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Vom Hexenrichter zum Hexenmeister

Der Fall des Trierer Stadtschultheißen Dr. Dietrich Flade

Vom Hexenrichter zum Hexenmeister
Damit hatte Dr. Dietrich Flade wohl selbst am wenigsten gerechnet: Der mächtige Trierer Bürger und Richter vieler Hexenprozesse wurde 1587 selbst der Zauberei bezichtigt.

Im Sommer 1582 machte in Trier ein beunruhigendes Gerücht die Runde: Zahlreiche Hexen aus der Gegend hätten sich zum Schutz vor drohender Verhaftung in den Mauern der Stadt versteckt! Tatsächlich fanden zur selben Zeit im benachbarten Saarburg Hexereiverfahren statt, ausgelöst durch anhaltende Unwetter, Mißernten, Mensch- und Viehsterben – und tatsächlich hatten sich einige verdächtigte Frauen zu Bekannten und Verwandten nach Trier geflüchtet. Doch hier wollte man vermeintlichen Hexen keinen Unterschlupf gewähren. Überdies wurde geraunt, die bereits in Saarburg Hingerichteten hätten unter der Folter auch einige Trierer Bürger der Komplizenschaft bezichtigt.

Angesichts dieser Nachrichten war die Obrigkeit gezwungen, Gegenmaßnahmen zu ergreifen. So schrieb der zuständige städtische Schultheiß und Vertreter des kurfürstlichen Statthalters, Dr. Dietrich Flade, an den Saarburger Amtmann mit der dringenden Bitte um Auskunft, welche Trierer Bürger in den schlimmen Verdacht geraten waren, damit man gegen sie vorgehen könne. Offenbar verdichteten sich die angeblichen Indizien schnell gegen Margarethe Braun, eine ältere Frau, die sich ihren Unterhalt als Wäscherin und „Hökerin“ von Leintüchern verdiente.

Darüber hinaus war Margarethe Braun eine bekannte Kupplerin, und man verdächtigte sie und ihren dritten Ehemann der Münzfälschung. Am 20. Juli 1582 verhaftet und von Flade in einem ersten, noch gütlichen Verhör mit den Anklagen wegen Kuppelei, Münzfälschung und Hexerei konfrontiert, wollte sie freiwillig kein Geständnis ablegen. Deshalb wurde sie bis zum 15. Oktober insgesamt sieben Folterverhören unterzogen, wobei man immer neue „Indizien“ beibrachte, um die Tortur fortzusetzen. Doch noch immer war die Angeklagte nicht geständig. Flade engagierte sich sehr in diesem Verfahren und inspizierte mehrmals persönlich das Haus der Braun auf der Suche nach belastendem Material. Auch die Verhöre unter der Folter führte er selbst durch. Flade zeigte sich als strenger Richter, der das Hexereidelikt unnachsichtig verfolgte.

Er dürfte kaum damit gerechnet haben, daß ein ähnliches Schicksal auch ihn selbst ereilen könnte. Immerhin unterschieden sich Margarethe Braun und der Jurist durch Geschlecht, Stand und Vermögen eklatant. Dietrich Flade war 1534 als Sohn des Stadtschreibers Johann Flade geboren worden. Nach einem Studium der Jurisprudenz fand er rasch Aufnahme im Dienst des Trierer Kurfürsten Johann VI. Durch reiche Heirat und die übliche Kumulation von Ämtern gelang es Flade in den Folgejahren politischen Einfluß zu gewinnen und zum reichsten Mann Triers aufzusteigen. Bereits 1559 kurfürstlicher Rat, wurde er 1569 zum Schultheißen des Trierer Hochgerichts, zum Beisitzer am Koblenzer Appellationsgericht, zum Schultheißen der Dompropstei und zum Schöffen am Hochgericht der Reichsabtei St. Maximin ernannt. In seinen Ämtern erwies sich Flade als treuer Diener seiner kurfürstlichen Herren und als Feind städtischer Selbstbestimmung. Er förderte 1559 die Niederzwingung der protestantischen Reformpartei in Trier und unterstützte den Kurfürsten Jakob III. von Eltz gegen die Autonomiebestrebungen der Stadt, die in einem Verfahren vor dem Reichshofrat ihre Unabhängigkeit von ihrem kurfürstlichen Landesherrn bestätigt haben wollte. Dieser Prozeß endete 1580 mit einer Niederlage der Stadt. Durch die kurfürstliche Reformierung der Stadtverfassung rückte Flade als Stadtschultheiß an die Spitze der städtischen Verwaltung und des städtischen Gerichts.

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Trotz Reichtums und Macht gelang es Flade nicht, sich über Paten- und Gevatterschaften mit den alteingesessenen Trierer Familien zu verbinden. Er galt als habgierig, man unterstellte ihm sogar Korruption. Neben der beträchtlichen Mitgift seiner Frau sind andere Quellen seines Reichtums nicht mehr genau festzustellen. Einen Teil jedoch – immerhin fast 40000 Goldgulden – hatte er gewinnbringend in Kreditbriefen angelegt, wobei er besonders die desolate städtische Finanzsituation und die Teuerungsjahre nach 1580 zur Vergabe von Krediten nutzte. Neben Bürgern und Bauern standen bei ihm auch das Kurfürstentum und die Stadt selbst in der Kreide.

