Dass man „die im Dunkeln“ nicht sieht, ist sprichwörtlich, doch manchmal kommen auch die zu kurz, die ganz dicht neben denen im Rampenlicht stehen. Dieser ungerechten Ausleuchtung der Geschichte hilft Ingeborg Walter mit ihrer Familiengeschichte der Strozzi ab. Damit wechselt sie gewissermaßen die Seiten: Nach einer von viel Sympathie und Einfühlungsvermögen getragenen Biographie Lorenzo de’ Medicis, „des Prächtigen“ (München 2008), legt sie nun eine kollektive Biographie der „Würger“ vor (strozzare heißt auf Italienisch erwürgen).
Aus den zahlreichen Fami-lienzweigen und -generationen – die dankenswerterweise im Anhang zu Stammbäumen zusammengefügt sind – ragen zwei Gestalten hervor, die beide ein „tragisches“ Ende fanden und der Sippenbiographie dadurch zu einer effektvoll dunklen Grundierung verhelfen. Der Erste ist Palla Strozzi, den die Medici nach ihrer Machteroberung wegen seines Reichtums und des daraus resultierenden politischen Einflusses im November 1434 ins Exil schickten und, im Gegensatz zu vielen anderen „reuigen“ Verbannten, bis zu seinem Tod 28 Jahre später auch nicht zurückkehren ließen.
Dieses Schicksal als „Ausgestoßene“ prägte auch die nächste Generation, die diesem unhaltbaren Zustand allerdings durch geschickt angebahnte „Versöhnung“ mit den Medici – das heißt: Aufnahme in deren Klientel – ein Ende zu bereiten wusste. 1508 wurde dieses für beide Seiten nützliche Zweckbündnis sogar durch eine Eheschließung besiegelt. Zu diesem Zeitpunkt stand der zweite „Outlaw“ der Familiengeschichte im Zenit seiner geschäftlichen und politischen Karriere: Filippo Strozzi, neben den Fuggern reichster Bankier Europas. Er war bald auch Intimus der verkappten Medici-Prinzen Lorenzo und Alessandro, doch am Ende nach einer verblüffenden Kehrtwendung Haupt der Opposition gegen Cosimo de’ Medici, den zweiten Herzog von Florenz, und 1538 Selbstmörder aus unbeugsamer Freiheitsliebe – so zumindest das selbstgeschaffene Image.
Von den fünf Strozzi-Generationen zwischen Palla und Filippo erfährt der Leser auf gut 200 Seiten vieles: Wie sie liebten, heirateten, wohnten, wirtschafteten, stritten (nicht nur mit den Medici, sondern auch untereinander), in gigantischen Palästen und prunkvollen Grabkapellen Erinnerung stifteten und starben, das alles wird mit Anteilnahme, Verve und vor allem sehr viel Sachkenntnis im Detail breit und gemütvoll erzählt. Im Vergleich dazu bleiben die politischen Rahmenbedingungen eher blass. Doch das mindert den Reiz dieser Familiensaga mit ihren Berichten von bockigen und verliebten Bräutigamen, starken Frauen und eifersüchtigen Ehemännern nicht wirklich.
Rezension: Prof. Dr. Volker Reinhardt