuvor eine Infektion mit Candida albicans durchgemacht haben”, resümiert Co-Autor Andreas Schlitzer von der Universität Bonn.

Programmierung der Spermien-DNA

Doch wie erfolgt die Weitergabe der epigenetischen Prägung? Bei dieser Frage rückten die Spermien der Mäusemännchen in den Fokus: Die Forscher untersuchten die Aktivität von Genen in den Samenzellen der zuvor mit Candida infizierten Tiere. Konkret untersuchten sie dabei durch molekulargenetische Methoden, in welchem Ausmaß epigenetische Schalterelemente (Methylgruppen) den Zugang zu bestimmten Erbanlagen versperrten. “Dabei stellten wir eine Verschiebung der Genmarkierungen fest”, berichtet Co-Autor Jörn Walter von der Universität des Saarlandes in Saarbrücken. Konkret: Nachkommen von Candida-infizierten männlichen Mäusen zeigten weniger Blockaden in Genregionen, die für ihre Funktion bei Entzündungsprozessen und der Heranreifung von Monozyten bekannt sind.

“Die Studie zeigt erstmals an Säugetieren, dass Anpassungen an Infektionskrankheiten auch an Nachkommen weitervermittelt werden”, hebt Netea die Bedeutung der Ergebnisse hervor. Sie und ihre Kollegen wollen dem Forschungsthema weiter treu bleiben, denn es gibt noch einige Fragen zu klären. Unter anderem wollen sie untersuchen, wie die epigenetischen Informationen ins Knochenmark gelangen – dem Geburtsort vieler Immunzellen. Die Wissenschaftler können bisher zudem nicht sagen, inwieweit sich die an Mäusen gewonnenen Erkenntnisse auf Menschen übertragen lassen. Doch zumindest grundlegend sind sie dabei zuversichtlich: “Wir gehen davon aus, dass sie übertragbar sind. Denn die beteiligten Mechanismen und Zellen des Immunsystems sind bei Mäusen und Menschen sehr ähnlich”, sagt Schlitzer.

Quelle: Rheinische Friedrich-Wilhelms-Universität Bonn, Fachartikel: Nature Immunology, doi: 10.1038/s41590-021-01052-7

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