Trier litt in den Jahren nach 1580 nicht nur unter einer wirtschaftlichen Depression, auch Seuchen und marodierende Soldateska suchten immer wieder die Region heim. Auf dem Land hielt man die Krise für das Werk der Hexen. Schnell verbreitete sich die Vorstellung, den Stadtbewohnern ginge es weit besser, die reichen Trierer trügen durch verbotenen Fürkauf und wucherische Kredite an der schlechten Versorgungslage Schuld. Diese Vorstellungen beruhten nicht auf reinen Vorurteilen. Vielmehr hatten wohlhabende Trierer Bürger, allen voran Dietrich Flade und Hans Kesten, tatsächlich in und außerhalb der Stadt Pfandleihe betrieben, Hypotheken und Kornernten erworben und so aus der Notlage Gewinn gezogen.

Obwohl nur wenige Trierer Bürger tatsächlich über den ihnen nachgesagten Wohlstand verfügten, floß diese Charakterisierung in die Hexereiverfahren ein, die spätestens seit 1586 vor den benachbarten Gerichten geführt wurden. In den Erzählungen der Gefolterten wurden häufig Stadtbewohner als Anführer der Hexensekte bezeichnet, die durch Zauberei die Ernten vernichteten, um dann durch den Verkauf der eigenen Vorräte aus der Kornverknappung zu profitieren. Einige der 60 Hingerichteten aus Saarburg hatten überdies ausgesagt, ein „großlingh“ von Trier habe auf dem Hexensabbat das Wort geführt.

Nicht nur im Umland verdichteten sich die Gerüchte gegen Trierer Bürger. Auch die Jesuiten der Stadt berichteten in ihrer Ordenspropaganda von zwei „Hexenbuben“, die im Sommer 1587 in ihrem Kolleg untergebracht waren. Diese angeblich von Hexen verführten und nun durch Unterweisung auf den richtigen Weg gebrachten Knaben wurden als Belastungszeugen geschätzt, denn man maß den Aussagen von Kindern wegen ihrer angeblichen Unbefangenheit großen Wahrheitsgehalt zu.

Einer von ihnen brachte ein heikles Thema zur Sprache: Unter dem Gefolge des Erzbischofs solle sich ein Mann befinden, der ihm mit einem Gifttrank nach dem Leben trachte. Nur vordergründig schien diese Verdächtigung diffus zu sein. Vielmehr lag nahe, hinter diesem Giftattentäter den Schultheißen Flade zu vermuten, gegen den es bereits seit dem 8. Juli 1587 eine Zaubereibezichtigung gab. An diesem Tag wurde Maria, die Meiers von Ehrang, hingerichtet, eine wohlhabende Frau aus dem Trierer Umland, die mit Flade gut bekannt gewesen war. In ihrem Geständnis bezichtigte sie ihn als Komplizen und drang darauf, ihm diese Beschuldigung ins Gesicht zu sagen.

Am 3. August 1587 fiel Flades Name erneut in einem Prozeß. Diesmal forderte ihn der kurfürstliche Statthalter Zandt von Merl auf, sich dieser Beschuldigung durch Konfrontation mit dem Verurteilten zu stellen. Flade schlug den Rat aus. Er wußte aus eigener Anschauung, wie bei solchen Gelegenheiten die durch die Folter gebrochenen Personen bei ihren Beschuldigungen blieben, denen man hohes Gewicht beimaß. Man glaubte, eine geständige, reuige Hexe würde nach der Beichte und im Angesicht des Todes niemals ihre Seele mit einer Falschaussage belasten.

In den folgenden Monaten häuften sich die Besagungen gegen Flade, von denen einige von seinen der Zauberei bezichtigten Schuldnern vorgebracht wurden: Er sei der Oberste auf dem Tanzplatz, der auf einem goldenen Sessel thronend das Treiben dirigiere. Er erscheine dort in einer goldenen Kutsche, gezogen von schwarzen Pferden, um den Hals seine Amtskette und auf dem Kopf ein Samtbarett. Er sei verantwortlich für ein gewaltiges Unwetter, das 40 Kühe erschlagen hatte, er habe Schnecken hervorgezaubert, um der Ernte zu schaden, er wolle auch den Wald vernichten, damit kein Feuerholz mehr für die Scheiterhaufen zu finden sei, und er habe gemeinsam mit anderen einen Pfannkuchen gegessen, in den die Herzen ungetauft gestorbener Kinder eingebacken gewesen seien. Dieser Schweigezauber hätte den Mund der gefolterten Hexen verschließen sollen…

Dr. Rita Voltmer

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