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Verzerrte Wahrnehmung im Hirnscanner

Hirnforschung

Verzerrte Wahrnehmung im Hirnscanner
Illustration zum Effekt eines MRT-Scans auf die räumliche Aufmerksamkeit: Die roten Punkte stellen visuelle Reize dar, die eine Person vermehrt auf der rechten Seite wahrnimmt. (Bild: Axel Lindner, 2021)

Die Aufmerksamkeit driftet zur Seite ab: Das starke Magnetfeld bei einer Magnetresonanztomografie verzerrt während des Scans die Raumwahrnehmung, zeigt eine Studie. Der vorübergehende Effekt ähnelt dabei Wahrnehmungsstörungen, wie sie nach Schlaganfällen auftreten können. Das bedeutet: Das auch in der Forschung oft eingesetzte Verfahren zur Untersuchung des Gehirns beeinflusst selbst dessen Leistung. Dieser eventuell verfälschende Effekt sollte deshalb nun bei Studien berücksichtigt werden. Möglicherweise steckt in dem Phänomen aber auch medizinisches Potenzial, sagen die Forscher.

Verborgene Strukturen und Prozesse in Geweben und Organen werden sichtbar: Die verschiedenen Formen der Magnetresonanztomografie (MRT) gehören zu den wichtigsten Untersuchungsmethoden in der medizinischen Diagnostik sowie in der Forschung. Das Verfahren basiert auf den Prinzipien der sogenannten Kernspinresonanz und wird daher auch als Kernspintomografie bezeichnet. Dabei nutzt man die Reaktion bestimmter Substanzen im Körper auf externe Magnetfelder, um Organe und ihre Funktionen in Schnittbildern darzustellen. Konkret versetzt ein MRT-Scanner dazu bestimmte Atome durch sehr starke Magnetfelder in Resonanzschwingungen, wodurch in einem Empfängerstromkreis ein elektrisches Signal induziert wird. Das hört sich nach einer möglicherweise erheblichen Belastung des Untersuchten an, könnte man meinen. Doch die langen Erfahrungen mit dem Verfahren geben Entwarnung: „Untersuchungen im Magnetfeld sind harmlos und schaden nicht der Gesundheit“, sagt Axel Lindner von der Universität Tübingen.

Effekten „in der Röhre“ auf der Spur

Es sind allerdings durchaus Nebenwirkungen während MRT-Untersuchungen bekannt: „Manche Personen bemerken die Auswirkung des Magnetfeldes, indem ihnen im Scanner leicht schwindelig wird“, sagt Lindner. Außerdem wurde bereits festgestellt, dass es bei Dunkelheit während einer MRT-Scanner-Untersuchung zu einem Augenzittern kommen kann. Dieser Effekt wird auf die Wechselwirkung des Magnetfelds mit Ionenströmen in der Endolymphflüssigkeit im Gleichgewichtsorgan zurückgeführt. Im Rahmen ihrer Studie sind Lindner und seine Kollegen nun der Frage nachgegangen, ob sich bei MRT-Scans auch die räumliche Wahrnehmung von Probanden verändert. Denn von anderen Arten der Stimulation des Gleichgewichtsorgans ist dies bereits bekannt. Die Wissenschaftler untersuchten dazu die Reaktionen von 17 gesunden Freiwilligen in einem MRT-Scanner im Vergleich zu Bedingungen ohne den Einfluss eines Magnetfelds.

Aus den Experimenten ging hervor: Während der MRT-Scans veränderte sich die Wahrnehmung aller Probanden deutlich: Ihre räumliche Aufmerksamkeit driftete zur rechten Seite ab und das Gefühl für die Orientierung des eigenen Körpers im Raum war gestört, ging aus den Testergebnissen hervor. „Die Hirntätigkeit ist unter dem Magnetfeld auf jeden Fall verändert“, resümiert Lindner. Co-Autor Hans-Otto Karnath von der University of South Carolina in Columbia ergänzt dazu: „Die Beobachtungen erinnerten uns stark an Wahrnehmungsstörungen, wie sie nach Schlaganfällen auftreten können: Patienten mit sogenanntem räumlichem Neglect vernachlässigen Reize auf einer Seite des Raums. Sie lesen zum Beispiel nur die rechte Hälfte einer Zeitung oder laufen gegen die linke Seite des Türrahmens, weil sie ihn dort übersehen“, erklärt der Neurologe.

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Bedeutung für Forschung und Medizin

Wie die Wissenschaftler betonen, könnten die Ergebnisse nun vor allem in der Hirnforschung weitreichende Bedeutung haben. Denn in diesem Bereich werden bestimmte Formen des MRT häufig eingesetzt, um dem Gehirn gleichsam beim Denken zuzuschauen – so lässt sich erforschen, wie das Nervensystem Reize wahrnimmt und verarbeitet. „Der neue Befund, dass das Magnetfeld Einfluss auf die Wahrnehmung hat, ist vor diesem Hintergrund ein wichtiges Ergebnis“, so Lindner. Der Effekt sollte bei künftigen neurowissenschaftlichen Studien deshalb unbedingt berücksichtigt werden, sagen die Forscher.

Doch nicht nur das: Ihnen zufolge könnte in der beobachteten Wirkung des Magnetfeldes medizinisches Potenzial stecken: Möglicherweise lässt sie sich nutzen, um Schlaganfallpatienten, die unter dem Phänomen des Neglect leiden, zu therapieren. Deshalb wollen Lindner und seine Kollegen nun auch am Ball bleiben: In weiteren Experimenten wollen sie untersuchen, ob längere und mehrfache MRT-Sitzungen doch Langzeiteffekte bei der Wahrnehmung hervorrufen und inwieweit sie die Symptome von Patienten abschwächen könnten.

Quelle: Universität Tübingen, Fachartikel: Elife, doi: 10.7554/eLife.71076

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